Vor der Regierungsbildung in Spanien: Der Preis ist heiß
Carles Puigdemont fordert die Anerkennung der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung. Regierungschef Sánchez zeigt sich verhandlungsbereit.
Nach einer Auflistung der „Angriffe“ Spaniens auf die „katalanische Nation, eine der alten Nationen Europas“, vom Fall Barcelonas im Erbfolgekrieg 1714 bis hin zu der Absetzung seiner Regierung durch Madrid nach der Abhaltung eines Unabhängigkeitsreferendums 2017, forderte der im Brüsseler Exil lebende Puigdemont, „ein historisches Abkommen“, um „den Konflikt endgültig zu lösen“. „Spanien kann, wenn Spanien will“, betonte der Politiker, der mittlerweile im Europaparlament sitzt, mehrmals in seiner knapp halbstündigen Rede.
Puigdemont verlangte, dass „die Elemente des Konflikts angemessen identifiziert werden“. Er will ein Amnestiegesetz für all diejenigen, die wegen der Abhaltung des Referendums am 1. Oktober 2017 gerichtlich verfolgt werden. Neben hunderten von öffentlichen Angestellten und Beamten, die Schulen als Wahllokal öffneten, gehört dazu auch Puigdemont selbst. Ihm drohen in Spanien lange Haftstrafen, als einem der Hauptverantwortlichen für die Volksbefragung. „Der 1. Oktober war kein Verbrechen“, betonte Puigdemont. Ein Amnestiegesetz müsse noch vor den eigentlichen Verhandlungen als Gesetzesvorlage im spanischen Parlament eingebracht werden.
Außerdem forderte Puigdemont am Dienstag die Anerkennung der Unabhängigkeitsbewegung als „politisch legitim“ und die Anerkennung des „Rechts auf Selbstbestimmung“ für Katalonien, was eine Volksbefragung in beiderseitigem Einvernehmen beinhalten würde. Der gesamte Verhandlungsprozess sowie die Umsetzung des Vereinbarten müssten von unabhängigen Beobachtern überwacht werden.
Die Bedingungen für eine neue Sánchez-Regierung
Die Forderungen richten sich – auch wenn Puigdemont immer von den „beiden großen Parteien Spaniens“ sprach – an die Sozialisten von Ministerpräsident Sánchez. Zwar wurde seine PSOE bei den Wahlen am 23. Juli nur zweitstärkste Kraft, aber nur er ist der Lage, eine Mehrheit im Parlament für eine erneute Legislatur seiner Linkskoalition zu bekommen. Die PP stützt sich auf die rechtsextreme Vox. Weder Katalanen noch Basken wollen diesen Weg mitgehen.
Puigdemont ist nicht der Einzige, der in den letzten Tagen mit Forderungen auf Sánchez zuging. Auch der baskische Ministerpräsident Iñigo Urkullu verlangt eine neue Beziehung des spanischen Staates mit den „historischen Gemeinschaften“ – Baskenland, Navarra, Katalonien und Galicien. Er will eine Kommission, die untersucht, wie weit die Verfassung eine Ausweitung der Selbstregierung und eine weitgehend bilaterale Beziehung der vier Regionen mit eigener Sprache und der Zentralregierung zulässt. „Warum kann Spanien kein plurinationaler Staat sein, wie es bis ins 18. Jahrhundert der Fall war?“, schreibt Urkullu in einem Artikel in der spanischen Tageszeitung El País.
Während die PP all diese Ansinnen sofort als „nicht verfassungskonform“ vom Tisch wischte, zeigt sich Sánchez verhandlungsbereit, auch wenn er zur Einhaltung der derzeit gültigen Verfassung mahnt. Leicht werden die Verhandlungen nicht.
Sowohl aus dem Baskenland als auch aus Katalonien braucht Sánchez die Unterstützung von gleich zwei nationalistischen Parteien: der eher konservativen JxCat und Urkullus Baskisch Nationalistischer Partei (PNV) sowie der in Barcelona regierenden Katalanischen Republikanischen Linken (ERC) und dem baskischen Linksbündnis EH Bildu, das bei den Baskenwahlen im kommenden Jahr erstmals stärkste Partei werden könnte. In den Verhandlungen mit Sánchez wollen sie alle zeigen, dass sie die einzig wahren Vertreter ihrer Nation sind.
Sánchez hat rund ein Vierteljahr Zeit, kreative Lösungen innerhalb der Verfassung zu finden. Ende September wird erst einmal der Spitzenkandidat der PP, Alberto Nuñez Feijóo, im Auftrag von König Felipe VI. um das Vertrauen des Parlaments bitten. Erst wenn er scheitert, ist Sánchez an der Reihe.
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