PKK-Kämpferin aus Hamburg: Von türkischer Drohne getötet
Die Hamburgerin Kelly Freygang wurde bei einem Drohnenangriff der Türkei in Südkurdistan getötet. Sie kämpfte für die kurdische Befreiungsbewegung PKK.
Das Graffiti zeigt die 31-jährige Hamburgerin Kelly Freygang, die am 29. April in Südkurdistan im Nordirak getötet wurde – mutmaßlich durch einen Drohnenangriff des türkischen Militärs. Dies berichtete der Verein Civaka Azad, das Kurdische Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit, Anfang Juni in einer Pressemitteilung unter Berufung auf die kurdischen Volksverteidigungskräfte HPG. Unabhängig prüfen lassen sich diese Angaben nur schwer.
Freygang schloss sich 2017 als internationale Freiwillige dem bewaffneten Kampf um die kurdischen Gebiete im Nordirak an. Nach einer Ausbildung wurde sie ab 2021 unter dem Namen Tîjda Zagros Teil der ausschließlich aus Frauen bestehenden Einheit Yekîtîya Jinên Azad (YJA STAR). Diese ist Teil des bewaffneten Arms der kurdischen Arbeiterpartei PKK. Anders als die PKK ist YJA STAR in Deutschland jedoch nicht als Terrororganisation verboten.
Entschlossen, zu kämpfen
Zuletzt kämpfte Kelly Freygang in den sogenannten „Medya-Verteidigungsgebieten“. So lautet der kurdische Name für eine Region in den Bergen im Norden des Irak, die der Guerilla der PKK als Rückzugsgebiet dient und immer wieder Ziel von Militärangriffen durch die türkische Armee wird.
Wie kommt eine junge Frau aus Hamburg dazu, freiwillig für die Befreiung der kurdischen Gebiete zu kämpfen? In einem Nachruf auf der Webseite der kurdischen Nachrichtenagentur ANF beantwortet Kelly Freygang diese Frage in einem Video, zumindest ein bisschen. Sie trägt Uniform in Tarnfarbe, steht vor einem Baum mit dichten grünen Blättern und wirkt entspannt, aber entschlossen.
„Ich bin in einer demokratischen Familie aufgewachsen“, sagt Freygang auf Kurdisch. Zwischen den Sätzen macht sie Pausen und überlegt, sie scheint die richtigen Worte zu suchen. „Ich habe studiert, aber das war eine Folge daraus, dass ich keine Alternative gesehen habe. Ein Leben, wie es das System von dir verlangt, also du studierst, du arbeitest und du gründest eine Familie. In einem solchen Leben habe ich mich nicht gesehen.“
Wackliger Friedensprozess
Wie Freygang entscheiden sich immer wieder Menschen aus unterschiedlichen Ländern – darunter viele Linke – dazu, den kurdischen Befreiungskampf zu unterstützen. Es gibt eine lange Tradition internationaler Brigaden sowohl bei der PKK-Guerilla als auch in der kurdischen Selbstverwaltung Rojava in Nordsyrien.
Aus Deutschland sind laut Bundesverfassungsschutz seit 2013 rund 295 Menschen in die kurdischen Kampfgebiete im Südosten der Türkei, im Nordirak und in Nordsyrien ausgereist. Rund 150 von ihnen kehrten nach Deutschland zurück. Mehr als 30 Menschen sind in den kurdischen Gebieten gestorben. Dazu zählt Konstantin aus Kiel, der im Oktober 2019 bei einem als völkerrechtswidrig verurteilten Bombenangriff der Türkei im syrisch-kurdischen Serêkaniyê starb. Seine Eltern kämpfen bis heute um Aufklärung.
Anita Starosta von Medico International sagt, Kelly Freygang sei während eines wackeligen historischen Friedensprozesses zwischen der PKK und der türkischen Regierung gestorben. Im Februar hatte der PKK-Führer Abdullah Öcalan zum Ende des bewaffneten Kampfes aufgerufen, woraufhin die PKK im April ihre Selbstauflösung ankündigte. Nun liege der Ball bei der Türkei, so Starosta. „Alle warten gerade auf die nächsten Schritte, die von der türkischen Regierung unternommen werden müssten.“
Drohne von deutschen Rüstungsfirmen?
Die kurdischen „Volksverteidigungskräfte“ (HPG) werfen der Regierung vor, die aktuelle Situation für eine militärische Offensive zu nutzen, anstatt den Friedensprozess zu unterstützen. Einen Waffenstillstand gebe es aktuell zumindest nicht, sagt Anita Starosta von Medico. „Die türkische Regierung greift weiter in den kurdischen Bergen an, auch in Rojava in Nordsyrien.“ Sollte der Friedensprozess gelingen, würde er sich über mehrere Jahre hinziehen. „Bis dahin kann es weitere solche Angriffe geben“, sagt Starosta.
Kelly Freygangs Familie lebt laut dem Nachrichtenportal ANF in Hamburg. Ihre Geburtsstadt hat sich zum Tod der 31-Jährigen bisher nicht geäußert. Der Pressesprecher des Senats sagte auf taz-Anfrage, man habe sich nicht mit dem Fall befasst. Die einstige Bürgerschafts- und jetzige Bundestagsabgeordnete der Linken, Cansu Özdemir, hat Freygangs Tod zum Anlass für eine Anfrage an die Bundesregierung genommen. Sie fragt, ob in der Drohne Teile deutscher Rüstungsfirmen verbaut wurden. Die Antwort steht noch aus.
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