Vom Nutzen der Tiny Forests: Bäumen beim Wachsen zusehen
In Eberswalde haben Absolventen der Hochschule für nachhaltige Entwicklung einen Verein gegründet, der die Miniwäldchen pflanzt. Bringt das was?
Vielleicht zehnmal zehn Meter misst der „Tiny Forest“ auf dem Innenhof der Kita in Frankfurt (Oder). 270 Setzlinge hat der Verein „Miya“ mit den Kindern in die Erde gebracht, 25 verschiedene Baumarten sind darunter. Seine mangelnde Größe macht er wett durch seine Bedeutung für die Kitakinder. Sie haben ihn mitgepflanzt. Die Baumknirpse und die Oderknirpse gehören seit der Pflanzung im Herbst 2022 zusammen.
Über die Pflanzung hat die Brandenburger Landeszentrale für politische Bildung einen kleinen Film gemacht. Er zeigt, mit welchem Eifer die Kitakinder in Frankfurt bei der Sache sind. Ausgerüstet mit Anoraks und grünen Schaufeln, graben sie für jeden Baum ein Loch. Sind die Setzlinge in der Erde, wird gemulcht, danach kommt die Gießkanne zum Einsatz. „Besonders schön finde ich, dass wir mit den Kindern zusammen die Bäume pflanzen“, sagt Ulrike Gollmick von „Miya“ über die Pflanzung in Frankfurt. „Wir geben ihnen mit, dass wir was für die Erde und die Natur machen können.“
Baumpflanzaktionen gibt es in Deutschland inzwischen überall. Auf dem Portal „Deutschland forstet auf“ sind viele der Initiativen zu finden, die sich der Pflanzung von Bäumen verschrieben haben.
Das hat natürlich auch Begehrlichkeiten geweckt. Inzwischen ist jeder, als Konsument, Käufer von Lebensmitteln oder Nutzer einer alternativen Suchmaschine, Teil einer ständig wachsenden Aufforstungsmaschinerie. Und die dient nicht selten eher dem eigenen schlechten Gewissen als dem Klimaschutz.
Doch um Ablasshandel oder Greenwashing geht es nicht beim Tiny Forest der „Oderknirpse“ in Frankfurt oder dem kleinen Wäldchen, das im Fröbel-Kindergarten in Berlin-Treptow gepflanzt wurde. „Unser Ziel ist es, den Kindern ganzheitliches Lernen mit allen Sinnen zu ermöglichen, dass die Kinder Selbstwirksamkeit erfahren und Verantwortung übernehmen“, sagt Rahel Schünemann, die Leiterin des Treptower Kindergartens. „So möchten wir ihnen die Kompetenzen für zukunftsorientiertes Denken und Handeln vermitteln.“
„Begeisterung und ein Verantwortungsgefühl für die Natur wecken“ will Stefan Scharfe, er spricht von „ganz anderen Bildern der Zukunft“. In Zichow in der Uckermark kann man sie beobachten. Stefan Scharfe und sein Kompagnon Lukas Steingässer haben dort 2020 auf 700 Quadratmetern den ersten Tiny Forest in Brandenburg gepflanzt. Es war ein Projekt im Zuge einer Bachelorarbeit an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung (HNE) in Eberswalde. Heute sprechen sie bei „Miya“ von einem „kleinen Dschungel“. Zweieinhalb Meter hoch seien die Bäume. „Sie sind uns also schon über den Kopf gewachsen.“
Das Vorbild kommt aus Japan
Der Name des Vereins ist kein Zufall. Vorbild für Scharfe und Steingässer war der japanische Pflanzenbiologe Akira Miyawaki, der in den siebziger Jahren die ersten Miniwälder in Japans Städte gesetzt hatte. Die Idee dahinter ist so einfach wie bestechend. Pflanzt man nicht wie beim klassischen Waldbau einen Baum pro Quadratmeter, sondern gleich drei, führt die Standortkonkurrenz die Jungbäume dazu, sich so schnell wie möglich einen Platz an der Sonne zu sichern. Den mangelnden Abstand zum Nachbarn macht ein Miyawaki-Baum wett durch beschleunigtes Wachstum. Ein Tiny Forest ist also, allem Trend zur Langsamkeit zum Trotz, ein Fast Forest. Aber reicht das, um das Klima zu retten?
Tabea Selleneit sitzt im „Café Gustav“ am Eberswalder Marktplatz und schüttelt den Kopf. „Um Kohlenstoffdioxid zu speichern, sind die Wäldchen zu klein und zu jung“, sagt die Wissenschaftlerin, die an der HNE in Eberswalde Global Chance Management studiert und mit Scharfe und Steingässer bei „Miya“ engagiert ist. „Wir argumentieren lieber mit der Klimaanpassung. Dafür sind Tiny Forests eine sehr gute Methode, vor allem in Städten. Sie speichern sehr viel Wasser nach Extremwasserereignissen. Sie puffern die Temperatur. Sie kühlen, reinigen die Luft, erhöhen die Biodiversität.“
Der Tiny Forest in Frankfurt ist der inzwischen achtzehnte, den „Miya“ gepflanzt hat. „Jede Pflanzung, die wir machen, machen wir partizipativ“, sagt Tabea Selleneit. „Wir versuchen immer, die Kinder einzubinden. Das ist wichtig, denn die Kinder können sagen, den Wald haben auch wir gepflanzt, und wir können den Bäumen beim Wachsen zuschauen.“ Dieser Bildungsansatz ist für den Verein „Miya“ mindestens so wichtig wie der ökologische Aspekt.
Auch deshalb wurde der Verein 2022 von Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) und dem Präsidenten des Umweltbundesamtes, Dirk Messner, mit dem „Blauen Kompass“ ausgezeichnet. Der mit 25.000 Euro dotierte Preis ist die höchste staatliche Auszeichnung in Deutschland, die im Rahmen eines Wettbewerbs für Projekte zur Vorsorge und Anpassung an die Folgen des Klimawandels vergeben wird. „Die Tiny Forests dienen vom Zeitpunkt ihrer Pflanzung als grüne Klassenzimmer, die fortan für die Bildung für nachhaltige Entwicklung genutzt werden können“, heißt es in der Begründung für die Preisverleihung. „Ab dem Zeitpunkt seiner Pflanzung dient der Tiny Forest als Real-Labor, in dem sich die Entwicklung eines Waldökosystems hautnah miterleben lässt. Im Sinne von Citizens Science können Menschen mit einfachen Mitteln zum Beispiel den Zuwachs der Bäume dokumentieren oder Insekten bestimmen, die den Miniwald bewohnen.“
Die Kosten sind gering
Dass die Tiny Forests inzwischen so populär sind, liegt auch an ihren vergleichsweise geringen Kosten. Regulär kostet die Pflanzung eines Stadtbaums mehrere tausend Euro. Vor allem die Pflege ist teuer. In einem Tiny Forest kostet ein Quadratmeter Neuwald samt Bodenbearbeitung, dem Pflanzen der Setzlinge und den Personalkosten des Vereins nur etwa 150 Euro und nach zwei, drei Jahren, in denen in heißen Sommern gegossen und das Beikraut entfernt werden muss, entfallen auch die Kosten für die Pflege. Dann wird der Wald sich selbst überlassen. Genutzt wird er übrigens nicht. Auch deshalb sprechen sie beim „Miya“-Verein gerne, wenn auch augenzwinkernd, von einem „kleinen Urwald“.
Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch „Neuwald“, das Ende März im KJM-Buchverlag in der Reihe „European Essays on Nature and Landscape“ erscheint. 144 Seiten, 22 Euro.
Neuer Wald entsteht inzwischen überall in Deutschland. In Brandenburg wächst er als Kippenwald auf ehemaligen Tagebauflächen oder als Pionierwald auf einstigen Truppenübungsplätzen. Aufgeforstet wird dort, wo Waldbrände, Stürme oder der Borkenkäfer gewütet haben. Und natürlich wird darüber gestritten, ob und wie die 500.000 Hektar Wald, die in Deutschland in den vergangenen Hitzesommern verloren gingen, ersetzt werden können.
Pierre Ibisch, Biologe und Professor an der Hochschule in Eberswalde, steht Aufforstungen eher skeptisch gegenüber, bezeichnet sie als „reine Investition“ der Forstwirtschaft.
„Wollten wir der Natur helfen, so wäre eine natürliche Wiederbewaldung immer vorzuziehen“, hat Ibisch in seinem jüngsten Buch mit dem Förster und Autor Peter Wohlleben geschrieben. Andere wiederum sind der Meinung, dass der Waldumbau alleine durch die sogenannte Naturverjüngung nicht vorankomme.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Tabea Selleneit hat bei Pierre Ibisch studiert. Zu den Tiny Forests von „Miya“ habe sich Ibisch ihres Wissens noch nicht geäußert, lächelt Selleneit. „Unsere Methode ist eher geeignet für die degradierten Böden in Städten, um schnell und effizient sehr gute Ökosysteme zu schaffen“, sagt sie. „Eine Aufforstung im Wald ist ein anderes Thema, da würde man anders arbeiten. Bodenbearbeitung macht da gar keinen Sinn.“
Ohnehin handele es sich bei den Tiny Forests gar nicht wirklich um einen Wald. Laut dem Waldgesetz der meisten Bundesländer beginnt Wald ab einer Größe von einem halben Hektar. Das Miniwäldchen in Frankfurt (Oder) aber bringt es dagegen gerade einmal auf 0,01 Hektar.
In Sachen Begeisterung aber kann es das Stadtwäldchen gut und gerne mit den „richtigen“ Wäldern aufnehmen. „Schon nach zwei Jahren können die Kinder anfangen, Schmetterlinge zu zählen“, sagt Tabea Selleneit. „Es ist ihr Wald.“
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