Vorkaufsrecht in Berlin: Mieter*innen sind verzweifelt
Nach dem Urteil zum Vorkaufsrecht ist eine Neuregelung nötig. Bis dahin sind viele Mieter*innen dem Markt ausgeliefert.
Alexander, ein Mieter aus der Naunynstraße, wirkt resigniert. „Wir sind deprimiert“, sagt er. „Eigentlich können wir gerade nur Krach machen und die Politiker nicht in Ruhe lassen.“ Man überlege verzweifelt, was man sonst noch tun könnte: „Es ist total ungerecht, dass uns die Zeit abläuft. Wir wollen vielleicht noch mal einen Anwalt fragen, ob wir einen Fristaufschub bekommen können, aber …“ Dann bricht er seufzend ab.
Alexander ist einer von 24 Mieter*innen, die sich vor wenigen Tagen in einem digitalen Treffen versammelt haben. Sie sind ein Querschnitt aus Berlins Stadtgesellschaft: Junge Studierende, eine über 70-jährige Pensionärin, ein Architekt. Sie eint, dass ihre Häuser von privaten Investoren gekauft wurden oder werden sollen – und dass sie sich mit ihren Hausgemeinschaften im Vorkaufsrat zusammengeschlossen haben, um sich dagegen zu wehren, dass sie sich ihren Wohnraum nicht mehr leisten können.
In Alexanders Fall wurde das Mietshaus in der Naunynstraße vor ein paar Wochen von einer GmbH der Jebsen Group mit Sitz in Hongkong erworben. Die Frist für das kommunale Vorkaufsrecht läuft Mitte Januar ab. Die Mieter*innen hatten sich aus Angst vor Verdrängung in kürzester Zeit zusammengeschlossen und haben bundesweit 400 potenzielle gemeinnützige Käufer*innen angeschrieben. Ein Vorkauf zeichnete sich bereits ab: Sieben Genossenschaften zeigten Interesse an dem Haus.
Doch dann kippte das Bundesverwaltungsgericht vor rund zwei Wochen das kommunale Vorkaufsrecht. Nach all dem Engagement klingt Alexander vor allem bitter: Die Hausgemeinschaft habe Angst vor den neuen Besitzern und fürchte nun Verdrängung. Gleich mehrfach nach dem Urteil, zuletzt am vergangenen Samstag, demonstrierten Mieter*innen verschiedener, aber nicht nur betroffener Häuser für die Reparatur des Vorkaufsrechts.
Kaputtes Recht reparieren
Mit dem Vorkaufsrecht konnte der Bezirk in Milieuschutzgebieten Häuser zugunsten eines öffentlichen Wohnungsunternehmens erwerben, wenn private Investoren auf Betongold-Shopping-Tour Wohnraum kaufen wollten. Abwenden konnten Käufer*innen diesen Eingriff des Bezirks nur, wenn sie sich für einen bestimmten Zeitraum auf soziale Ziele wie den Verzicht auf Luxusmodernisierungen oder Umwandlung in Eigentum verpflichten und eine sogenannte Abwendungsvereinbarung unterzeichneten. Allein Friedrichshain-Kreuzberg mit seinem umtriebigen grünen Stadtrat Florian Schmidt hat so in den vergangenen Jahren 2.800 Wohnungen gerettet.
Mit dem Urteil ist das Vorkaufsrecht praktisch kaputt. Das Bundesverwaltungsgericht schaffte die bisherige Praxis zugunsten der Kapitalinteressen und wider soziale Realitäten ab und kassierte damit die bisherige Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte ein, die das Baugesetzbuch und das Vorkaufsrecht zugunsten von Mieter*innen interpretiert hatten. Die genaue Urteilsbegründung steht noch aus, aber sicher ist: Die Mieter*innen, deren Kämpfe andauern oder bei denen noch Widersprüche und Klagen laufen, haben verloren.
Berlin versucht immerhin, das Vorkaufsrecht wiederzubeleben: Der rot-rot-grüne Senat forderte umgehend, das Baulandgesetzbuch zu überarbeiten, und hat am Freitag eine Bundesratsinitiative eingebracht, um das Gesetz nachzuschärfen. Aber weil die CDU in vielen Ländern regiert und die FDP Teil der Ampelkoalition ist, bleibt bis auf Weiteres unklar, inwiefern das tatsächlich auch geschehen wird. Laut einer eher vagen Formulierung im Koalitionsvertrag will Rot-Grün-Gelb aber zumindest „prüfen“, inwiefern sich aus dem Urteil „Handlungsbedarf ergibt“.
Deutlich besserer Stimmung sind nach dem Urteil hingegen Anwält*innen der Immobilienwirtschaft. In einem Newsletter fordert etwa die Kanzlei Seldeneck und Partner ihre Klient:innen bereits dazu auf, „abgeschlossene Abwendungsvereinbarungen auf ihre Gültigkeit prüfen zu lassen“. Zwischen den Zeilen lässt sich erahnen, dass man sich schon die Hände reibt beim Gedanken daran, die von Mieter*innen und Bezirken mühsam errungenen Sozialstandards wegzuklagen.
Wenig Hoffnung für aktuelle Vorhaben
Michael Plöse, Verwaltungsrechtler mit Interessensschwerpunkt für kommunale Selbstverwaltung, stimmt mit dieser Kanzlei nur in einem Punkt überein: „Bestehende Vereinbarungen werden Gegenstand einer juristischen Schlammschlacht, an der vor allem Juristen verdienen.“ Plöse ist Mitglied beim Republikanischen Anwält*innenverein RAV, und auch aus seiner Sicht könnte Mieter*innen in Milieuschutzgebieten vor allem eine schnelle gesetzliche Regelung helfen. Für diejenigen, deren Verfahren wie bei einigen im Vorkaufsrat in der Schwebe ist, hat er leider wenig Hoffnung, letztlich hänge dies vom Einzelfall ab.
Michael Plöse, Jurist
Hinsichtlich abgeschlossener Vorkäufe ist er aber zumindest der Überzeugung, dass diese weiterhin Bestand haben werden, wenn keine Widersprüche oder Klagen gegen deren Ausübung anhängig sind – die Berliner Verwaltung sieht das ähnlich. Bei den Abwendungsvereinbarungen, die als öffentlich-rechtliche Verträge geschlossen wurden, ist die Lage komplexer: Da könne es laut Plöse sogar möglich sein, dass in Einzelfällen langfristige Vereinbarungen zu Miethöhen und Umwandlungen in Eigentum angreifbar sind. Von einer generellen Nichtigkeit der Vereinbarungen geht Plöse allerdings nicht aus. Eine genaue Bewertung hänge letztlich von der noch ausstehenden Urteilsbegründung ab.
Plöse sagt zum Urteil: „Hier wurde gefestigte Rechtsprechung umgekippt: Man kann vor dem Entstehungshintergrund des Gesetzes eigentlich herauslesen, dass der Gesetzgeber diese Auslegung nicht wollte“. Allerdings habe der Gesetzgeber mit einem missverständlichen Wortlaut im Baugesetzbuch die Steilvorlage für das Urteil gespielt, insofern sei der Beschluss nachvollziehbar, wie Plöse auch einräumt.
Immerhin ließe sich die Ausübung des Vorkaufsrechts aber relativ leicht wiederherstellen, so der Jurist. Man müsse im Gesetz verankern, dass es ein Vorkaufsgrund ist, wenn abzusehen ist, dass Käufer*innen das Grundstück aufwerten wollen. Den ersten Schritt dafür hat der Senat mit der Bundesratsinitiative immerhin getan.
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