Vor den Wahlen in Thüringen: Gottesmutter schlägt Landesvater
In Thüringen mag Bodo Ramelow regieren, im Eichsfeld hat seit 1575 die katholische Kirche das Sagen. Aber sind die Eichsfelder gegen die AfD gefeit?
Die 59-jährige freundlich-resolute ehemalige Landesvorsitzende der Frauen-Union, die nach 21 Jahren mit einem weiteren Direktmandat für den Erfurter Landtag rechnen darf, spricht vom Eichsfelder, „der „zu Hause seinen Stil machen und in Ruhe gelassen werden will“. Die Uhren, jedenfalls die Jahres- und Wochenrhythmen, tickten hier anders. „ Bei uns ist der Sonntag noch ein Sonntag“, hört man überall. Die obligatorische Kirmes auch.
Dieser Landstrich im Westen Thüringens hat eine besonders abwechslungsreiche Topografie, steile Buckel mit haarigen Serpentinen, reich bewaldet, idyllische Täler, zeitlose Fachwerkhäuser. Nur wenige Großbetriebe brachten stilbrechende Neubauten in das ansonsten vom Handwerk dominierte Ländchen. Zweite Nationalreligion neben der katholischen ist im Eichsfeld die Fleischanbetung. Die Fleischereien auf den Dörfern haben die Wende überstanden. Das einzigartige Gehackte (bitte nicht Hackepeter!) sucht seinesgleichen, der Feldgieker gilt als sensationell.
Seit der Gegenreformation im 16. Jahrhundert sind die rund 100.000 Eichsfelder stramm katholisch. Vor der Machtergreifung der Nazis dominierte hier die Zentrumspartei so klar wie nach der Wende die CDU. Die dickfällig-freundliche Spießigkeit dieses Menschenschlags neigt zur Abwehr wechselnder Herrschaften.
Nazis scheiterten wie SED
Die NSDAP konnte hier ihren Kirchenkampf nicht so durchziehen wie anderswo. Nicht anders erging es der SED in der DDR. Erinnerlich ist noch eine Begegnung mit dem Pfarrer von Effelder im Jahr 1985, Heimat der Eichsfelder Dom genannten dreischiffigen Kirche. „Zwölf Genossen habe ich am Ort“, verkündete damals Norbert Borkowski im Stil des italienischen Romanhelden Don Camillo. „Die habe ich alle im Griff!“
Die SED versuchte, Industrie ins Eichsfeld zu bringen, auch, um damit auch einen Fuß in die Kirchentür zu bekommen. Markante Beispiele sind das Zementwerk Deuna und die 2013 endgültig liquidierte Baumwollspinnerei Leinefelde, die einmal 4.000 Menschen Arbeit bot. Mit ihren Bemühungen, das Eichsfeld auf Linie zu bringen, konservierte die SED aber eher dessen trotzigen Konservatismus.
Der fand seinen Adressaten in der CDU, nachdem in der Nacht des 9. November 1989 der Grenzübergang Teistungen nach Niedersachsen geöffnet wurde und der Trabi-Stau bis Nordhausen reichte. Vor der Volkskammerwahl am 18. März 1990 predigten die Pfarrer von den Kanzeln den Gläubigen, wen sie jetzt anzukreuzen hätten.
Die Brüche nach 1990 aber gingen auch am Land der Kontinuitäten nicht spurlos vorüber. Pfarrer Dominik Trost, der heute für den Eichsfelder Dom in Effelder zuständig ist, klingt ganz anders als sein handfester Vorgänger aus DDR-Zeiten: „Viele können ohne Gott und Kirche ganz wunderbar leben“, konstatiert er nüchtern. Das zusammenschweißende Feindbild des Sozialismus sei entfallen. Der 44-jährige Pfarrer sitzt im benachbarten Struth, denn die Kirchenstrukturreform infolge des Priestermangels und des Schwundes an Kirchenbesuchern hat auch das fromme Eichsfeld nicht verschont.
Bei Haussegnungen entdeckt er Kreuze oder den „Herrgottswinkel“ nur noch bei Älteren. Die beherrschten noch die Gottesdienstrituale und die „Kirchenschlager“ aus dem Gesangbuch, während die Kirche sonst auch im Eichsfeld mehr zu einem Dienstleistungsbetrieb für familiäre Großanlässe geworden ist. Nur die Wallfahrten wie etwa die der Männer zur Kirche Klüschen Hagis gelten weiterhin als gut besucht.
Gerhard Jüttemann war einmal Betriebsratsvorsitzender der Kalikumpel von Bischofferode, bis das Werk 1993 geschlossen wurde. „Ein für die Treuhand typisches Plattmachen der ostdeutschen Konkurrenz“, sagt er. Heute trifft man den vital wie eh und je wirkenden 68-Jährigen im Kalimuseum Holungen. Fotos, Fahnen, Dokumente und Solidaritätserklärungen werden gezeigt. Es sind die einzigen Überbleibsel, alle Schachtanlagen sind verschwunden außer einer gewaltigen Halde, die wie ein kleines Gebirge wirkt.
Von Jüttemann kann man etwas über die Gründe des Erfolgs der Linken in Thüringen erfahren. Etwa vom Vertrauen, das sich die Partei in den 1990er Jahren als Kümmerer erwarb. Und entgegen allen Weltuntergangsbeschwörungen vor fünf Jahren habe sich die Wirtschaftslage auch im Eichsfeld in den fünf Jahren der linksgeführten Koalition mit SPD und Grünen verbessert. Mit nur 3,3 Prozent ist die Arbeitslosenquote die zweitbeste aller Thüringer Kreise.
Nur mäßige Linke-Erfolge
Aber sackte nicht die Linke im Eichsfeld bei den Kreistagswahlen im Mai von 10,3 auf 6,9 Prozent ab? Der heutige Ministerpräsident Bodo Ramelow hatte das Eichsfeld einmal als „Gazastreifen von Thüringen“ bezeichnet. In diesem Jahr schmeichelte er sich bei einem Wahlkampfauftritt ein: „Das Eichsfeld ist immer ein Vorzeigekreis gewesen.“
Wenig überraschend bleibt die Linke wie einst die SED im Eichsfeld in der Diaspora. Dennoch hat sich 2018 in der gefühlten Hauptstadt Heiligenstadt eine 15-köpfige Linksjugend wiedergegründet. Drei von ihnen sitzen im Parteibüro in der malerischen Innenstadt, die am Abend wie ausgestorben wirkt. Dafür gibt es im Büro für den Gast ein Bier, wobei sich auch die Junglinken mit Neunspringer Bräu als Eichsfelder Patrioten erweisen.
Ihre Namen wollen sie allerdings nicht in der Zeitung lesen. Sie fühlten sich nicht unmittelbar bedroht, aber in der Verwandtschaft oft isoliert und von anderen als „Hetzer“ denunziert. „Im Eichsfeld wird es eher toleriert, wenn man rechts statt links ist“, heißt es. Diesem Mainstream wollen sie etwas entgegensetzen, ja sogar von einer Rebellion ist die Rede.
Ein Erfolg ist nicht messbar. Sie organisieren Bildungsveranstaltungen im Jugendklub „Villa Lampe“. Aber „animieren und nicht gleich radikalisieren“ klingt eher nach Eichsfeld, „Alles ist politisch“ nach späten Achtundsechzigern.
Erweisen sich die behäbigen Eichsfelder Kirchgänger dafür resistenter gegen den Rechtstrend, so wie vor 86 Jahren, als die NSDAP im März 1933 nur auf Platz vier landete? Die CDU hat bei den Kommunalwahlen im Mai zwar die absolute Mehrheit im Kreistag verloren, stellt aber immer noch die dreieinhalbfache Zahl der AfD-Kreisräte. Die AfD blieb mehr als vier Punkte unter dem Landesdurchschnitt.
Das beruhigt aber weder die Linksjugend noch die CDU. Der AfD-Landes- und Kreisvorsitzende Björn Höcke hat angekündigt, „den Erbhof der CDU sturmreif zu schießen“. Bei seiner Rede Ende September in Heiligenstadt antworteten mehrere Kirchen mit permanentem Glockengeläut. Höcke wiederum holte den Dresdner Europaabgeordneten Maximilian Krah ins Eichsfeld und ließ ihn erklären, warum auch Christen die AfD wählen sollten.
Höcke wohnt im Eichsfeld
Seinen Feldherrensitz, ein ehemaliges Pfarrhaus, hat Höcke in Bornhagen im äußersten Nordwestwinkel des Eichsfeldes. Im Dorf holte schon die NPD bei den Kommunalwahlen 2014 17 Prozent der Wählerstimmen. Im nur sechs Kilometer entfernten Fretterode wohnt der vielfach vorbestrafte NPD-Funktionär Torsten Heise, der auf seinem Grundstück ein Denkmal für die Panzerdivision der SS-Leibstandarte Adolf Hitler wiedererrichtet hat.
Pfarrer Dominik Trost runzelt die Stirn. Er befürchtet eine unangenehme Überraschung bei den Landtagswahlen am kommenden Sonntag. „Wenn der Pfarrer nicht so genau hinguckt, wird allerhand geredet an den Stammtischen!“
Aber nicht an allen. Im „Eichsfelder Hof“ zu Dingelstädt sitzen zwei Doppelkopfrunden. Höcke und die AfD kommen schlecht weg. „Der hat doch selber Migrationshintergrund, kommt aus Westfalen und Hessen und vereinnahmt hier den DDR-Widerstand!“, murren die Herren. „Da mache ich lieber drei Kreuze bei Christina!“ Gemeint ist Unionskandidatin Christina Tasch. Noch scheinen die Eichsfelder Gott und die CDU höher zu ehren als die Retter des vermeintlich untergehenden Vaterlandes.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut