Vorladung vors Kosovo-Strafgericht: Premier Haradinaj tritt zurück
Der Ministerpräsident von Kosovo gibt sein Amt auf. Doch wohl nicht nur, weil er vor dem Kosovo-Strafgericht erscheinen soll, wie er behauptet.
Inwieweit die Vorladung zu dem Kosovo-Strafgericht tatsächlich die aktuelle politische Krise im Kosovo ausgelöst hat, wie es in internationalen Medien heißt, ist allerdings fraglich. Politische Analytiker vermuten hinter dem Rücktritt Haradinajs viel mehr einen Machtkampf in höchsten Regierungskreisen.
Das Kosovo-Strafgericht ist nicht vergleichbar mit dem Den Haager UN-Tribunal gegen Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien. Vom UN-Tribunal wurde Haradinaj als ehemalige Kommandeur der Organisation UCK, die für die Unabhängigkeit Kosovos kämpfte, bereits zwei Mal freigesprochen: 2008 und 2012. Allerdings blieb ein Geschmäckle: Wichtige Zeugen kamen während der Verhandlungen unter ungeklärten Umständen ums Leben.
Erst 2017 wurde das Kosovo-Strafgericht auf internationalen Druck hin geschaffen, um mögliche Kriegsverbrechen während des Kosovokrieges zwischen 1998 und 2000 zu untersuchen. Es besteht vor allem aus kosovarischen Richtern. Nun muss Haradinaj also auch dort aussagen
Politischer Aufstieg trotz Verfahren
Bereits vor dem ersten Verfahren des UN-Tribunals gegen ihn hatte es Haradinaj zum Ministerpräsidenten des Kosovos geschafft – auch mit Hilfe aus dem Ausland: Im Jahr 2000 gründete er die Partei „Allianz für die Zukunft des Kosovos“ (AAK), der er seitdem vorsteht. 2004 war er mit Unterstützung der USA erstmals Premier geworden.
Nach dem entscheidenden Freispruch 2012 gelang es Haradinaj, seine im Westen des Landes verankerte AKK wieder zu stärken. Er profilierte sich als Oppositionsführer und Gegenspieler des „starken Mannes“ des Kosovos – Hashim Thaci, dem heutigen Präsidenten. So konnte er 2017 mit den Stimmen der anderen Oppositionsparteien, Demokratische Liga und Selbstbestimmung, den damaligen Ministerpräsidenten Thaci aus dem Amt jagen, das er seitdem erneut selbst innehatte.
Der wahre Grund für den Rücktritt des Premiers ist laut politischen Analytikern wie der Journalistin Evliana Berani jedoch nicht seine Vorladung vor Gericht. Vielmehr strebe er damit eine Neuwahl an. Denn die Konflikte zwischen Haradinaj und Präsidenten Thaci haben sich in den vergangenen Jahren verschärft.
Streit um Land
Hashim Thaci, nicht nur amtierender Präsident des Kosovos, sondern auch Ex-Oberkommandierender der UCK und Ex-Chef der größten Partei des Landes, der Demokratischen Partei PKK, strebt einen Austausch von Territorien mit Serbien an. So soll das vor allem von Serben bewohnte Nordkosovo an den nördlichen Nachbarn gehen, dagegen das vornehmlich von Albanern bewohnte Preševo-Tal in Südserbien zu Kosovo geschlagen werden. Dafür soll Serbien Kosovo endlich als unabhängigen Staat anerkennen.
Hinter diesem Deal stehen auch internationale Mächte, allen voran Russlands Präsident Wladimir Putin und US-Präsident Donald Trump sowie die Außenbeauftragte der EU, Federica Mogherini. Dennoch gelang es Angela Merkel im Mai auf einer Balkan-Konferenz in Berlin, das Projekt erst einmal auf Eis zu legen. Berlin fürchtet mit dem Gebietsaustausch die Öffnung der Büchse der Pandora mit unabsehbaren Konsequenzen für Bosnien und Herzegowina, Nordmazedonien und die Ukraine.
Auch Ramush Haradinaj ist strikt gegen den Gebietsaustausch und weiß damit den größten Teil der kosovarischen Öffentlichkeit hinter sich, ebenso wie die serbisch-orthodoxe Kirche, die bei einem ethnisch motivierten Gebietsaustausch um die Existenz der serbischen Minderheit in Kosovo fürchtet.
Pluspunkte bei der albanischen Bevölkerungsmehrheit konnte der mehrsprachige und jovial auftretende Haradinaj auch damit gewinnen, dass er im November vergangenen Jahres die Einfuhrzölle auf serbische Waren um 100 Prozent erhöhte. Damit reagierte Kosovo auf die serbische Obstruktionspolitik, die Kosovo von internationalen Organisationen fernhalten soll. Erst 2018 verhinderte Serbien die Aufnahme des Nachbarlandes bei Interpol. Durch die erhöhten Einfuhrzölle erlitt Serbien empfindliche an die Milliardengrenze gehende Verluste, während sich die Produzenten und Händler in Montenegro, Albanien und Nordmazedonien freuen konnten.
Auf der Grundlage dieser Stimmung im Lande geht Haradinaj jetzt aufs Ganze. Sollte Präsident Thaci nicht innerhalb von 45 Tagen eine tragfähige neue Regierung auf die Beine stellen, bekommt Haradinaj seinen Willen: eine Neuwahl.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Rauchverbot in der Europäischen Union
Die EU qualmt weiter
Antisemitismus in Berlin
Höchststand gemessen
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich