: Vorübergehend kreativ
Einfach rein in halbverfallene Räume – und machen, was man will? Heute sind soziokulturelle Zwischennutzungen viel stärker reglementiert als noch vor Jahren. Doch Unternehmen haben Interesse an ihnen, weil Leerstand höhere Kosten verursacht

Von Andreas Hartmann
Es ist wenige Wochen her, dass der RBB für eine Reportage im „Kunstgarten“ im Berliner Bezirk Pankow war, um zu bestaunen, wie ein kleiner Verein in den letzten Monaten ehemalige Werkstätten eines Steinmetzes in ein Kreativareal verwandelt hat. Ein Außenbereich mit Skulpturen und Feuerschale, Ateliers und Künstlerwerkstätten. Ein DJ legt auf, während zugleich ein Graffiti-Workshop für Kinder stattfindet – der Reporter des Fernsehsenders ist hin und weg von dem, was er hier sieht.
Allerdings kommt am Ende des Beitrags auch noch kurz zur Sprache, dass dieses Paradies hier wohl keines für die Ewigkeit sein wird. Ja, das stimmt, sagt ein Mitglied vom Verein Gute Sache, der hinter dem „Kunstgarten“ steckt – spätestens 2027 müsse man weichen, weil der Eigentümer des Geländes einen Bauantrag genehmigt bekommen habe. Neue Wohnungen sollen hier entstehen.
Nun aber muss der Verein damit umgehen, dass es früher zu Ende gehen wird als erwartet. Mit dem bisherigen Eigentümer des Geländes hatte der Verein einen Vertrag für eine Zwischennutzung. Die Konditionen waren von vornherein klar: Man dürfe hier nur so lange etwas im Sinne von Kunst und Kultur entwickeln, bis die Bagger kommen, voraussichtlich in frühestens einem Jahr. Doch dann wurde das Areal an einen anderen Investor weiterverkauft. Das hat zur Folge, dass der Verein doch schon bis Mitte Juli seine Zelte hier abbrechen muss. Eine Alternative hätten sie nicht – „die Situation ist prekär“, sagt Oliver Schmidt vom Verein Gute Sache. Jetzt sucht der Verein händeringend einen neuen Ort zum Unterkommen für seinen „Kunstgarten“ – gerne auch zu längerfristigen Konditionen.
Der Fall zeigt ganz gut, welches Potenzial zur Selbstentfaltung soziokulturell orientierter Akteure in einer Zwischennutzung liegen kann. Aber auch, wie schnell die Desillusionierung folgen kann. Jakob Tutur, der für den Berliner Lobbyverband Clubcommission tätig ist, die die Interessen Berliner Clubs vertritt, und der selbst mit dem Johnny Knüppel nun bereits an einem zweiten Standort einen Club in Zwischennutzung in einem Kollektiv mitbetreibt, sagt: „Es hängt immer ein Damoklesschwert über einem. Man weiß nie, wie lange man noch bleiben kann. Einen nachhaltigen Wirtschaftsplan zu erstellen, ist schwer, denn es kann jeden Tag vorbei sein.“
Ohne Zwischennutzungen wäre besonders Berlin heute nicht die Stadt, die sie ist. Der Ruf als Clubmekka kommt daher, dass nach dem Fall der Mauer leer stehende Gebäude im Osten der Stadt entdeckt und sich einfach angeeignet wurden. „Man hat halt einen Ort gefunden und den bespielt“, so Tutur. Musste man dann wieder raus aus dem Objekt, etwa weil der Besitzer dieses weiterentwickeln wollte, zog man mit seinem Club halt einfach weiter. Halb zerfallene Räume, bei denen die Besitzverhältnisse noch nicht geklärt waren, gab es damals zu Genüge.
Doch diese Zeiten sind längst vorbei. Freiflächen für eine soziokulturelle Nutzung zu finden, die naturgemäß keine astronomischen Mietkosten verursachen dürfen, ist im innerstädtischen Bereich fast unmöglich geworden. Die Stadt Berlin hat viel zu viele Liegenschaften an die Immobilienwirtschaft verkauft und die ist am Ende vor allem an einem interessiert: einer guten Rendite. Einen gar längerfristigen Mietvertrag für den nächsten „Kulturgarten“ an anderer Stelle zu bekommen, dürfte für den Verein Gute Sache schwer werden.
Er könnte es vielleicht noch einmal mit einer Zwischennutzungsagentur versuchen. Der in Berlin ansässige Verein Transiträume war es schließlich auch, der Gute Sache das Gelände vermittelt hatte, wo die Initiative aktuell noch residiert. Transiträume erstellt Portfolios von Freiflächen, die von Bauunternehmen für Zwischennutzungen bereitgestellt werden und stellt diese auf die eigene Homepage. Interessenten können sich dann für diese bewerben.
