Vor den Parlamentswahlen in Schweden: Auf dem rechten Weg
Es gibt nur ein Thema, das den Wahlkampf dominiert: die steigende Gewaltkriminalität. Das spielt den rechten Schwedendemokraten in die Hände.
B ei der Linkspartei gibt es Waffeln, in der Hütte hinter ihnen werden T-Shirts mit der Aufschrift „Heja Jimmie“ verschenkt, dazu Baseball-Caps mit den aufgestickten Buchstaben „SD“ – das Kürzel steht für Sverigedemokraterna, die Schwedendemokraten. In der roten Laube quer gegenüber können sich Passant*innen Buttons mit dem Gesicht der sozialdemokratischen Ministerpräsidentin Magdalena Andersson abholen. Zwischen den Blockhütten unterhalten sich vor dem Bahnhof von Uppsala Bürger*innen mit Politiker*innen. Es geht ums Klima, um das Gesundheitssystem – um die Polizei und die Kriminalität. Einige Schüler*innen streifen mit Klemmbrettern ausgestattet von Partei zu Partei, während andere sich darüber austauschen, wo es die besten Süßigkeiten abzustauben gibt.
Auf den Außenwänden der Wahlhütten hängen Plakate. „Vi skärper straffen och rekryterar poliser“ – „Wir verschärfen Strafen und stellen mehr Polizeibeamte ein“, findet sich bei den Sozialdemokraten, „Nu får vi ordning på brotten“ – „Jetzt bringen wir Verbrechen unter Kontrolle“ bei den Moderaten, „Höhere Strafen“ bei den Schwedendemokraten. Die Hütten stehen in Zweierreihen zwischen Bahnhofseingang, Busterminal und einem Brunnen aus dem 20. Jahrhundert. Wären da nicht die Poster und Parteilogos, man könnte die temporäre Siedlung für einen Weihnachtsmarkt halten.
Eine gute Woche vor den Parlamentswahlen am 11. September ist der Asphalt vor dem Bahnhof noch nass, während die Sonne schon auf die neun Holzhütten scheint: die acht im Parlament vertretenen Parteien haben je eine, während sich die dort nicht vertretenen Kleinparteien „Feministische Initiative“ und „Wendepunkt“ eine kleinere Holzlaube teilen müssen. Die Sozialdemokraten tragen rote Regenjacken, die Moderaten blaue T-Shirts und Hoodies, die Schwedendemokraten weiße Stoffjacken und Baseball-Caps. Viele Menschen, die den Bahnhof passieren, statten den Wahlhütten einen Besuch ab. Einige holen sich Flyer ab.
Schwedendemokraten im Aufwind
Es läuft gut für die rechtspopulistischen Schwedendemokraten. In den aktuellen Wahlumfragen liegt die Partei mit der blaugelben Blume als Logo bei knapp 20 Prozent. Die bürgerlich-konservativen Moderaten stehen bei knapp 18 Prozent, während die Sozialdemokraten mit rund 29 Prozent vorne liegen. Wer die nächste schwedische Regierung stellen wird, scheint offen.
Das knallgelbe „Heja Jimmie“-T-Shirt, das die Schwedendemokraten verschenken, bezieht sich auf Jimmie Åkesson. Seit 2005 ist der 43-Jährige Parteivorsitzender der Rechtspopulisten. Besonderen Aufschwung erhielt die Partei nach der Flüchtlingskrise, stieg bei der Wahl im Jahr 2018 auf 17 Prozent und sicherte sich 61 der insgesamt 349 Abgeordnetenmandate. In diesem Wahlkampf hängt ein Plakat mit einem Flugzeug und der Aufschrift „Ausländer ausweisen“ an der Außenwand der Wahlhütte. Doch warum liegt die Partei in den Umfragen so weit vorn?
„Grund dafür sind Schießereien und Bandenkriminalität“, erklärt Jenny Jansson, eine Politikwissenschaftlerin am Department of Government der Universität Uppsala. „Die Schwedendemokraten machen die Migrationspolitik für das Problem verantwortlich.“ Seit Jahren nimmt die Kriminalität in manchen Vierteln schwedischer Städte zu. Darauf sei die schwedische Polizei nicht vorbereitet gewesen, sagt Jansson. „Man kann das Problem jedoch auch anders betrachten und nicht wie die Schwedendemokraten die Migration kritisieren, sondern die Gründe in der Armut ausfindig machen.“
David Perez, Schwedendemokrat
„Wir haben ein großes Problem mit Gangs in Schweden. Während der großen Migrationswelle ist es nicht gelungen, dass die Menschen, die hier ankamen, die Sprache lernen, sich weiterbilden, einen Job finden – viele können deswegen nur in der Kriminalität Geld verdienen“, sagt David Perez. Der Abgeordnete der Schwedendemokraten trägt Brille, eine weiße Jacke mit seinem Parteilogo und Jeans. Er möchte, dass sich die Schwed*innen sicherer fühlen und setzt sich dafür ein, dass Menschen, die ins Land einwandern, schnell die Sprache lernen und Arbeit finden.
