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Vorbeugehaft für Klima-AktivistenHeulen mit den Wölfen

Kommentar von Plutonia Plarre

Mit der Forderung nach Verschärfung der Vorbeugehaft hat die SPD den Wahlkampf eröffnet. Polizeipräsidentin Barbara Slowik lieferte die Vorlage.

Trio infernale: Franziska Giffey, Iris Spranger und Barbara Slowik (von links) Foto: dpa

H arte Maßnahmen gegen die Aktivisten der Letzten Generation müssten her – Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey und Innensenatorin Iris Spranger (beide SPD) lassen an ihrer Haltung keinen Zweifel. Mit einer Wortwahl, die suggeriert, die Sicherheit des Abendlandes stünde auf dem Spiel, inszenieren sich die beiden als Frauen der Tat. Polizeipräsidentin Barbara Slowik liefert die Vorlage.

Einige Kostproben: „Wir greifen durch“, erklärte Giffey. „In Geiselhaft“ würden die Klimaaktivisten die Berliner Bevölkerung nehmen, befand Spranger. Polizei und LKA arbeiteten mit allen Mitteln, „um unsere Stadt aus dem Würgegriff dieser Protestaktionen freizubekommen“, erklärte Slowik. Zu „Klima-Terroristen“ und „Klima-RAF“, von der schon CSU-Bundespolitiker schwadronierten, ist es da nicht weit.

Giffey und Spranger sind dafür, dass Menschen, die sich auf der Straße festkleben, um eine schärfere Klimapolitik durchzusetzen, langfristig aus dem Verkehr gezogen werden. Das Problem ist nur: Die Justiz macht da nicht mit. Kein Berliner Gericht ist bisher so weit gegangen, die Teilnahme an friedlichen Straßenblockaden mit Freiheitsstrafen zu sanktionieren. Das wäre auch noch schöner.

Was also tun? Die Polizei löst das Problem selbst, indem sie die Blockierer über den Hebel des Unterbindungsgewahrsams festsetzt. Das Motto: Wenn die Justiz zu schlaff ist, setzt die Polizei den Freiheitsentzug eben über Umwege durch.

Das und nichts anderes ist die Botschaft, wenn Spranger, wie Anfang der Woche geschehen, eine Verlängerung der Vorbeugehaft fordert, die in Berlin auf 48 Stunden begrenzt ist. Was für ein Zeitrahmen ihr vorschwebt, beantwortete die Innensenatorin nicht. Nur so viel: Ganz so schlimm wie in Bayern, wo gegen Straßenblockierer bis zu 30 Tagen Vorbeugehaft angeordnet werden können, solle es nicht sein.

Keine Chance auf Realisierung

Dass die Forderung keine Chance hat realisiert zu werden, solange die Grünen und die Linken mitregieren – egal. Es ist Wahlkampf. Bei der Autofahrerlobby und rechten Wählerkreisen wird die Botschaft ankommen. Bestärkt dürften sich auch jene fühlen, die schon die ganze Zeit finden, mit dem Klimaaktivisten werde viel zu lange gefackelt. Schon jetzt mehren sich die Anzeichen, dass Polizisten beim Abräumen der Blockaden radikaler vorgehen als noch vor einigen Wochen. Sprangers Äußerungen dürften von ihnen als Bestätigung empfunden werden.

Dass diesen Beamten die Polizeiführung auf die Finger klopft, ist auch nicht zu erwarten. Polizeipräsidentin Slowik hatte kürzlich in einem Zeitungsinterview eine „extreme zusätzliche Arbeitsbelastung“ durch die Klimaktivisten beklagt und dabei auch das Bild vom „Würgegriff“ verwendet.

Vor Spranger hatte Slowik gefordert, die Vorbeugehaft wieder zu verlängern. Dazu muss man wissen: Der Zeitrahmen ist in Berlin in letzten zehn Jahren mehrfach verändert worden, je nach Farbe der Regierungskoalition. Die SPD-CDU-Koalition mit Frank Henkel als CDU-Innensenator hatte 2015 aus zwei Tagen Vorbeugehaft vier gemacht. Und Rot-Rot-Grün 2021 aus vier Tagen wieder zwei.

