Rot-Rot-Grün in Thüringen: Allen Untergangsprognosen getrotzt

Nach fünf Jahren klopft sich Thüringens Regierung auf die Schulter. Die drei Koalitionspartner würden am liebsten zusammen weitermachen.

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) scherzt mit seinen Stellvertreterinnen Heike Taubert (SPD) und Anja Siegesmund (Grüne)

Haben gut lachen: die rot-rot-grünen Landesvertreter*innen Taubert, Ramelow und Siegesmund Foto: Michael Reichel/dpa/picture alliance

DRESDEN taz | Es ist der Blick auf die Opposition, der in Thüringen zeigt, wie rund es für die Regierung eigentlich läuft. Mike Mohring wirke ziemlich bemüht, Angriffsflächen bei Rot-Rot-Grün zu entdecken, schilderte ein Radiohörer bei MDR Aktuell seinen Eindruck vom CDU-Spitzenkandidaten in Thüringen. In der Tat musste Mohring beim CDU-Wahlkampfauftakt am 3. Oktober das Geschäft der AfD betreiben und ein apokalyptisches Bild von Thüringer Zuständen zeichnen, um Wirkung zu erzielen. Ausgerechnet am Tag der Einheit denunzierte er überdies seinen Kontrahenten Bodo Ramelow von der Linken als „Gewerkschaftsfunktionär aus dem Westen“.

Die gesenkten Hörner der Union wirken wie ein Beleg für die überwiegend erfolgreiche Arbeit der ersten linksgeführten Koalition eines Bundeslandes. Die CDU-Kritik am Lehrer- und Polizistenmangel oder an schwacher Kommunalfinanzierung gleicht einem Eigentor. Linke, SPD und Grüne haben die rigide Sparpolitik und den Personalabbau der CDU-geführten Vorgängerregierungen gestoppt. Statt der im Koalitionsvertrag vorgesehenen 2.500 sind 3.900 Lehrer neu eingestellt worden, was freilich immer noch keine vollständige Unterrichtsversorgung sichert. Tausend Erzieherinnen mehr verbessern die Kita-Betreuung. Und das Volumen des Finanzausgleiches zwischen Land und Kommunen ist von 1,8 auf 2,1 Milliarden gewachsen.

Im November 2014 – kurz nach dem guten Ergebnis der Linken unter Bodo Ramelow – mobilisierte die CDU-Mittelstandsvereinigung viertausend Menschen, die auf dem Erfurter Domplatz mit Kerzen in der Hand den Untergang ihres geliebten Thüringen verhindern wollten. Hundert Tage nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten konterte Ramelow solche Ängste in seiner gewohnt trockenen Art: „Es gibt immer noch Bananen!“ Es gibt 2019 sogar den chinesischen Großinvestor CATL, der pünktlich zum Landtagswahltermin eine 1,8 Milliarden Euro teure Batteriefabrik ans Erfurter Autobahnkreuz baut.

Im Landtagsgebäude trifft man die ziemlich aufgeräumte Landes- und Fraktionsvorsitzende der Linken Susanne Hennig-Wellsow. Sie blickt sichtlich zufrieden auf eine mit den schlimmsten Orakeln begonnene Legislaturperiode zurück. „Wir haben keine einzige Abstimmung verloren!“ Dabei war Rot-Rot-Grün nur mit einer knappen Ein-Stimmen-Mehrheit gestartet.

An der Uneinigkeit der Oppositionsparteien CDU und AfD scheiterte im Dezember 2017 der Versuch, Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) zu einer Vertrauensabstimmung zu zwingen. Die CDU wollte damals Differenzen in der Koalition über die größtenteils gestoppte Gebietsreform ausnutzen. Vor allem eine Reduzierung der 17 Landkreise bei nur 2,1 Millionen Einwohnern galt als das zentrale Vorhaben der Koalition. „Die Kreisgebietsreform ist das einzige wirklich gescheiterte Projekt“, räumt der SPD-Fraktionsvorsitzende Matthias Hey ein und verweist auf die Widerstände in den Regionen.

