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Von Russland besetztes AKWFeindliche Übernahme

Putin drückt in Saporischschja auf die Tube. Das ukrainische AKW soll unter vollständige Kontrolle Russlands – so schnell wie möglich.

Unter Militärkontrolle: Russischer Soldat steht Wache unweit des AKW Saporischschja Foto: Alexander Ermochenko/reuters

Russlands Atomwirtschaft kann es nicht schnell genug gehen, den Raub des ukrainischen AKW Saporischschja juristisch und organisatorisch in trockene Tücher zu bringen. Am 3. Oktober, also noch zwei Tage vor Putins Unterschrift unter die Gesetze zur Annexion von vier ukrainischen Gebieten, darunter die Region Saporischschja, wurde schon die Firma „Organisation zum Betrieb des AKW Saporischschja“ in Moskau registriert, wenig später hatte das AKW einen neuen, russischen, Chef: Oleg Romanenko, Ex-Chefingenieur des AKW Balakowo in der Region Saratow. Gleichzeitig erklärte der Vorstandsvorsitzende des ukrainischen Atomkonzerns Energoatom, Petr Kotin, dass alle weiteren Entscheidungen über den Betrieb der Anlage direkt in der Zentrale von Energoatom in Kiew getroffen werden.

Am 5. Oktober hatte der russische Präsident Wladimir Putin in einem eigenen Dekret angeordnet, dass das Kernkraftwerk Saporischschja unter russische Leitung gestellt wird: In einer Übergangsfrist bis zum 1. Januar 2028 sollten alle finanziellen- und Lizensierungsfragen geregelt sein. Romanenko versprach, dass in naher Zukunft alle Mitarbeiter des Kernkraftwerks von der neuen Organisation unter Beibehaltung ihrer Gehälter und sozialen Garantien übernommen werden.

Der neue Leiter des AKW werde eine schwierige technische Aufgabe zu bewältigen haben, so das russische Portal business-vector.info. Derzeit seien alle sechs Reaktoren abgeschaltet und müssten wieder in Betrieb genommen werden. Umsetzen ließe sich das erst, wenn nicht mehr geschossen werde.

Russland hat nicht genügend Personal

Nun gehe es erst einmal darum, eine Bestandsaufnahme vorzunehmen und die beschädigte Infrastruktur zu reparieren, zitiert business-vector.info den von Russland eingesetzten AKW-Direktor. Das Handling dieses zu Sowjetzeiten gebauten Reaktors, so der Subtext des Artikels, sei kein Problem, schließlich habe der neue Direktor ja in einem ähnlich großen russischen AKW als Chefingenieur gearbeitet. Ob er sich auch mit Brennstäben der Firma Westinghouse auskennt, geht aus dem Artikel nicht hervor.

Es fragt sich auch, inwieweit das ukrainische Personal bereit ist, unter russischer Führung zu arbeiten. Nur 3.800 von ehemals 11.000 Mitarbeitern seien noch im AKW tätig, berichtet die ukrainische Atomexpertin Olga Koscharna der taz. Russland habe nicht genügend eigenes Personal. Deswegen gehe sie davon aus, dass Russland Druck auf die Mitarbeiter ausüben werde, die russische Staatsbürgerschaft anzunehmen und neue Arbeitsverträge mit der russischen Betreiberin zu unterschreiben.

Unterdessen berichtet das ukrainischsprachige Portal von BBC, man habe von Mitarbeitern des AKW erfahren, dass man Mitarbeitern, die sich als unkooperativ mit den neuen Herren zeigten, mit einer Einberufung in die russische Armee drohe. Nun sei es wichtig, so Koscharna, dass die Ukraine den Mitarbeitern, die auch unter russischer Herrschaft im AKW weiterarbeiteten, garantierte, dass ihnen deswegen von der Ukraine keinerlei juristische Konsequenzen drohten.

Auf den ersten Blick tritt der russische Atomkonzern Rosatom bei der Übernahme nicht in Erscheinung. Besitzerin des AKW ist offiziell die Firma Organisation zum Betrieb des AKW Saporischschja. Diese ist eine 100-prozentige Tochter von Rosenergoatom. Und Rosenergoatom ist eine 100-prozentige Tochter von Rosatom. Dieses Konstrukt, so der russische kommersant.ru, verringere das Risiko weiterer Sanktionen.

Druck auf Putin erhöhen

Genau diese fordert der russische Umweltschützer Wladimir Slivjak: „Russland hat ein AKW eines anderen Landes gestohlen und hat dabei auch nicht vor einer Geiselnahme zahlreicher Mitarbeiter zurückgeschreckt“, so Slivjak. „Nun muss die Weltgemeinschaft, insbesondere die IAEA, auf Putin Druck ausüben, das geraubte AKW wieder an die Ukraine zurückzugeben“, so der Sprecher der russischen Umweltgruppe Ecodefense und Träger des Alternativen Nobelpreises von 2021 zur taz.

„Da sich der russische Atomkonzern an diesem Raub aktiv beteiligt, muss man Rosatom mit Sanktionen belegen. Rosatom ist Partner der Brennelementefabrik in Lingen, Niedersachsen. Und Rosatom ist seit 2009 Besitzerin von NukemTechnologies im bayerischen Alzenau. Diese Zusammenarbeit mit Rosatom muss beendet werden“, so Slivjak.

Unterdessen ist der Chef der IAEA, Rafael Grossi, auf dem Weg nach Kiew, wo er Unterstützung für die Einrichtung einer Sicherheitszone um das AKW sucht.

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4 Kommentare

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  • Es ist schon die Dreistiegkeit vorm Herrn, einfach mal so ein AKW zu klauen.

  • Die atomare Bedrohung geschieht nicht durch Bomben sondern ein gekapertes Atomkraftwerk. Mich würde nicht wundern, wenn Putin das als Faustpfand in möglichen Verhandlungen über die Anerkennung der annektierten Gebiete benutzen wird.

  • Letztlich wird es notwendig sein, über Geländerückgewinne wieder die Kontrolle über das AKW zu erlangen.

  • Tschernobyl ist das Muster, nach welchem Russland einen GAU in Saporischja mutwillig herbeiführen könnte, sollte es gezwungen sein, seine Armee von dort zurück zu ziehen.

    Jetzt muss die eiserne Regel hart durch gehalten werden: Glaubt Putin und Lawrow kein Wort mehr.