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Vor dem SPD-ParteitagDie stille Hoffnung der SPD

Robert Misik
Kommentar von Robert Misik

Auf ihrem Onlineparteitag wollen die Sozialdemokraten die Aufholjagd zu Grünen und Union ausrufen. Dazu müssen sie ihren Reformwillen herausstellen.

Olaf Scholz Foto: dpa

P arteitage, auf denen es nicht viel kontrovers zu besprechen gibt, sollen im Wahljahr meist Folgendes: schöne Bilder liefern, die eigenen Leute motivieren, einen PR- und Stimmungsturbo zünden. Schon damit wird es happig, wenn die SPD am Sonntag ihren Konvent abhält: Er ist digital, die Teilnehmer sitzen alleine daheim vor dem Rechner.

Die Sozialdemokratie hat einen Kanzlerkandidaten, zwei Vorsitzende, in den vergangenen eineinhalb Jahren nichts wirklich falsch gemacht und ist geschlossen wie lange nicht – und hängt in Umfragen doch bei knapp 15 Prozent fest. Bleibt es dabei, wirkt der Wahlkampf für das Publikum als Duell zwischen Union und Grünen, was sich zwangsläufig auf die Frage zuspitzt: Wer soll Kanz­le­r*in werden – Laschet oder Baerbock?

Das hat dann zur Folge, dass unentschlossene Wählerinnen und Wähler für den Favoriten/die Favoritin stimmen werden, der oder die ihnen noch am ehesten zusagt. Um also ein Debakel zu vermeiden, muss die SPD unbedingt aus dem Zweikampf einen Dreikampf machen. Denn wenn du in der von Umfragen getriebenen Demokratie lang genug wie der Verlierer aussiehst, wirst du es auch.

Wenn die SPD noch ins Spiel kommen will, muss sie irgendwann mit ihren Konkurrenten in einem einigermaßen vergleichbaren Prozentbereich rangieren. Das ist nicht unmöglich. Aber alle strategischen Überlegungen dazu haben auch ihren Pferdefuß.

Scholz hat sich neu erfunden

Erstens: Die Sozialdemokratie ist in den vergangenen Jahren maßvoll, aber markant nach links gerückt. Sie propagiert umfangreiche öffentliche Investitionen, rückt von der schwarzen Null ab, streitet erkennbar für mehr Ordnung am Arbeitsmarkt, für Mindestlöhne und tariflich geregelte Arbeitsverhältnisse und gegen Prekarität und Hungerlöhne in Problembranchen wie der Fleischproduktion.

„Der geheime Scholz“, titelte erstaunt etwa die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung über den Kanzlerkandidaten, der sich neu erfunden hat. Olaf Scholz selbst hat sein Finanzministerium zum Thinktank eines euro­päi­schen Keyne­sia­nismus umgebaut und mit der neuen US-Administration und „Bidenomics“ jetzt auch globalen Rückenwind für einen Paradigmenwechsel in der Wirtschaftspolitik.

An die Stelle von Trickle-down-Märchen tritt eine Wirtschafts- und Sozialpolitik, die die Gesellschaft wieder von unten aufbaut. Das – ordentliche Jobs, ordentliche Löhne und dazu auch die Anerkennung und die Würde, die den arbeitenden Klassen in den vergangenen Jahrzehnten versagt war – soll auch die Botschaft an jene Teile der Bevölkerung sein, die die Sozialdemokratie am meisten brauchen. Deswegen hat Scholz „Respekt“ auch zur zentralen Botschaft seines Wahlkampfs gemacht.

Das Problem dabei ist aber zweierlei: Die Agendapolitik hängt der SPD bleischwer nach. Und Olaf Scholz hat das Problem, dass fast niemand mit ihm eine gesellschaftspolitische Semi-Revolution verbinden will. Das tat zwar vor fünf Monaten mit „Sleepy Joe“ auch niemand. Aber der hatte es aufgrund des amerikanischen Wahlsystems und seines Gegners leichter.