Am Sonntagmittag, eine Woche vor der Parlamentswahl, betreut David Perez zusammen mit drei Parteifreunden die Wahlhütte der Rechten. Das von den Schwedendemokraten angebotene Rezept gegen die sich ausbreitende Gewaltkriminalität lautet: mehr Polizei, mehr Sicherheitskameras und die Einrichtung von speziellen Zonen, in denen die Polizei nach dänischem Vorbild anlasslose stichprobenartige Personenkontrollen einschließlich der Untersuchung von Kleidung und anderen Gegenständen sowie von Fahrzeugen durchführen darf.
Tolerierte Regierung Derzeit wird Schweden von den Sozialdemokraten regiert, die aber über keine eigene Mehrheit im Reichstag, dem schwedischen Parlament, verfügen. Deshalb sind die Sozialdemokraten auf die Tolerierung durch die Zentrumspartei, die Linkspartei und die Grünen angewiesen. In der Opposition befinden sich die Moderaten, die Liberalen, die Christdemokraten und die Schwedendemokraten.
Vierprozenthürde Alle vier Jahre wird am zweiten Sonntag im September in Schweden ein neues Parlament gewählt, dieses Jahr am 11. September. Parallel dazu werden die Landtage und Gemeindevertretungen gewählt. Um es ins Parlament zu schaffen, muss eine Partei die Vierprozenthürde überwinden.
Umfragen Die Umfragen des schwedischen Rundfunks svt für die anstehende Wahl gehen von einer Stärkung der Rechtspopulisten aus. Demnach erhalten die Schwedendemokraten 19,9 Prozent (vorher 17,5 Prozent). Zulegen können auch die Sozialdemokraten mit 28,7 (vorher 26,2) Prozent. Verluste verzeichnen die bürgerlichen Moderaten (17,9, vor vier Jahren 19,8 Prozent). Kaum verändert bewegen sich Linkspartei und Zentrum bei etwa 8 Prozent. Ebenfalls in den Reichstag schaffen dürften es die Christdemokraten mit 6,1 Prozent (vorher 8,6), die Grünen mit 5,6 Prozent (vorher 4,4) und die Liberalen, die bei etwa 4,4 Prozent stehen. (taz)
Perez’ politische Laufbahn begann bei den Moderaten, der bürgerlich-konservativen Partei, bei der sich der heute 32-Jährige jedoch nicht zu Hause fühlte. Er sagt, dass in seinem spanisch-schwedischen Elternhaus schon immer offen und laut debattiert wurde. Deshalb, so sagt er, der Schwenk zu den Schwedendemokraten. Doch stimmt Perez mit seiner Migrationsgeschichte mit allem, was die Rechtspopulistischen von sich geben, überein? „Ich glaube, dass es keine Partei gibt, mit der man in allen Belangen übereinstimmt“, lautet die Antwort. Er drückt sich bedacht aus, legt Denkpausen ein. Wo seine Meinung von der Parteilinie abschweift, will er für sich behalten.
Die Rechtspopulisten scheinen bei dieser Wahl salonfähig zu sein. Perez sagt, dass sich auch immer mehr Frauen, die sich wegen der Gewaltkriminalität unsicher fühlten, mit den Schwedendemokraten ins Gespräch kommen wollten. Bei den Angeordneten der Partei spiegelt sich das bisher nicht wider: Lediglich 15 der 61 Abgeordneten im Stockholmer Parlament sind Frauen.
Jessika Roswall von den konservativen Moderaten
Auch die anderen großen Parteien haben die Themen Sicherheit und Kriminalität oben auf ihrer Agenda. „Die Lage in Schweden ist schrecklich“, sagt Jessika Roswall von den Moderaten dazu. Seit zwölf Jahren vertritt die 49-Jährige die bürgerlich-konservative Partei im Stockholmer Reichstag. Sie findet, dass die Polizeiausbildung endlich bezahlt werden sollte, außerdem befürwortet sie (wie auch die Schwedendemokraten) härtere Strafen für Kriminelle. „Aber auch die Schulen müssen bessere Arbeit leisten, genauso wie die Eltern, damit junge Menschen nicht kriminell werden“, merkt sie an. „Freiheit und Verantwortung“ sind die beiden Werte, die die Juristin nach ihren eigenen Worten dazu bewegt haben, sich politisch zu engagieren.
