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Vordenker des PostkolonialismusReale Fiktionen

Achille Mbembe, Virtuose der Vernunftkritik, analysiert die Erfindung des „Negers“. Sein Essay verspricht eine neue Perspektive auf die Weltgeschichte.

Achille Mbembe benutzt das N-Wort. Bild: Imago/Westend61

Es hat sich herumgesprochen: „Europa bildet nicht mehr das Gravitationszentrum der Welt“, wie Achille Mbembe unzweideutig formuliert. Nichts hat Europa nötiger, als neue Sichtweisen kennenzulernen – auf das, was hinter ihm liegt und doch seine Gegenwart mitbestimmt. Mbembes Essay „Kritik der schwarzen Vernunft“ verspricht eine neue Perspektive auf die Weltgeschichte. Der Titel erinnert an Jean-Paul Sartres großes Werk „Critique de la raison dialectique“, dessen Titel wiederum mit den kantischen Vernunftkritiken kokettierte.

Mbembe scheut sich nicht, Begriffe wie „Neger“ und „Rasse“ neu zu durchdenken. Was sagen wir, wenn wir von „Negern“ und „Rasse“ sprechen? Mbembe benutzt diese Wörter ohne Anführungszeichen. Er behandelt sie als reale Fiktionen. Es geht um die Geschichte einer Welt, die diese Kategorien hervorgebracht hat.

Mbembe setzt drei Phasen an; er lässt seine „Biographie einer schwindelerregenden Verbindung“ mit dem transatlantischen Sklavenhandel (15.–19. Jahrhundert) beginnen. Die zweite Phase setzt am Ende des 18. Jahrhunderts und mit dem „Early Negro Writing“ ein und endet hundert Jahre später mit dem Zusammenbruch des Apartheidsystems.

In der schwarzen Emanzipationsliteratur bedient Mbembe sich reichlich, um die Gegenwart zu beschreiben. Die neue Epoche nennt er eine „Ägide des Neoliberalismus“, die durch universale Kommodifizierung, globale Migration und Gleichgültigkeit gekennzeichnet sei. Mbembe konstatiert eine potenzielle Verschmelzung von Kapitalismus und Animismus, die zu einer universalen Ausdehnung der Conditio nigra auf die subalterne Weltbevölkerung führt. Dieses Schwarzwerden der Welt steht im Zentrum von Mbembes „Kritik der schwarzen Vernunft“.

Ein Strudel neuer Schlagwörter

Das Buch

Achille Mbembe: „Kritik der schwarzen Vernunft“. Aus d. Franz. v. M. Bischoff. Suhrkamp, Berlin 2014, 332 S., 28 Euro

Muss das alles so kompliziert ausgedrückt werden? Mbembe zeigt sich dem Leser als ungeheuer belesener Intellektueller, der das Fortleben des Rassismus in einer sich aufgeklärt vorkommenden Welt immer wieder sichtbar macht. Denn mit dem Ende des short century, mit dem auch die Dekolonisierungsperiode abgeschlossen wurde, ist der Rassismus keineswegs abgeschafft worden, sondern er erscheint als „Rassismus ohne Rassen“ (Eric Fassin) globalisiert.

Mbembes Arbeit dient als Schlussteil einer Trilogie, die er mit „De la postcolonie“ 2000 begann und mit „Sortir de la grande nuit“ 2010 fortgesetzt hat.

Sein neuestes Buch nennt Mbembe eine „Arbeit über den Afropolitanismus“. Wer sich nicht auskennt, wird im Strudel neuer Schlagwörter untergehen. Mbembe erwartet und verlangt viel vom Leser, der sich in eine komplexe Debatte über afrikanisches Selbstbewusstsein nach Ende des Kolonialismus hineinlesen muss. An den afrikanischen Nationalismus glaubt ohnehin niemand mehr, so wenig wie an den afrikanischen Sozialismus. Beide sind durch räuberisch-korrupte postkoloniale Eliten zu einem Schreckgespenst geworden.

taz.am Wochenende

Vor einem Jahr gingen die Menschen in Kiew auf die Straßen, der Maidan wurde zum Ort ihrer Revolution. Ein Theaterstück zum Jahrestag lesen Sie in der taz.am wochenende vom 21./22. Februar 2015. Außerdem: Unser Autor ist per Bus von Deutschland in die Ukraine gefahren. Seine Mitreisenden sind die, in deren Land Krieg herrscht. Und: Weil China wächst, will die Regierung den Reis als Grundnahrungsmittel durch die Kartoffel ersetzen. Aber sie schmeckt den Chinesen nicht. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen http://taz.de/we

Aber auch die afrikanischen Renaissancen – Négritude, Nativismus – konnten sich mit ihrer gespielten Naivität in einer sich globalisierenden dynamischen Welt nicht behaupten. Der nationalismus- und nativismuskritische Sinn seiner Schriften macht Mbembe lesenswert. Auch der Gedanke, Afrika spiele sich nicht nur in Afrika ab, erschließt neue Sichtachsen. Der Afropolitanismus versucht, afrikanische Erfahrung neu zu fassen – ein inklusives Konzept, das nicht in schwarzafrikanischer Solidarität aufgeht.

Mit allen akademischen Wassern gewaschen

Mbembe präsentiert seinem internationalen Publikum ein Feuerwerk von Ideen; er bietet einen reichen Synkretismus an. Aber manchmal ist man auch erschöpft von seiner Art brillierenden Schreibens. Die kraftvolle Sprache Aimé Césaires und Frantz Fanons hat es ihm angetan. Aber diese stammt noch aus einer Zeit – der Zeit der Dekolonisation –, die eine harte und klare Diktion erforderte.