Vorsicht vor Hypes!

Zweitens: Armin Laschet ist ein schwacher Unions-Kandidat, dem nicht einmal seine Parteifreunde sonderlich viel zutrauen, und Annalena Baerbock hat gerade einen Hype, wird ab nun aber im Kreuzfeuer der Konkurrenz stehen. Dass Hypes ziemlich traurig enden können, weiß man noch vom entgleisten Schulz-Zug. Das ist die stille Hoffnung der SPD.

Drittens: Nach der Pandemie wird das Sicherheitsbedürfnis auch in der Mitte der Gesellschaft groß sein. Mit Scholz, der seit Menschengedenken mitregiert und Finanzminister sowie Vizekanzler ist, setzt die SPD darauf, dass die „Merkel-Wähler“ diesmal auf ihre Seite gezogen werden können. Man betont, dass die Vorsichtigen bei Scholz wüssten, dass er „Kanzler kann“. Doch noch nie hat ein progressiver Kandidat das höchste Regierungsamt neu erobert, der nur Erfahrung verkörperte und nicht auch Wandel versprach.

Man soll Umfragen nicht überbewerten, aber dass 27 Prozent der Wählerinnen und Wähler im Augenblick bekunden, die Grünen wählen zu wollen, ist immerhin ein Indiz dafür, dass viele Menschen gar keine so große Aversion gegen Experimente und Neues haben. Erwartet wird beides im Moment aber vor allem von den Grünen.

Die SPD wird ihnen diese Botschaft nicht überlassen dürfen, wenn sie erfolgreich sein will. Olaf Scholz wird sie jedoch nicht gut verkörpern können. Die Sozialdemokratie wird neue Gesichter um den Kanzlerkandidaten gruppieren müssen, die Jugend, Frische und einen neuen Stil repräsentieren. Das wird aus der Groko heraus nicht leicht zu vermitteln sein.

35 Prozent – oder nur 11?

Dahinter liegt das Grundproblem der Sozialdemokratie: Ihre Stärke war immer, dass sie eine große, aber spannungsgeladene Allianz verschiedener Milieus war: der arbeitenden Klassen, die höhere Löhne, mehr Sicherheit im Leben, Aufstieg und Respekt wollen; und der urbanen Mittelschichten, die dazu auch noch demokratische Erneuerung, gesellschaftliche Liberalität und Modernisierung wünschen.

In den ersten Segmenten steht die Sozialdemokratie nicht mehr mit der nötigen Glaubwürdigkeit da. Für die – wachsenden – urbanen Segmente gibt es mehr politische Konkurrenz. Das macht Siege nicht unmöglich, aber alles sehr volatil: Zwischen den 35 Prozent, die die SPD letzthin in Rheinland-Pfalz holte, und den 11 Prozent von Baden-Württemberg klaffen Galaxien.

Sonnenklar ist, was die SPD tun sollte: Sie muss Olaf Scholz als den Joe Biden Deutschlands posi­tionieren, mit mehrheitsfähiger Ansprache für all jene, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Und um ihn herum ein paar tolle junge Leute, die das Morgen verkörpern. Ein Dreikampf um die Nummer eins wäre jedenfalls das Spannendste, was die deutsche Politik seit langer Zeit erlebt hat.

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Robert Misik
Geboren 1966, lebt und arbeitet in Wien. Journalist, Sachbuchautor, Ausstellungskurator, Theatermacher, Universaldilettant. taz-Kolumnist am Wochenende ("Der rote Faden"), als loser Autor der taz schon irgendwie ein Urgestein. Schreibt seit 1992 immer wieder für das Blatt. Buchveröffentlichungen wie "Genial dagegen", "Marx für Eilige" usw. Jüngste Veröffentlichungen: "Liebe in Zeiten des Kapitalismus" (2018) und zuletzt "Herrschaft der Niedertracht" (2019). Österreichischer Staatspreis für Kulturpublizistik 2009, Preis der John Maynard Keynes Gesellschaft für Wirtschaftspublizistik 2019.
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8 Kommentare

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  • 0G
    05838 (Profil gelöscht)

    Mit Kevin Kühnert kann man nur in einem Wählerspektrum fischen, das derzeit die Linke wählt und das sind 8%. Selbst wenn man den Linken mehr als 3% abnimmt, dann hat man nichts gewonnen, außer einen Koalitionspartner unter 5% gedrückt.