Neun Tage vor der Wahl spricht Roswall vor der blauen Holzlaube der Moderaten mit Bürger*innen. Danach geht es sie für in die Ortschaft Tierp, eine Autostunde nördlich von Uppsala. „Dort gibt es keine großen Plätze, man spricht die Menschen vor dem Supermarkt an oder klopft an Türen.“ Die Juristin lächelt, als sie das sagt. Sie trägt Jeans und eine blaue Jacke mit dem Logo ihrer Partei, darunter ein weißes T-Shirt, von dem aus der Parteivorsitzende Ulf Kristersson mit Hund die Wähler*innen anlächelt.
Der Weg von Uppsala nach Tierp führt an kleinen Dörfern zwischen Feldern und Wäldern vorbei. Eines dieser Dörfer trägt den Namen Björklinge und hat genau 3.269 Einwohner*innen. Dort klopft einen Tag später Ardalan Shekarabi an die Türen. Er ist Spitzenkandidat der Sozialdemokraten für die Region Uppsala und Minister für soziale Sicherheit.
Eine große Koalition ist unwahrscheinlich
Auch wenn die Sozialdemokraten die derzeit stärkste Partei sind und die Regierung stellen, so führen sie doch nur eine Minderheitsregierung und sind auf die Unterstützung des rot-grünen Blocks, angewiesen, also auf die Zustimmung der Linkspartei, der Zentrumspartei und der Grünen. Schon seit Jahrzehnten hat keine Partei in Schweden mehr die absolute Mehrheit im Parlament erreichen können.
„Mit acht Parteien im Reichstag war es bei der letzten Wahl schwer, eine Regierung zu formen. Eigentlich muss die Regierung 19 Tage nach der Wahl stehen. Im Jahr 2018 dauerte es 134 Tage“, sagt Politikwissenschaftlerin Jansson. Erst als die bürgerliche Zentrumspartei den Sozialdemokraten ihre Unterstützung zusagte, war eine Einigung gefunden. Doch könnten die zwei großen Parteien, die Sozialdemokraten und die Moderaten, nach der kommenden Wahl nicht eine Koalition eingehen? „Ich glaube nicht, dass es eine GroKo in Schweden geben wird“, urteilt die Politikwissenschaftlerin. „Die bürgerlich-konservativen Moderaten und die Sozialdemokraten haben ihre Identitäten gegeneinander aufgebaut, hatten schon immer entgegengesetzte Lösungsansätze“, führt sie aus.
Minister Ardalan Shekarabi setzt sich für mehr Chancengleichheit ein. Er möchte private Schulen stärker regulieren und mehr Beschäftigungsmöglichkeiten am derzeit ziemlich spezialisierten Arbeitsmarkt schaffen.“Die Schweden sind eine starke Wirtschaft gewohnt“, merkt der 43-Jährige an. Nun ist diese einst stabile Wirtschaft durch die Energiekrise infolge des Kriegs gegen die Ukraine nicht mehr sicher. Die Themen Energie und Arbeit rücken in den Fokus. Das ist schlecht für die Menschen, jedoch möglicherweise gut für die Sozialdemokraten, die vor allem mit sozialen Themen punkten und von der Mittelschicht gewählt werden.
Gemeinsam mit Sebastian Rasmusson, dem Vorsitzenden des Jugendverbands der Sozialdemokraten der Region Uppsala, läuft der Minister in einer Einfamilienhaussiedlung von Tür zu Tür, begleitet von zwei Bodyguards, die aber im Hintergrund bleiben und einige Meter Abstand halten. Vor einer Garage lädt ein Elektro-Volvo. Hinter einem Backsteinhaus hoppelt ein Kaninchen vor seinem Käfig auf dem gestutzten Rasen. Die Straßen sind unbefestigt, an einigen Bäumen hängen reife Kirschen, Äpfel und Vogelbeeren. In den kleinen Vorgärten blühen Sonnenhüte und Rosen.
