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Vor Präsidentschaftswahl in FrankreichLe Pen macht auf Le Pen

Die rechte Präsidentschaftskandidatin Le Pen erklärte, die Deportationen im besetzten Frankreich 1942 seien nicht den Franzosen zuzuschreiben.

Auf einer Wahlveranstaltung bei Straßburg: Marine Le Pen Foto: ap

BERLIN taz | Zwei Wochen vor der ersten Runde der französischen Präsidentschaftswahl legte die Kandidatin des rechtsextremen Front National, Marine Le Pen, eine Diskussion wieder auf, die in Frankreich seit zwanzig Jahren bereits als abgeschlossen galt. Frankreich sei nicht für die Razzia des Wintervelodroms am 16. Juli 1942 verantwortlich, sagte Le Pen am Sonntag in der Sendung „Grand Jury“.

Mehr als 13.000 französische Juden wurden im Rahmen der Razzia des „Vél d’Hiv“ 1942 von Polizisten angehalten und festgenommen. Die meisten von ihnen wurden später in NS-Vernichtungslager in Deutschland und Osteuropa deportiert.

„Wenn jemand dafür verantwortlich ist, dann sind es diejenigen, die damals an der Macht waren, aber nicht Frankreich“, sagt Le Pen. Das Land sei deswegen seit Jahren schlecht behandelt worden. „Wir haben unseren Kindern beigebracht, dass sie allen Grund hätten, Frankreich zu kritisieren“, sagt Le Pen. Man betrachte nur die dunkelsten Kapitel der Geschichte des Landes. „Ich möchte, dass sie wieder stolz darauf sind, Franzosen zu sein.“

Am 16. Juli 1995 hatte der damals frisch gewählte Präsident Jacques Chirac erstmals die Rolle Frankreichs und des französischen Staates bei der Deportation anerkannt. „Diese schwarzen Stunden haben für immer unsere Geschichte beschmutzt, sie sind eine Beleidung unserer Vergangenheit und unserer Traditionen“, sagte Chirac anlässlich des 53. Jahrestages des Vél d’Hiv. Der kriminelle Wahn der deutschen Besatzer sei von Franzosen und vom französischen Staat gedeckt worden. Frankreich habe an diesem Tag etwas getan, das nicht wiedergutzumachen sei, so Chirac.

Auch seine Nachfolger Nicolas Sarkozy und François Hollande unterstützen die Aussage Chiracs. Le Pens Vater Jean-Marie Le Pen hingegen hatte 1995 unterstellt, Chiracs Äußerungen seien eine bloße „Wahlschuld“ gegenüber jüdischen Wählern.

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4 Kommentare

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  • 6G
    60440 (Profil gelöscht)

    Und Alfred Dreyfus war doch Hochverräter ...

  • 8G
    82236 (Profil gelöscht)

    " Je me suis engagé dans la voie de la collaboration" , so Philippe Pétain nach seinem Treffen mit Hitler in Montoire. Damit war der französische Staat mitschuld, was während der deutschen Besatzung passiert ist, aber natürlich nicht jeder Franzose und das französische Volk im Allgemeinen. Die Nazis konnten sich aber auf ihre französischen Freunde verlassen.

  • Le Pen weist das typische rechtsextreme / neonazimäßige Muster auf: Sie verspricht allen alles und in Wirklichkeit nichts. Bei so viel dünner Luft folgt dann ein Terrorstaat und jede Menge Feinde.

  • „L‘État français“ und die Judenverfolgung

     

    Ergänzend und präzisierend sei beiläufig angemerkt, daß die im Artikel scheinbar korrekte Übersetzung der betreffende Stelle in Chiracs berühmter Rede vom Juli 1995 doppeldeutig ist: „Der kriminelle Wahn der deutschen Besatzer sei von Franzosen und vom französischen Staat gedeckt worden.“ „État français“ ist einmal der „französische Staat“ im Allgemeinen und zum anderen die offizielle Bezeichnung Pétain-Frankreichs unter dem Vichy-Regime als bewußter Gegensatz zur „République Française“. Diese (von Hollande 2012 wiederholte) Doppeldeutigkeit der Entschuldigung Chiracs blieb nicht unwidersprochen. Die Kritiker machten geltend, daß damit implizit dem Vichy-Regime eine gesamtnationale Legitimität zugesprochen werde, die ihm nicht zukomme, sondern lediglich der „France libre“, wie de Gaulle und Mitterand immer wieder betonten. „Das hieße so zu tun, als ob Pétain Frankreich gewesen wäre und es den Coup d‘Etat vom 10. Juli 1040 durch eine Kapitulationsregierung nicht gegeben hätte.“ so etwa Jean-Pierre Chévènement, mehrfach Minister unter Mitterand, in „Le Monde“ vom 23.7.2012.

     

    Unabhängig davon, was sonst noch zum FN zu sagen wäre, dürfte sich die diesbezügliche Position Marine Le Pens, nicht jeden Franzosen für diese Verbrechen verantwortlich zu machen, folglich nicht grundsätzlich von derjenigen unterscheiden, wie sie bis Chirac Staatsraison war.