Am Ende läuft es ein wenig wie bei Tinder. Moritz Tonn, Leiter der Geschäftsstelle von Transiträume, beschreibt das Verfahren so: „Anfragen für eine Zwischennutzung werden von uns auf Machbarkeit geprüft. Dann werden sie an den Eigentümer des Grundstücks weitergereicht, es wird sich abgestimmt und ein Besichtigungstermin vereinbart, wo sich beide Seiten kennenlernen.“ Kommt es dann zum Match, wird eine Nutzungsvereinbarung zwischen Eigentümer und Zwischennutzer geschlossen. Oliver Schmidt von Gute Sache sagt, er sei mit diesem Prozedere sehr zufrieden gewesen, „sehr unbürokratisch“ sei alles abgelaufen. Eine Miete musste auch nicht bezahlt werden, nur die Kosten für Wasser, Strom und Versicherung.
Worin aber liegt das Interesse von Bauunternehmen, ihre Liegenschaften zu solchen vermeintlich generösen Konditionen von irgendwelchen Kunst- und Kulturleuten zwischennutzen zu lassen? Moritz Tonn hat da ein paar Erklärungen zur Hand: „Leerstand ist immer schlecht. Die Kosten sind dann oft höher als bei einer kostenfreien Nutzung. Einfach, weil dann jemand vor Ort ist, der sich um alles kümmert, der regelmäßig lüftet, die Sanitäranlagen pflegt und Vandalismus verhindert.“
Eine weitere Motivation kann das Konzept Environmental Social Governance (ESG) sein, eine Agenda der UN, die die ökologische und soziale Nachhaltigkeit von Städten fördern soll. Kreditvergaben seien demnach an die Einhaltung bestimmter Standards beim ESG geknüpft. „Wenn ich also als Unternehmer Zwischennutzungen ermögliche, kriege ich Content für meinen ESG-Report und steigere damit meine Kreditwürdigkeit.“
Transiträume verspricht der Immobilienwirtschaft auf seiner Homepage noch weitere Vorteile. Wer sich für Zwischennutzungen öffnet, könne beispielsweise die Attraktivität seiner Areale erhöhen, die eigene Bekanntheit steigern und Kontakte zur Kreativwirtschaft knüpfen. Zwischennutzungen zu ermöglichen, kann also lukrativ und gut für das Image sein. Tonn spricht von einem „Schulterschluss zwischen Kunst, Kultur und Immobilienwirtschaft“.
Und der könne manchmal gar so aussehen: „Der Zwischennutzer plant auf dem kostenfrei zur Verfügung gestellten Gelände beispielsweise für einen Freitag eine Vernissage. Der Eigentümer kriegt dann eben am Tag davor ein Special Opening, wo er sein Unternehmen mal in einem crazy Rahmen präsentieren kann.“ Kein Wunder, dass diese Form von regelbasierter Zwischennutzung längst auch in kleineren Städten als Berlin oder Hamburg großen Anklang findet. Man zeigt sich so als Gemeinde schließlich als Ermöglicher von Kunst und Kultur, verhindert Leerstand und macht gleichzeitig die Immobilienwirtschaft glücklich. Städte wie Nürnberg bieten deswegen sogar über die eigene Verwaltung Objekte für Zwischennutzungen an.
Am Ende muss da die Frage gestellt werden, wer von solchen Zwischennutzungen, die oft nur wenige Monate dauern, wirklich profitiert. Und ob Künstler und Künstlerinnen sich nicht gar zu Vorreitern der Gentrifizierung machen, wenn sie eine Zeit lang auf Freiflächen aufsehenerregende Dinge machen und diese aufwerten. „Artwashing“ nennen Kritiker diese Form des Zusammenspiels von Immobilien- und Kreativwirtschaft inzwischen. Für Jakob Tutur stellt sich sogar die Frage, ob man bei so manchem dieser Projekte, bei denen sich erst ein paar Graffiti-Künstler auf einem Areal austoben können, auf dem danach Luxuswohnungen entstehen, noch von Zwischennutzung im eigentlichen Sinn sprechen sollte, oder eher lediglich von einer „temporären Überlassung“.
Zwischennutzungen so, wie es früher einmal war, wo man sich als Pionier eine Freifläche aneignete und dann einfach in Eigenregie loslegte, gebe es eigentlich gar nicht mehr. „Es ist extrem risikobehaftet und kostspielig geworden“, sagt er. „Man muss viel investieren und hat wenig Sicherheiten. Genehmigungen zu bekommen, dauere ewig, zig Vorschriften etwa zu Brand- und Lärmschutz seien einzuhalten. „Und am Ende ist trotz des ganzen Aufwandes nach ein paar Monaten oder ein bis zwei Jahren schon wieder Schluss. Das lohnt sich heute nicht mehr.“
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