Fußnote am Rande: Es war damals nicht die Polizeiführung, die Henkel für die Vorschärfung mit populistischen Vergleichen die Vorlage geliefert hatte. Im Gegenteil. Die jetzige Generalstaatsanwältin Margarete Koppers, seinerzeit amtierende Polizeipräsidentin, hatte sich ausdrücklich dagegen positioniert, als das Thema bei den SPD-CDU Koalitionsverhandlungen auf der Agenda stand: „Ich sehe dafür keine Notwendigkeit“, so Koppers damals.

Eine Polizeipräsidentin, die Standing hat und nicht mit den Wölfen heult – das würde man sich auch heute wünschen.

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Redakteurin taz.Berlin
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11 Kommentare

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  • Wie können wir Wiederholungstäter verhindern? Darauf braucht es eine Antwort. Restriktive Vorbeugehaft ist sicher nur in Einzelfällen eine Antwort. In der Regel kaum verhältnismäßig.

    Vielleicht findet sich eine Kombination von Platzverweisen nebst rigoroser Kostenbeteilung für Wiederholungstäter?

  • Die Tatsache sich dem Wahlgericht stellen zu müssen, scheint bei Manchen zu (zumindest mindest vorgeschobener) Beachtung des Volkswillens zu führen. -Notfalls das Gesetz per Volksbegehren durchsetzten!

  • Liebe Friedens-Aktivisten-Menschen!



    Frieden vor Klima, zuerst für Frieden auf der Welt sorgen, für



    Demokratisierung und Entmilitarisierung, dann kann man sich gemeinsam ums Klima kümmern.



    Klebt euch lieber vor dem



    Haupteingang zur russischen Botschaft fest anstatt in Museen, sodass die Schänder der Menschheit über euch hinwegsteigen müssen, bzw. auf euch treten müssten, was aber wieder eine Straftat wäre. Richtet eure Wut gegen diese Bestien der Unmenschlichkeit, sabotiert sie,



    ärgert sie, provoziert sie, entmachtet sie, verschrottet ihre Atomwaffen und alles andere gleich mit, weltweit, reißt die russische Jugend mit euch, bis die Schlächter endlich entnervt aufgeben.



    Dann habt ihr das Lob und die Bewunderung von allen auf immer und ewig, auch eurer Kinder, die nicht unter einer Diktatur der Bluthunde leben müssen, oder auf strahlenverseuchter Erde.



    Und dasselbe macht ihr dann mit China, mit Nordkorea und dem Iran.



    Und dann, wenn die Welt endlich endlich endlich menschlich geworden ist, dann kann man sich gemeinsam ums Klima kümmern.



    Nebenbei bemerkt: Wir steuern wieder auf die nächste Eiszeit zu mit einer kilometerdicken Eisschicht über der gesamten nördlichen Erdhalbkugel, nur ein gewisser CO2 Gehalt der Luft kann das verhindern. CO2 ist ein natürliches Gas, dessen Anstieg in der Erdgeschichte jeweils



    den Wechsel von den Eis- zu den Zwischenzeiten bewirkt hat, in der wir auch jetzt gerade wieder leben. Wir sollten also dafür sorgen, dass immer ein bestimmtes CO2 Level gehalten wird.

  • Zuallererst herrscht in Berlin gerade Wahlkampf. Die gerichtlich festgestellte, unrechtmäßig gewählte Berliner Regierung muss ihr Amt verteidigen und ist auf Stimmenfang.

    Humor wäre wenn Frau Giffey und ihr Team sich gegen den Gerichtsbeschluss protestierend vor dem Brandenburger Tor auf der Straße festkleben würden.

    Ein wenig mehr Humor würde uns allen gut tun. Würden die Klebeproteste in Köln stattfinden, würden die Kölner fragen, ob die Sezession schon angefangen hätte.

    Ein Glück, das Köln nicht Bundeshauptstadt geworden ist. Sonst wüssten wir schon per Definition nicht, wie das tagtägliche Regierungsgeschehen zu deuten wäre.

    Protest ist ein Grundrecht. Und mal ehrlich, was ist ein Verkehrsstau mehr oder weniger in der Hauptstadt gegen Müllberge in den Straßen, weil z.B. die Müllabfuhr bestreikt wird? Oder die Bahn lahm liegt, weil die Lokführer streiken. Oder oder oder...

  • 6G
    655170 (Profil gelöscht)

    Habe ich etwas verpasst?



    Übersehen bzw. überlesen?



    Hat die SPD in Berlin nicht wenigsten ein klitzekleines Sätzchen gegen die rechte Gewalt im Programm?



    Die Positionen, die im Artikel zu finden sind, decken sich auffallend mit denen der "AfD" und der demokratischen Rechten "C"DU und "CS"U. Hat sich die SPD (zumindest in Berlin) auf deren Terrain neu verortet?



    Die Mittelinks-Episode dauerte erstaunlich kurz bzw. war wohl stets nur für die Wahlplakate und Wahlkampf-Theateraufführungen gedacht.

  • die klima-kleber nehmen die berlner in geiselhaft - alle? reden sie bitte nicht fuer mich, frau giffey, ich schaue auf, zu den klima-klebern! es sind helden! tja, jetzt stehen wir alle schoen bloed da, es wollte je keiner so weit kommen lassen, aber 50 jahre harter kfz-lobbyismus hat uns jetzt hierher gebracht. in berlin werden jedes jahr mehr kfz zugelassen, als im vorigen. exponentielles wachstum. wollten wir das alle so? nicht direkt, aber jeder darf ja machen, was er will, persoenliche freiheit, und so.



    seit 15 verfickten jahren fahre ich in dieser stadt fahrrad aus ueberzeugung, und wissen sie was, frau giffey und frau slowik? sie haben null fuer die sicherheit fuer fahrradfahrende getan. null. nein, sorry, immer weniger. sie lassen es zu, dass einige verrueckte in ihr fahrzeug steigen und auf jagd gehen. ich erlebe es jeden tag, wie geisteskranke menschen in ihren fahrzeugen mich abdraengen, in hoechste not und gefahr bringen, anhupen, bespucken, beleidigen, mich fast ums leben bringen. nichts machen sie dagegen. kein tempolimit, keine verschaerften kontrollen, kein lob fuer die menschen, die auf das auto verzichten und die klimafreundliche fortbewegung des fahrrads waehlen. kein wechsel bonus, keine abwrackpraemie. nichts. gar nichts. ich sehe nichts ausser ganz, ganz lautes schweigen. sie haben null respekt fuer radfahrende. sie koennen sich noch nicht mal in deren perspektive versetzen. sie wissen gar nicht um die realitaet. denn dann wuerden sie zu jedem fahrzeug, was sich auf weniger als 1,5m einem radfahrenden naehert, mit 60 durch die 30er zone rast, als terroristen bezeichnen und hart vorgehen, sie wuerden sofort die erlaubnis einziehen, sie wuerden gefaengnisstrafen verhaengen, sie wuerden autos verschrotten lassen. empfinden sie die autolawinen, die sich stinkend durch die stadt schieben, nicht als wuergegriff? nehmen zuviele kfz nicht den rest der bevoelkerung in geiselhaft? ich glaube, sie haben null ahnung von der verkehrswirklichkeit. null.

    • @the real günni:

      Wow. Danke für diese Worte. Das sind genau meine Gedanken - nur hätte ich das nie so perfekt in Worte fassen können. Es spricht mir und sicher vielen andere Menschen die Rad in dieser Stadt fahren aus dem Herzen.

    • @the real günni:

      Danke für Ihre deutlichen Worte.!!

      Ich finde man sollte alle Autofahrer... und alle verantwortlichen Politiker verpflichten.!! mal eine längere Zeit mit dem Fahrrad zu fahren, denn ich glaube:

      "sie wissen nicht was sie tun"...

  • Die SPD und die Polizei haben den selben feuchten Traum. Mit Rechtsstaatlichkeit hat das wenig zu tun.

  • Eine härtere Gangart gegen rechte Gewalt fordert interessanterweise keiner. Obwohl auch das ein Problem sein kann.



    Politisch könnte man aber auch anders vorgehen. Weniger Autos in Städten, Tempolimits auf Autobahnen, Verbesserung des ÖPNV auch auf dem Land,…….



    Leider ist das wohl nicht für einen Wahlkampf geeignet….

    • @pesetenpaule:

      ???

      Eine härtere Gangart gegen rechte Gewalt wird doch regelmäßig gefordert.

      Derzeit sind nur gerade andere im Fokus.

      Eine Verbesserung des ÖPNV auf dem Lande und Tempolimis auf Autobahnen wird in Berlin nicht der Wahlkampfrenner werden, meinen sie nicht auch? :-)