Im Vergleich zu diesen beiden schriftstellerischen Größen des letzten Jahrhunderts wirkt Mbembe wie ein Showstar, der, mit allen akademischen Wassern gewaschen, seine Identitätssuche in aller Öffentlichkeit betreibt. Bei ihm hat eine hybride kosmopolitische Kultur die Politik abgelöst. Die Reflexion tritt hinter der Selbstdarstellung zurück. Die veränderten Lebensbedingungen spiegeln sich in den Titeln. Die „Kritik der schwarzen Vernunft“ ist mehr als fünfzig Jahre von Fanons „Verdammten dieser Erde“ entfernt.

Mbembe nennt Fanons Werk ein Projekt, das er fortsetzen möchte. Fanon nahm die Wissenschaft in den Dienst eines Emanzipationsversuchs, Mbembes afropolitanische Lebenshaltung profitiert von den gescheiterten Anstrengungen der Vergangenheit. Der Intellektuelle Mbembe fühlt sich auf den Bühnen der Eliteuniversitäten und internationalen Kongresse ganz zu Hause, obwohl er die Conditio nigra einer rassistischen Welt noch nicht aus dem Auge verloren hat.

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6 Kommentare

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  • Wie schön, das es jetzt auch intellektuelle Afrikaner gibt. Das wertet den belanglosen Diskurs des weißen Mannes (formerly know as "Theorie") ungeheuer auf. Ist eben doch eine Weltsprache, dieser Diskurs des internationalen akademischen Proletariats, haltlos bis auf ein paar kodifizierte Begriffe und Bling-Bling-Ideen. Identitäten werden daraus nicht wieder entstehen. Da sucht der schwarze Mann vergeblich.

    • @die kalte Sophie:

      Die kalte Hand am warmen Hinterkopf des Bahnwärters -

       

      aber - mit Verlaub - da kann ich mir auch keine Tasse Kakao drauf rühren;

      Sie haben da sicherlich was Frugaleres in petto¿

      • @Lowandorder:

        Gar nix Frugales, leider. Mich stört diese Denke in Gegensatz-Paaren, die heute überall schon "Dialektik" heißt.

        Das reimt sich dann auf Weltgeschichte, und davon gibt's 'ne afrikanische Perspektive, weil Europa ein Fluchtzentrum geworden ist. Das ist doch reinstes ReMix, und nix Neues. Übrigens impliziert der Begriff "Weltgeschichte" eine totale Perspektive. Es gibt also gar keine afrikanische Variante, weil es nur ein afrikanisches Kapitel davon gibt...

         

        Sie verstehen mein Dilemma! Ich wüsste gar nicht, wo ansetzen mit dem Rotstift. Vertikale Wellen-Linie am Rand, von oben bis unten (falls der Artikel den Inhalt korrekt wiedergibt).

        • @die kalte Sophie:

          Scheint ein psychisches Phänomen zu sein, was Sie da beschreiben. Die "Alten" (Europas etablierte "Denker" - oder soll ich lieber Schwätzer schreiben?) nehmen die Jungen (nachwachsende Afrikaner) vor allem dann mit Wohlwollen zur Kenntnis, wenn sie ihnen nach dem Munde reden. Das hat wahrscheinlich was mit dem Bedürfnis der inzwischen völlig abgehobenen E(uro)liten zu tun, auch morgen noch irgendwie wesentlich zu wirken, obwohl sie außerhalb des eigenen Dunstkreises (ganz zu Recht) nicht mehr groß wahrgenommen werden. Echte Relevanz wird dieser schwarze "Hoffnungsträger" vermutlich genau so wenig entfalten wie seine eitlen weißen Lehrmeister. Dazu, schließlich, müsste er erst einmal an die Köpfe und Herzen der Leute ran, die an einer Veränderung der katastrophalen Lage interessiert sein müssen, und nicht nur an die Geldbeutel und die Zeitungsspalten derer, die sich eine Fortsetzung des ewig gleichen alten Trauerspiels wünschen müssen, weil sie was zu verlieren haben.

          • @mowgli:

            Ja, ein psychologisches Phänomen. Die geistesgeschichtliche Phase, die man kurz und knackig "Theorie" nannte, ist eigentlich schon vorüber. Aber durch internationale/-kontinentale Anerkennungs-Diskurse gibt es einen beträchtlichen Hangover. Und inzwischen werden die Menschen uralt. Das dauert und dauert. Von Zukunft keine Spur.

            Die Forschung, die zu betreiben wäre, muss jener gerade erst vergehende Phase gelten, als man mit hohem sittlichen Ernst nicht-verifizierbare Theorien vom Wohlwollen eines akademischen Kollegiats abhängig machte, und daraus Wahrheits-Mehrwerte gewann.

             

            Eliten waren es aber nicht, wenn ich das einwenden darf. Die akademische Existenz muss sich mit immer mit dem "Goldenen Ghetto" abfinden. Von den Alten, wie Sie sagen, war keiner "Elite". Das wäre ja noch schöner, volle C4-Professur und Geistesgeschichte schreiben... --Wovon träumen die nachts?!

  • Danke - ein feiner kenntnisreicher unaufgeregter Beitrag.

     

    ". . .Mbembe benutzt diese Wörter ohne Anführungszeichen. Er behandelt sie als reale Fiktionen. Es geht um die Geschichte einer Welt,

    die diese Kategorien hervorgebracht hat.. . . . "

     

    Es wäre schön - wenn alle Blockwarte&N&Z-Wortjäger in der taz und anderwo -

    eiverbibscht&verbaxt- newahr - sich selbiges mal in aller Ruhe zu

    Gemüte führen würden - und Ruhe im Karton wäre -

    wenigstens mal bis die nächste Sau durch´s Dorf getrieben wird.

    Danke.