Vor der Landtagswahl in Bayern: Ein paar Stunden eine bessere Welt
Der Widerstand gegen Rassismus ist eher lau – sogar vor der Landtagswahl in Bayern. Doch zur jüngsten Demo gegen Rechts in München kamen 35.000 Menschen
W o kommen all diese Menschen her? Ein Meer aus Demonstrierenden, Bannern, Regenbogenfahnen, Plakaten gegen rechts – und das am Odeonsplatz, der den Nazis im „Dritten Reich“ einst als zentraler Ort für Propagandaveranstaltungen diente.
Heute ist er zum Bersten voll mit Menschen, die sich gegen rechts positionieren. Auf dem Dach der Bayerischen Staatsoper um die Ecke weht eine meterhohe Fahne mit der Aufschrift „Humanität, Vielfalt, Respekt“. Als der Günther Sigl von der Band Spider Murphy Gang ruft, er wünsche sich ein Bayern „ohne braunen Dreck“, tönt und lärmt die Menge.
Zuerst sind es ein paar Tausend, dann Zehntausend, irgendwann 35.000 Menschen, die sich hier versammelt haben. Sonst wirkt es oft so, als wäre die Protestkultur in München im dauerhaften Winterschlaf.
Nachdem der bayerische Ministerpräsident Markus Söder beschlossen hatte, Hubert Aiwanger trotz der Antisemitismusvorwürfe im Amt zu lassen, bleibt der große Widerspruch auf den Straßen aus. Zu Recht fragen sich viele Menschen, warum sich in Bayern nicht mehr Widerstand regt. Im Gegenteil legen die Freien Wähler Hubert Aiwangers in Umfragen auch noch kräftig zu. Auch die AfD hat in Wahlumfragen zur Landtagswahl Zustimmungswerte von fast 14 Prozent. Vor einem Jahr lagen die Grünen noch 12 Prozentpunkte vor der AfD.
sitzt im Aufsichtsrat des Vereins Bellevue di Monaco, der die Demo gegen Rechts mit organisiert hat.
Zu einer Mahnwache zur Causa Aiwanger am Maxmonument vor dem Bayerischen Landtag kamen nur etwa 150 Menschen.
Spürbare Veränderung
Gleichzeitig wächst das Unbehagen unter vielen Schwarzen, jüdischen, queeren, muslimischen, migrantischen oder anderen von rechtsextremer Politik bedrohten Menschen.
Nun verändert sich spürbar etwas: auf der Straße, in den sozialen Medien, in der politischen Debatte. In den letzten Tagen bin ich immer wieder Teil von Unterhaltungen, in denen Menschen über das Auswandern nachdenken. Viele in meinem Umfeld in München haben jahrelang gegen Antisemitismus und Rassismus gekämpft, für eine andere Erinnerungskultur, die rechte Gewalt nicht nur in der Vergangenheit verortet; gegen eine politische Debatte, die den Ursprung gesellschaftlicher Probleme nicht immer wieder bei Migrant*innen sucht. Viele sind jetzt müde davon, haben Angst oder spüren ein erdrückendes Gefühl der Ohnmacht.
Doch am 4. Oktober ist für ein paar Stunden alles anders. München überrascht: 4.000 Menschen hatten die Veranstalter der Kundgebung „Zammreißen – Bayern gegen Rechts“ angemeldet, doch die Demo wird jeden Rahmen sprengen: Unablässig strömen mehr Menschen auf den Odeonsplatz. Eine Viertelstunde nach Beginn sind alle Zugänge schon verstopft, die Ordner*innen wirken recht hilflos dabei, die Menschenströme zu organisieren: junge und ganz junge Menschen, Kinder, aber noch mehr mittelalte und ältere Menschen.
Trotz der Massen ist die Stimmung friedlich, fast andächtig. Es wird nicht gerempelt oder geschubst.
OB, XR und FCB
Faszinierend ist, was für eine Bandbreite an Menschen unterschiedlicher Organisationen und politischer Orientierung sich hier für einen Nachmittag auf etwas einigen können: Der SPD-Oberbürgermeister Dieter Reiter ist hier, aber auch Mitglieder der Grünen, der Linken, von Fridays for Future, Extinction Rebellion, aber auch Uli Hoeneß vom FC Bayern.
Es tut über allen Maßen gut, für ein paar Stunden auf allen Seiten von Menschen umgeben zu sein, die den spürbaren Rechtsruck auch unerträglich finden. Die Solidarität zu spüren, die einem als Betroffener von Rassismus und anderen Arten der Menschenfeindlichkeit zu oft abgeht. Ich treffe auf die Leiterin des NS-Dokuzentrums, Mirjam Zadoff. Wir sind beide erleichtert.Einen Abend lang fühle ich mich von meiner Stadt umarmt. Ich bin versöhnt mit Bayern. Bei einem Moment wird es aber wahrscheinlich leider auch bleiben: Einen großen Wandel der Wählergunst wird es bis zur Landtagswahl am Sonntag nicht geben. Trotzdem zeigt es, dass Betroffene in ihrem Kampf gegen rechts nicht alleine sind – auch nicht in Bayern.
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