Flickenteppich als „Segen“

In der Tat sind es nicht nur CDU-Politiker, die die historisch gewachsene Kleinstaaterei des Thüringer Flickenteppichs für einen „Segen“ halten. „Die Gebietsreform nicht um jeden Preis durchzuziehen hat dazu geführt, dass sie auf kommunaler Ebene freiwillig stattfindet“, dreht die Linken-Chefin hingegen die halbe Niederlage ins Positive.

In der Koalition knirsche es ab und an durchaus: Beim Vergabegesetz einigte man sich in der Frage des Mindestlohnes mühsam, über erweiterte Befugnisse der Polizei gelang das nicht. Aber in allen entscheidenden Momenten hielt RRG zusammen. Auch die gemeinsame Haltung gegenüber der AfD und dem Rechtsradikalismus habe zusammengeschweißt, meint Hennig-Wellsow. Thüringen hat einen Entschädigungsfonds für Opfer des rechten NSU-Terrors aufgelegt. „Die Koalition stand nie auf der Kippe“, sagt die Linken-Chefin.

Von Skandalen und personellen Ausreißern blieb die Regierung außerdem verschont. Nur der unglücklich agierende Innenminister Holger Poppenhäger (SPD) wurde durch Georg Maier ersetzt. Der erkrankten Kultusministerin Birgit Klaubert (Linke) folgte 2017 Helmut Holter.

Alle drei Koalitionspartner können nach den fünf Jahren spezifische Erfolge vorzeigen

Die Ergebnisse gingen teils über den Koalitionsvertrag hinaus. Statt einem gibt es so jetzt zwei beitragsfreie Kita-Jahre. Die Abschaffung der Straßenausbaubeiträge, erst im September rückwirkend zum Jahresanfang 2019 beschlossen, stand gar überhaupt nicht im Vertrag.

Alle Koalitionspartner können spezifische Erfolge vorzeigen. Die Grünen mit ihrer Umweltministerin Anja Siegesmund erreichten, dass 763 km des „Grünen Bandes“ am ehemaligen DDR-Grenzstreifen zum Nationalen Naturmonument erklärt wurden. Die Hälfte des in Thüringen erzeugten Stromes kommt aus erneuerbaren Quellen, wobei die mit den örtlichen Wäldern kollidierenden Windräder gerade von CDU und AfD zum Wahlkampfthema gemacht werden. Direkte demokratische Einflussnahme ist durch ein Mitbestimmungsgesetz verbessert worden.

Die SPD verweist indes gern auf die mit 5,5 Prozent niedrigste Arbeitslosenquote im Osten. Kehrseite ist allerdings, dass ein Drittel der Arbeitsplätze nur mit Niedriglöhnen vergütet wird. Finanzministerin Heike Taubert kann sich über eine Schuldentilgung von einer Milliar­de Euro freuen. Freilich standen der rot-rot-grünen Landesregierung dank der guten Konjunktur auch 5 Milliarden Euro mehr zur Verfügung als der Vorgängerin.

Man habe dieses Geld in Investitionen vor allem in die Infrastruktur zu lenken versucht, sagt Susanne Hennig-Wellsow. Aber Planungs- und vor allem Baukapazitäten reichten für das Förderangebot oft nicht aus. Von 400 Millionen Euro für die Sanierung von Schulen beispielsweise wurden bislang lediglich 220 Millionen abgerufen. Defizite hinterlässt RRG auch beim Breitbandausbau. Beachtlich ist indes die Umkehr der Privatisierungstendenzen bei der Daseinsvorsorge. So blieb etwa die rund 70 Millionen Euro teure Übernahme von 5.000 Geraer Wohnungen in Landeseigentum bislang beispiellos.

Es läuft also relativ rund in Thüringen. Dementsprechend möchten die drei Koalitionspartner ihre gemeinsame Politik am liebsten für weitere fünf Jahre fortsetzen. Nur: SPD und Grüne dürfen dafür bei der anstehenden Landtagswahl nicht allzu sehr schwächeln.

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