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Vor der Wahl in GriechenlandFür Tsipras sieht es schlecht aus

Rentnerin Meni Rapti will Syriza ihre Stimme geben – obwohl sie von ihr enttäuscht ist. Dennoch droht der linken Regierungspartei eine Schlappe.

Enttäuscht: die Anhänger der Regierungspartei Syriza bei einer Wahlveranstaltung Mitte Juni Foto: reuters

ATHEN taz | Wenige Tage vor der Parlamentswahl in Griechenland ist es verhältnismäßig ruhig auf den Straßen von Athen. Keine großen Kundgebungen der Parteien. Nur ein paar Wahlstände sind auf Plätzen in der griechischen Hauptstadt zu sehen, und das längst nicht auf allen. Vor den Ständen stehen gelangweilte Wahlkämpfer und kaum mehr Besucher. Plakate der jeweiligen Kontrahenten hängen glanzlos in den Straßen. Es scheint fast, als seien die Wahlen bereits entschieden.

Die regierende Syriza wird an diesem Sonntag allen Prognosen zufolge ihre Macht zugunsten der liberal-konservativen Partei Nea Dimokratia verlieren. Es ist die Abstrafung einer enttäuschten Wählerschaft. Viele, die den Chef der linken Syriza, Alexis Tsipras, 2015 mit ihrer Stimme ins Amt des Ministerpräsidenten hievten, wenden sich nun ab. Die harten Einschnitte der Austeritätspolitik konnte er nicht mildern.

Im Gegenteil. Die Auflagen der Gläubiger aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds (IWF) waren für viele Griechen verheerend. Dass Tsipras versuchte, seinen Landsleuten Steuererhöhungen, Rentenkürzungen und Niedriglöhne als Reformen zu verkaufen, haben ihm viele übel genommen.

In einem Imbiss im Zentrum Athens läuft Wahlwerbung im Fernsehen. Zwei Männer, beide um die 70, lehnen an der Theke und zeigen in Richtung Mattscheibe. Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras spricht mit fast väterlicher Stimme direkt in die Kamera. Er spricht von der Wahl als Entscheidung zwischen Rückschritt oder Aufbruch und warnt vor neuerlicher Abhängigkeit, Unsicherheit und Ungerechtigkeit. Die beiden Senioren zucken mit den Achseln und machen eine abwinkende Handbewegung. Besonders unter Rentnern hat sich der griechische Ministerpräsident durch zahlreiche Rentenkürzungen unbeliebt gemacht.

Statt 1.200 auf einmal 830 Euro

Schräg gegenüber, auf der anderen Straßenseite, wohnt Meni Rapti. Die 74-Jährige sitzt auf der dunkelblauen Couch im Wohnzimmer ihrer kleinen Dreizimmerwohnung. Auch sie hat harte Einschnitte hinnehmen müssen. Bevor Tsipras die Renten kürzte, bekam die Frau 1.200 Euro pro Monat. Jetzt sind es nur noch 830 Euro. „Davon muss ich jeden Monat 340 Euro Warmmiete, Strom, Telefon und meine Bluthochdruckmedikamente, von denen ich 25 Prozent selbst tragen muss, bezahlen“, seufzt sie.

Da bleibe nicht mehr viel übrig. Und nein, von ihrer Tochter könne sie keine Unterstützung erwarten. Dazu schüttelt die Frau mit den kurzen schwarzen Haaren energisch den Kopf. Diese habe ja selbst nicht genug Geld, da sie keine feste Anstellung finden kann – Arbeitsplätze sind rar in Griechenland.

Meni Rapti hätte guten Grund, der Regierung bei der Wahl am Sonntag einen Denkzettel zu verpassen. Tut sie aber nicht „Ich wähle trotz alledem wieder Syriza“, sagt sie. „Denn die Regierungspartei wurde von den Gläubigern mit Sparauflagen dazu gezwungen, immer weiter zu kürzen.“ Sie könne sich gut vorstellen, dass Tsipras ein gerechteres Allgemeinwohl vorantreiben könnte – wenn man ihn nur lassen würde.

Seit August vergangenen Jahres befindet sich Griechenland nicht mehr unter dem sogenannten Rettungsschirm. Darauf bezieht sich Ministerpräsident Tsipras immer wieder in seinen Reden und Wahlspots. Er bittet seine Wählerschaft um eine zweite Chance. Die Syriza könne – ohne die Gläubiger im Nacken – jetzt endlich freier handeln, so Tsipras.

Gläubiger überwachen weiter das Land

Was er gerne verschweigt: Auch nach Ablauf des Hilfsprogramms wird Griechenland weiterhin von den Euro-Partnern überwacht. Bis 2022 muss das Land jährlich einen Primärüberschuss von 3,5 Prozent vorweisen, um Schuldenerleichterungen zu erhalten. Und: Erst im Jahr 2032 soll mit der Tilgung der Schulden begonnen werden.

„Der damals 38-jährige Alexis Tsipras mit seiner jungen Partei hat in seinen Wahlversprechen im Jahr 2015 den Mund ganz schön voll genommen“, sagt Rapti und wiegt lächelnd den Kopf. ­Tsipras habe damals immer wieder getönt, er würde keine Rentenkürzungen vornehmen, sich von den Gläubigern nichts vorschreiben lassen und vor allem für Arbeitsplätze im Land sorgen. „Natürlich ist die Enttäuschung der Menschen hier groß“, sagt Rapti. Doch Wut?

Nein, die Syriza herrsche schließlich nicht so schlimm wie damals die Nea Dimokratia. Damals brannten in Athen ganze Straßen. Die linke Syriza habe die Menschen viel besser vereinen können, nicht nur die Eliten. Und wenn es zu Straßenschlachten kam, knüppelte die Polizei die Proteste nicht einfach so nieder, wie es die Polizei auf Anordnung der Nea Dimokratia getan hatte.

„Die Linken sind doch sehr viel menschlicher“, schlussfolgert Rapti. Doch Sympathie allein reiche halt auch nicht. Es sei viel versprochen worden. Zu viel: keine Rentenkürzungen, bessere Löhne, niedrigere Steuern, die Oligarchen zur Kasse bitten und die Klientelpolitik abschaffen – nichts davon ist passiert.

Nea Dimokratia in Umfragen vorn

Deshalb sieht es schlecht aus für Alexis Tsipras und seine Partei. Bei etwa 28 Prozent der Wählerstimmen sehen die Meinungsinstitute Syriza kurz vor der Parlamentswahl am Sonntag. Alles deutet darauf hin, dass Tsipras sein Amt an den liberal-konservativen Spitzenkandidaten Kyriakos Mitsotakis (ND) verlieren wird. Der scheint sich unterdessen schon fast als Sieger zu sehen. Immer forscher tritt der zu Anfang zurückhaltend wirkende Konservative mittlerweile auf.

Die Botschaft der Nea Dimokratia in ihren Werbespots hält deutlich Kurs gegen ihre linken Kontrahenten: „Die letzten Jahre waren eine Odyssee, aber am 7. Juli schlägt die Stunde, wo wir vorangehen“, heißt es in einem der Wahlkampfspots im Fernsehen. Darin ist ein Schiff auf stürmischer See zu sehen. Man sei bereit und habe einen Plan, sagt Spitzenkandidat Mitsotakis und verspricht: „Starkes Wachstum für alle Griechen. Damit wir das schaffen, brauche ich Ihre Unterstützung.“

Eine Botschaft, die bei vielen Griechen gut ankommt. „Ich wäre froh, wenn sich Mitsotakis durchsetzten könnte“, sagt Ioannis Markopoulos. Der 67-Jährige arbeitet als Salesmanager einer internationalen Firma im Hardware- und Softwarebereich mit 120 Mitarbeitern. Sein Büro liegt im ersten Stock eines beigefarbenen Gebäudes im Zentrum Athens. Markopoulos sitzt an seinem Schreibtisch und nimmt Telefonanrufe entgegen, verhandelt mit unterschiedlichen Geschäftspartnern und führt Verkaufslisten.

„Ich werde nie das Chaos vergessen, das die ­Syriza mit ihren Kapitalsverkehrskontrollen angerichtet hat“, erinnert sich der hochgewachsene Mann mit den grau melierten Haaren. Damals konnten sowohl von Privatpersonen als auch von Firmen nur sehr geringe Geldbeträge abgehoben werden. Man sah sozusagen zu, wie das eigene Schiff unterging, erzählt er. Es kam zu zahlreichen Entlassungen.

Zahlreiche Entlassungen

„Die Nacht vorher konnte ich kaum schlafen“, erinnert sich Markopoulos. Am Morgen habe er dann die jeweiligen Mitarbeiter in den Meetingroom gebeten, um ihnen die Nachricht zu überbringen. „Ich wusste, was das für sie bedeutet – viele von ihnen haben Familie“, sagt der Salesmanager. Ihm selbst wurden die 1.680 Euro Monatslohn von 2012 bis heute auf 1.150 Euro gekürzt.

Etliche mittelständische Unternehmen brachte diese Politik zu Fall, sagt Markopoulos: „Durch die wirtschaftliche Instabilität, die die Syriza anfachte, wurden ganze Existenzen zerstört.“ Auch hätten Investoren das Land verlassen oder erst gar nicht hier investiert. Eigentlich war ein weiteres Wahlversprechen der Syriza im Jahr 2015: Griechenland solle wettbewerbsfähig und attraktiv für Investoren werden.

„Weit gefehlt“, sagt Markopoulos. Internationale Ranglisten präsentierten tragische Ergebnisse: Beim letzten Doing-Business-Ranking der Weltbank ist Griechenland zurückgefallen und liegt nun auf Rang 72. Im Vergleich dazu ist Bulgarien mit Platz 59 besser dran. Das Doing-Business-Ranking gilt weltweit als Indikator dafür, wie wettbewerbsfähig ein Land ist. Markopoulos ist überzeugt: Griechenland muss Investoren ins Land holen – nur so entstünden wieder neue Arbeitsplätze.

Zwar brüstet sich Tsipras, dass er die Arbeitslosenquote in seiner Legislaturperiode gesenkt hat. Tatsächlich ist sie von über 25 Prozent auf rund 18,5 Prozent gesunken. Dennoch ist das immer noch die höchste Arbeitslosenquote innerhalb der Europäischen Union. „Es ist doch nicht okay, jetzt damit zu prahlen, obwohl viele für einen Hungerlohn schuften und sich dennoch kaum über Wasser halten können“, sagt Markopoulos und schüttelt verärgert den Kopf. „Klar, in der Auflistung der Arbeitslosen kommen sie dann nicht mehr vor, das macht halt sich gut auf dem Papier“.

Als Jugendlicher sei auch er sehr links eingestellt gewesen, sagt Markopoulos und lächelt leise. Doch sobald er mit der Arbeitswelt konfrontiert wurde, habe er diese Ideologie verloren. „Alles andere ist doch realitätsfern. Die Politik wird – ob das gut ist oder nicht – durch die Wirtschaft geführt.“ So jedenfalls sieht das Markopoulos, der Salesmanager.

„Leben nicht so vorgestellt“

Meni Rapti ist kurz in der Küche verschwunden und kommt mit frisch gebrühtem Kaffee zurück ins Wohnzimmer. Sanft streicht sie über den weichen dunkelblauen Stoff ihres Sofas, wirkt für einen Moment abwesend. Dann sagt sie leise: „Natürlich habe ich mir mein Leben im Alter nicht so vorgestellt, doch das wäre mit einer konservativen Regierung, die die Sparauflagen der Austeritätspolitik erfüllen muss, genauso passiert“.

Und dann erzählt Rapti, wie sich ihr Alltag verändert habe: Vor jedem Gang in den Supermarkt schreibe sie sich heute genau auf, was sie brauche. Und sie habe Angst davor, krank zu werden. Denn das Gesundheitssystem ist nicht mehr intakt. Zahlreiche Ärzte haben Griechenland verlassen, die Lage in den staatlichen Krankenhäusern ist dramatisch. „Wenn du hier ernsthaft krank wirst, brauchst du Geld, um einen Arzt eines privaten Krankenhauses zu bezahlen“, erklärt Rapti. Ansonsten kann es sein, dass man über ein Jahr auf einen Operationstermin warten muss. Aber noch gehe es ihr gut. Sie lacht.

Für viele andere frühere Unterstützer ist die Syriza keine Linke mehr. Auch wenn sie gesellschaftspolitisch manches bewirkt hat. So war es für gleichgeschlechtliche Paare im orthodoxen Griechenland stets sehr schwer. Hier setzte die Regierungspartei immer wieder Zeichen für Offenheit und brachte letztendlich die zivile Partnerschaft für Schwule und Lesben durchs Parlament. Auch die sogenannte Flüchtlingskrise hat die Syriza bestimmt besser gelöst, als es die Konservativen getan hätten.

Die Menschen wurden in Griechenland aufgenommen, bis die EU den Pakt mit der Türkei schloss und die Menschen auf den Inseln festhielt. „Doch auch hier hat es die Syriza geschafft, immer wieder einige der Menschen aufs Festland zu holen“, sagt die Rentnerin. Sie macht sich nun sorgen, wie wohl die Konservativen mit den Flüchtlingen umgehen werden, falls sie Tsipras ablösen.

Was ist die linke Alternative?

Ja, all die Versprechungen, das sei ihr schon bewusst, sagt Meni Rapti. „Aber was soll denn bitte die Alternative sein? Es gibt keine Partei, die linker eingestellt ist, außer vielleicht die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE). Doch die sind zu klein, um etwas zu bewirken“, so Rapti. Sie habe niemals eine konservative oder rechte Partei gewählt. „Das könnte ich nicht. Das geht immer auf die Kappe der Menschen. Ich wähle also lieber das kleinste Übel“, sagt sie.

Die beiden Männer im Imbiss auf der anderen Straßenseite sind längst verschwunden. Zwei Frauen um die 30 haben jetzt an einem der Tische Platz genommen. Beide haben zu den Wahlen im Jahr 2015 Syriza gewählt. Beide von ihnen sind schwer enttäuscht. Noch immer arbeiten sie für sehr wenig Geld, noch immer haben sie keinerlei Absicherung. Die beiden Frauen diskutieren lange, welche Partei sie am Sonntag wählen könnten. Zu einem Ergebnis kommen sie nicht.

Es wird mit einer sehr niedrigen Wahlbeteiligung gerechnet.

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2 Kommentare

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Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Irre. Den Griechen gehört so gut wie nichts mehr im eignen Land- statt den deutschen Investoren die Tür zu zeigen, wählen die nun die, die sie hereingeholt haben um "Schulden abzubauen".

  • Linksliberale Kürzungspartei gibt ihre Regierungsmacht an eine Konservativ-liberale Kürzungspartei ab. Mehr nicht.



    Positiv: Gysis Eurolinke verliert erneut, Mélenchon dürfte jetzt mehr Gewicht bekommen.