Vorschau auf das EM-Achtelfinale: Ödnis und Lust aufs Spektakel
Das Turnier geht endlich in seine entscheidende Phase. Kann England doch was und bringt’s Österreich wirklich? Die taz-Vorschau.
Schweiz – Italien, Samstag, 18 Uhr, Berlin:
Dass Italien Titelverteidiger ist, darauf lässt sich bei Betrachten der Spiele wirklich nicht schließen. Das im Umbruch befindliche Team steht defensiv ziemlich instabil, kommt im Mittelfeld nicht in die Pötte und hatte bisher vor allem das Glück auf seiner Seite. Die taktisch disziplinierten und cleveren Schweizer könnten den Titelverteidiger nun verdient früh in die ewigen Jagdgründe schicken. Allerdings war die Schweiz vor allem nach hohen Bällen selbst anfällig. Italienische Medien hoffen nun, dass die Rettung in der Nachspielzeit gegen Kroatien eine Art Aufweckschock erzeugt hat. Doch mit Wachheit allein ist es hier wohl nicht getan. (asc)
England – Slowakei, Sonntag, 18 Uhr, Schalke:
Gewiss freuen sich die Anhänger der Slowakei auf diese Partie, die sie sich mit einer erfrischenden Vorrunde wahrlich verdient haben. Sonst dürften sich wohl kaum Freunde des gepflegten Fußballspiels finden, die mit Vorfreude an dieses Spiel denken. Noch eine fade Partie der Marktwerteuropameister aus England möchte man nun wirklich nicht sehen. Wann lässt Gareth Southgate seine hochbegabten Spieler endlich von der Leine? Diese Frage liegt in der Luft. Wer die Partien der Engländer verfolgt hat, wird sich gefragt haben, ob der Trainer so etwas wie ein Zweikampfverbot ausgesprochen hat. Mit dem sicheren, aber doch arg harmlosen Passgeschiebe dürfte die stabile Verteidigung der Slowaken, die vom italienischen Trainer Francesco Calzona auf italienische Art eingestellt worden ist, jedenfalls keine nennenswerten Probleme haben. Es könnte also gut und gern in ein Elfmeterschießen gehen. Wollen es die Engländer darauf ankommen lassen? (arue)
Spanien – Georgien, Sonntag, 21 Uhr, Köln:
Welch tolle Partie! Das wohl beste Team der Gruppenphase trifft auf die größte Überraschung des Turniers. Dieser höfliche EM-Gast aus Georgien, der das Sammeln von Erfahrung zu seinem Hauptziel erkoren hat, begegnet der Elf, die laut Selbstbeschreibung von Spaniens Trainer Luis de la Fuente, die besten Fußballer der Welt zu bieten hat. Die Fallhöhe könnte kaum höher sein. Die Spanier können das Spiel gewinnen, Prestige eher weniger. Die neu hinzugewonnene Flexibilität im eigenen Spiel wird hier auf eine besondere Probe gestellt. Das müsste doch recht verlockend sein für einen Favoritenschreck wie Georgien, der trotz seiner defensiven Ausrichtung immer wieder einen starken Zug zum gegnerischen Tor hat. Und eine schöne Erfahrung wäre es außerdem. (jok)
Frankreich – Belgien, Montag, 18 Uhr, Düsseldorf:
Ein Eigentor und ein Elfmeter haben Frankreich dazu verholfen, als Gruppenzweiter hinter Österreich ins Achtelfinale zu ziehen. Euphorisierend ist das nicht gerade. Die Debatte im eigenen Lande über die schier grenzenlosen individuellen Möglichkeiten und die limitierten Auftritte der Mannschaft gleichen der in England geführten. Öfter getroffen hat aber das für seine Offensivkraft häufig zu überschwänglich gelobte belgische Team auch nicht. Die größte belgische Gefahr geht bislang aus dem Abseits hervor. Unglücklich darüber ist vernehmbar vor allem der eigene Anhang. Auch hier ist die Stimmung also mies. Es ist also auch ein Nachbarschaftsduell in der Gemütslage. Einem Team, so viel zum Trost, steht ein glücklicher Abend bevor. (jok)
Portugal – Slowenien, Montag, 21 Uhr, Frankfurt:
Niemand kann seine begrenzten Möglichkeiten so gut kaschieren wie das kleine Slowenien. Was in der Vergangenheit schon für viele anderen Sportarten galt, trifft nun auch auf den Fußball zu. Selbst auf den Tribünen in den deutschen EM-Stadien tauchen sie wie die Großen mit stattlichem Gefolge auf. Nach erfolgreicher Verteidigungsschlacht gegen England dürfte es beim ersten EM-Achtelfinale gegen Portugal kaum weniger Abwehrarbeit geben. Die Portugiesen verfügen nämlich über große Fußballer im Überfluss. Und sie legen sich bei dieser EM ihren Gegner mit kurzen, feinen Pässen zurecht, wie die Spanier das früher bis zum Exzess vorführten. Wobei der zweite Anzug gegen Georgien weit weniger gut passte, als viele erwartet haben. (jok)
Rumänien – Niederlande. Dienstag, 18 Uhr, München:
Ein Platz drei in diesem Turniersystem von 24 Mannschaften gilt als eine Lotterie, die man tunlichst meiden sollte. Die Niederländer haben nun nicht nur das Glück, trotzdem weiter dabei zu sein, sondern gegen alle Wahrscheinlichkeit, mit Rumänien nun nicht auf einen Hochkaräter zu treffen. Mit ihren rasend schnellen Offensivkräften haben sie auch bei dieser EM im Ansatz einige spektakuläre Szenen vorbereitet, es fehlt häufig nur an der Vollendung. Wie verwundbar ihre mitunter schläfrig wirkende Abwehr ist, hat Österreich offengelegt. Und Vorsicht! Rumäniens Trainer Edward Iordanescu ist schwer gekränkt. „Wir wurden mit Schmutz beworfen, aber wir haben gezeigt, dass wir Charakter haben. Wir spielen immer mit Charakter.“ Er bezog sich auf den Verdacht, Rumänien könne sich mit einem Nichtangriffspakt gegen die Slowakei eine Achtelfinalteilnahme ermogeln. (jok)
Österreich – Türkei, Dienstag, 21 Uhr, Leipzig:
Dürfte man sich nur ein einziges Achtelfinale ansehen, die meisten würden sich wohl für diese Partie entscheiden. Ralf Rangnicks Österreicher stehen bei dieser EM für attraktiven, zielstrebigen Fußball. Geheimfavorit wurden sie vor dem Turnier genannt. Nach dem Gruppensieg vor Frankreich und den Niederlanden gehören sie zu den echten Favoriten auf den Turniersieg. Der Titel für den lautesten Support ist dagegen für die Türken reserviert. Egal wo gespielt wird, die Elf um Kapitän Hakan Çalhanoğlu kann auf lautstarke Unterstützung bauen. Was das über das Spiel sagt? Österreich hat schließlich auch keinen Hoffenheim-„Support“ und die Türkei kann durchaus Fußball spielen. Spektakel scheint jedenfalls garantiert. Im März haben die Türken mit 1:6 gegen Österreich verloren. Gibt’s jetzt die große Revanche? Vorhang auf! Das Beste im Achtelfinale kommt zum Schluss. (fh)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?