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    Am Wochenende wird die SPD als erste der großen Parteien ihr Wahlprogramm beschließen.

    Nach Kevin Kühnert mit 3 Prämissen:

    ""1..Wir (SPD, Kühnert)) stehen für ein Recht auf Arbeit sowie Ausbildung und wir werden gute Arbeit und ein gutes Einkommen sichern. Die Arbeit wird uns nicht ausgehen, aber sie ändert sich. Qualifizierung, Weiterbildung und soziale Absicherung im Wandel stehen für uns als eine überragende Aufgabe der nächsten Jahre im Mittelpunkt.

    2.. gilt für uns (SPD) das Prinzip: Gemeinwohl vor Rendite. Die SPD gibt ein klares Bekenntnis zu einer leistbaren und flächendeckenden Daseinsvorsorge ab. Mobilität, Wohnen, Gesundheitsversorgung, schnelles Internet und eine intakte Umwelt gehören beispielsweise dazu.

    3.. braucht Deutschland mehr Lust auf Innovation und eine strategische Industriepolitik.

    Wenn Grün - und soviel ist sicher - zumindest Teil der Regierung sein wird - wer wird denn die gewaltigen sozialstrukturellen Veränderungen gestalten - ohne das sich große Mengen von Transformations - verlierern am unteren Ende stapeln?

    Grüne Transformation kann nur funktionieren wenn es jemanden gibt der darauf achtet das alle mitkommen.

    Das ist von einer Merkel CDU, noch von Söderisten und auch nicht von den Laschets auf diesem Planet zu erwarten - und schon garnicht von der AFD-FDP - die sich immer noch nicht dafür schämt eine reine Klientelpartei zu sein.

    Das Baerböckchen hat verkündet alle mitnehmen zu wollen. Wer soll das denn richten - ohne gleichzeitig im Einklang mit der EU an einer neuen Industriepolitik 4.0 zu basteln - durch die der neue Impfstoff & Masken von mir aus - aus Wanne-Eickel und aus Thüringen kommen - und eine neue



    mRNA Produktionsstätte in Sachsen errichtet wird. (Beispiele)

    Dazu braucht es als Spielgefährte der Grünen eine Partei die sowohl ein Standbein in der Wirtschaft hat - aber darüber hinaus Arbeit & Lebensbedingungen an 1. Stelle stellt

    Wer hat denn die Expertise & den Anspruch das auch gebacken zu bekommen?

  • Die SPD nach links gerückt? Die SPD hält doch eisern an der Agenda 2010 Politik von Schröder fest, auch wenn sie immer das Gegenteil behauptet. Wie kommt die SPD überhaupt auf den Gedanken mit Scholz wieder Wahlen gewinnen zu können? "Während der Kanzlerschaft Schröders (1998 bis 2005) setzte Scholz sich für dessen Reformpolitik ein und wurde dem Kreis der „Schröderianer“ zugerechnet. Scholz bezeichnete die Agenda-Pläne im März 2003 als „sozialdemokratische Politik“ sowie als „vernünftig, ausgewogen und deshalb auch zulässig“ [Wikipedia].