Alle zwei bis drei Häuser öffnet jemand, im Hintergrund hört man Kinder lachen, die zwei kurze Straßen weiter auf einem kleinen Spielplatz spielen. In den meisten Fenstern hängen die Gardinen so, dass man von außen einen Blick in das Leben der Menschen erhaschen kann, die dort wohnen. Die Nachbarschaft strahlt Sicherheit und Ordnung, aber auch Gemütlichkeit aus. Obwohl es viele solcher Orte in Schweden gibt – es existiert auch eine andere Seite Schwedens, die diese Wahl dominiert: die Stadtteile, in denen es zu Bandenkriminalität kommt.
Die Blutspur der Gewalt
Allein in diesem Jahr sind bisher 44 Menschen in Schweden erschossen worden, und das bei nur rund zehn Millionen Einwohnern. Das Problem betrifft mittlerweile nicht nur Großstädte, sondern auch kleine Ortschaften wie Örebro, 170 Kilometer westlich von Uppsala, wo im Mai innerhalb von acht Tagen drei Männer erschossen wurden.
Die Polizei geht davon aus, dass alle Delikte mit der um sich greifenden Bandenkriminalität in Verbindung stehen. In einem Bericht über Schießereien in Europa belegt Schweden nach Kroatien den zweiten Platz. Die Polizei hat im vergangenen Jahr im ganzen Land 61 „gefährdete Gebiete“ ausgemacht, in denen es vermehrt zu Schießereien kam. Dort sind die Einwanderungsquote und Arbeitslosenquote hoch und der Bildungsstand und die Wahlbeteiligung niedrig.
In Uppsala betreffe das den Stadtteil Gottsunda, merkt Jessika Roswall von der bürgerlich-konservativen Partei an. „Dort sehen wir Probleme mit Drogenkriminalität und Gangs“, sagt sie. Schon vor fünf Jahren setzte die Polizei den Stadtteil im Süden Uppsalas auf die Liste besonders gefährdeter Gebiete, in denen es vermehrt zu Gewalt und Schusswaffengebrauch kommt. Wie auch die Schwedendemokraten fordert Roswall, dass dort Personen nach dem dänischen Modell durchsucht werden können.
Zurück bei Ardalan Shekarabi in Björklinge: An einer Türe öffnet ein Kind, das nach der Vorstellung des Sozialdemokraten nach seiner Mutter ruft. Die hat schon gewählt, berichtet sie, sagt jedoch nicht, welche Partei. „Gut, dass du gewählt hast“, entgegnet der Minister für soziale Sicherheit. An der Hausnummer 19 flattert über der Garage eine Schwedenflagge im Wind. Anders als in Deutschland ist das hier nichts Außergewöhnliches.
Die Gespräche an vielen Türen sind kurz. Ein älterer Mann öffnet, sagt, er hätte schon sein Kreuzchen bei den Sozialdemokraten gemacht. Bleibt die Tür verschlossen, landet ein Flyer im Briefkasten. „Um die Kriminalität in Schweden zu bekämpfen, müssen wir für mehr soziale Gerechtigkeit sorgen“, sagt Shekarabi. Er hat einen schnellen Schritt und eine ruhige Stimme.
Der Minister ist in Manchester geboren und verbrachte seine Kindheit im Iran. Im Jahr 1989 beantragte seine Familie in Schweden Asyl. Shekarabi trägt eine beige Hose und über seinem dunkelblauen Pulli eine knallrote Jacke mit einer aufgedruckten Rose auf der Brust, dem Symbol der Sozialdemokraten.
Zwischen den Wahlhütten am Bahnhof und an den Türen in den Ortschaften geht es um die Verbesserung der Lebensverhältnisse und die Sicherung eines Lebensstandards. Im hochdigitalisierten Schweden verläuft der Wahlkampf ziemlich analog.
Das Problem der Bandenkriminalität ist nicht einfach eine Erfindung der Rechten, es bewegt die Menschen – nicht nur die direkt Betroffenen, sondern auch jene, die einfach Angst haben. Das Problem bewegt jedoch nicht nur die Menschen, sondern auch die Stimmanteile – und zwar nach rechts außen. Und so gibt es schon einen Wahlgewinner: die schwedische Polizei.
Könnten die Schwedendemokraten ab dem Herbst das Land regieren? Die Politikwissenschaftlerin Jansson hält das für unwahrscheinlich, betont aber, dass eine konservative Regierung aus Moderaten und Christdemokraten wahrscheinlich auf die Unterstützung der Rechtspopulisten angewiesen wäre. „Wenn der Block der konservativen Parteien nach dieser Wahl der größte wird, dann stehen intensive Regierungsverhandlungen an“, sagt sie.
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