    Die 'Agenda 2010' ist ja nicht nur das menschenverachtende Hartz IV, sondern auch der Ausbau des Niedriglohnsektors. Der damalige SPD-Kanzler Schröder hatte 2005 vor dem World Economic Forum in Davos folgendes gesagt: "Wir müssen und wir haben unseren Arbeitsmarkt liberalisiert. Wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt". Die Arbeitgeberparteien (Union und FDP) haben gejubelt und lachen sich wohl immer noch ins Fäustchen über soviel Dummheit der SPD, die die Politik der neoliberalen Parteien durchgesetzt haben und dafür vom Wähler seit Jahren abgestraft werden. Viele Milliarden Euro werden seitdem jährlich aus Steuermitteln aufgewendet, um nicht existenzsichernde Arbeit aufzustocken. Die Gesellschaft subventioniert also schon seit vielen Jahren Arbeitgeber, die ihren Angestellten nur Niedriglöhne zahlen. Die SPD hat damals dann auch noch den Spitzensteuersatz für die Reichen von 53% auf 42% gesenkt und die Veräußerungsgewinne von Kapitalgesellschaften steuerfrei gestellt.

    Mit Leuten wie Kevin Kühnert - der letzte echte 'Sozialist' in der SPD - wäre vielleicht die Partei zur sozialen SPD eines Willy Brandt zurückgekehrt, aber mit Scholz ist der endgültige Untergang der SPD nur noch eine Frage der Zeit.

  • RS
    Ria Sauter

    Mit Scholz wird das nichts.



    Die Partei müßte sich runderneuern mit wirklich sozialdemokratischen Ideen und neuen Köpfen.



    Da ist bisher keiner aus der Versenkung aufgetaucht.



    Vielleicht sehnen sich nach einer Kanzlerschaft unter Leitung der Grünen die Menschen wieder nach wirklich sozialdemokratischen Ideen.



    Dann hätte die SPD wieder ein Chance.



    Vorher sehe ich schwarz und grün.

  • Das Glaubwürdigkeitsproblem der Sozen (IMHO das relevanteste Problem der Partei) ist nur mit Personal zu beheben, das nicht in den neoliberalen Irrsinn der Schröder-Zeit verwickelt war. Insofern ist zu erwarten, dass es im September mal wieder eine kräftige Ohrfeige für die SPD geben wird

  • 0G
    04369 (Profil gelöscht)

    Olaf Scholz und Kanzler? Prustgackgack...lachkaputt...Lieber Robert Misik, wahrscheinlich ist es die entgangen, aber nur zur Info, die Basis der SPD hat ihn nicht gewählt. Das sind aber die gleichen Genossen, die nun sein Konterfei kleben soll, und eines lass dir gesagt sein, dass machen die nicht aus Überzeugung. Zudem Kanzlerkandidat ist er nur geworden, weil er über einen Bekanntheitsgrad verfügt. Saskia Esken und Nowabo können damit nicht aufwarten. Den Exekutor der Agenda Maschine, dem es doch jahrelang Schnurzpiepe war, wie sich ein Bezieher von HartzIV, kleinen Renten, Minijobern und Aufstockern in seinem Drangsalierungsystem fühlt, zu einer Art King David zu stilisieren, der den müden und geknechteten, Hoffnun und Heilsbringer sein soll, ist nun der größte Brüller. No! Das wird ähnlich laufen wie beim Schulz. Einer muss den Kopf für kollektives Versagen hinhalten und dabei wird es vollkommen wumpe sein, ob man an seiner Seite, Kevin oder Teletubbies flankiert.

  • Leider fehlen Entschuldigungswillen und Erneuerungswillen:



    entschuldigen für die Agendapolitik, austauschen aller Personen die daran beteiligt waren... z.B. Scholz.

    Sonst ist die SPD einfach bis auf Widerruf unwählbar!

  • 0G
    05838 (Profil gelöscht)

    Ich weiß nicht, ob ich als langjähriger SPD Wähler für so etwas wie den statistischen Querschnitt dieser Klientel stehe.

    Das Paradoxe an der aktuellen Situation ist, dass Olaf Scholz der beste der drei Kanzlerkandidaten wäre.

    Aber, wer wählt schon noch eine SPD, die durch den Sündenfall von Hartz IV und vor allem durch die anschließenden drei Großen Koalitionen die traditionelle, weltanschauliche Polarität mit der Union im Orkus der Geschichte entsorgt hat und deshalb nur noch dritte oder vierte Wahl ist?