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Eindrücke vom Theaterfestival ATT BerlinVom Geld, der Politik und von der Einsamkeit

Beim Theaterfestival ATT Berlin geht es ums Verhältnis zwischen Au­to­rschaft und Regie. Die Musik wird zum Akteur, manchmal fehlen die Worte ganz.

Volker Lösch hört mal wieder die Signale: Szene aus „Geld ist klasse“ Foto: Christian Knieps

Wie erzählt man eine Geschichte, die eigentlich nicht erzählt werden kann? Wie tastet man sich heran an einen Protagonisten, von dem man kaum etwas weiß? Es ist eine behutsame Recherche-Reise, auf die Eva-Maria Bert­schy, Autorin und Regisseurin aus der Schweiz, die Zuschauer in ihrem Stück „Fremde Seelen“ mitnimmt.

Vorsichtig umkreist sie die Geschichte eines katholischen Pfarrers in einem kleinen Dorf hoch oben in den Bergen. Er kam als Flüchtling aus Vietnam in die Schweiz und starb nach wenigen Jahren. An Einsamkeit? An Fremdheit? Wachsende Traurigkeit zieht sich durch die Geschichte seiner Flucht aus Vietnam und seiner Ankunft in einer Gemeinde, die von der Schauspielerin Carol Schuler und dem Schwarzen Musiker Kojack Kossakamv­we mit sparsamen Gesten und mit einer Musik, die ihren eigenen Weg zu Ahnen und Geistern sucht, erzählt wird.

In Berlin wurde die Produktion vom Theater Neumarkt aus Zürich im Rahmen des Festivals ATT (Autor:innentheatertage), zu dem seit dreißig Jahren das Deutsche Theater einlädt, aufgeführt. Eine Besucherin erzählte mir, dass sie es sich gleich zweimal angesehen hat, begeistert und angerührt. Bertschy hat eine Form gefunden, die keine Behauptungen braucht, keine steilen Thesen, das Ungewisse und den Zweifel aushält.

Erfahrung der Fremdheit

Es geht um Fremdheit, die mehr ist als die Erfahrung der Ablehnung im Einwanderungsland. Fremdheit, die auch durch den Zerfall von Glaubensgemeinschaft entstehen kann, und Fremdheit gegenüber den eigenen Traditionen, die allmählich etwas Fragwürdiges offenbaren. Ein Text und eine Inszenierung, die das Denken auf Wege jenseits von den ausgetretenen Pfaden der Diskurse mitnehmen. Nicht zuletzt sind es Schweizer Heimatlieder, die von einem deutschfranzösischen Chor aus Leipzig gesungen werden und mit Kossakamvwes Begleitung um neue Klangfarben bereichert werden, die in diesem Stück Horizonte verschieben.

Theaterfestival ATT Berlin

ATT 2025 endet am 21. Juni 2025 mit der Langen Nacht der Autor:innen, die neu geschriebene Texte von Josephine Witt, Guido Wertheimer und Miku Sophie Kühmel vorstellt. Alle Stücke laufen am Deutschen Theater DT Berlin.

Manchmal lässt sich auf den Au­to­r:in­nen­thea­ter­ta­ge ein roter Faden finden, wie im letzten Jahr, als mehrere Texte um Fragen der Herkunft, Identität und Zukunft kreisten. Dieses Jahr standen die Produktionen eher wie Solitäre nebeneinander, die je eine eigene Spielart für das Verhältnis zwischen Text/Autorschaft und Regie/Inszenierung gefunden haben.

Da putzt einer!

Wie sich dies Verhältnis in der Inszenierung „Er putzt“ von der Regisseurin Marie Schleef nach einem Text von Valeria Gordeev gestaltet – die mit „Er putzt“ 2024 den Ingeborg Bachmann Preis gewonnen hatte –, ist eine große Überraschung. Denn in der Produktion vom Staatstheater Wiesbaden wird kein Wort gesprochen.

In Slow Motion bewegt sich „er“, der gleich von zwei Schauspielern verkörpert wird, durch eine pastellfarbene Kulisse, zelebriert die Jagd nach dem Staub sorgfältig mit wenigen Bewegungen und zeigt uns danach ein von tiefer Befriedigung durchdrungenes Gesicht. Er bleibt freiwillig ein Gefangener in einer überschaubaren Welt, in der er mit jedem Gegenstand in einer taktilen Beziehung steht.

Putzen ist hier mehr als Notwendigkeit, mehr als zwanghafte Handlung – es ist ein ständiges Sich-in-Beziehung-Setzen zur Umwelt. Kaum wundert es da noch, dass „er“ am Ende ein staubgraues Ungeheuer liebevoll umarmt. Nur der abendliche Fernsehkonsum seiner kleinen Schwester schlägt Sichtschneisen zu einer anderen Welt in diesen geschlossenen Kosmos – da landet dann schon mal ein Raumschiff gleich hinter der Türe.

Diese Mischung von Entschleunigung, Reduktion und Fiction war äußerst skurril, oft auch komisch. Im Werk der jungen Regisseurin Marie Schleef bildet „Er putzt“ einen Gegenpol zu einem Stück, mit dem sie 2020 bekannt wurde, „Name her. Eine Suche nach den Frauen“. In dieser Performance, gestaltet wie eine Vorlesung, reiste sie durch die Jahrhunderte, um vergessene Künstlerinnen, Wissenschaftlerinnen und Architektinnen vorzustellen.

Alter Meister der Überschreibung

Ein alter Meister der Überschreibung von klassischen Theaterstücken mit politischen Stoffen und Skandalen der Gegenwart ist der Regisseur Volker Lösch. Er brachte immer wieder Gruppen von Betroffenen auf die Bühne, eine Konfrontation der Klassiker mit rauen sozialen Wirklichkeiten.

Aber nie gelang es ihm, dem unermüdlichen Agitprop-Regisseur und Klassenkämpfer, wie er nun in „Geld ist Klasse“ erzählt, auch mal einen wirklich reichen Menschen zum Dialog auf die Bühne zu bekommen. Bis er Marlene Engelhorn, Großerbin und Enkelin des BASF-Gründers, kontaktierte. Zusammen mit dem Autor Lothar Kittstein, der Regisseurin Therese Lösch und der Schauspielerin Marlene Reiter haben sie ein Stück entwickelt, das eine vergnügliche und unterhaltsame Lecture-Performance ist:

Über Ungleichheit und Überreichtum, über die sich immer weiter öffnende Schere zwischen Arm und Reich, über die stete Umverteilung des Geldes von unten nach oben. Und über den Staat und die Politik, die es mit dem Steuerrecht in der Hand hätte, die himmelschreienden Missstände zu verbessern, das aber nicht tut.

Klug, schnell und parodistisch

Die drei reden klug, sie reden schnell, sie schlüpfen parodistisch und kabarettistisch in die Rollen anderer, karikieren und hinterfragen gelegentlich auch die eigene Rolle. Marlene Engelhorn, Mitbegründerin von taxmenow, redet zum Beispiel darüber, wie ihre Prominenz ihr viele Plattformen öffnet und sie als Sprecherin qua Herkunft und Vermögen mit Macht ausstattet.

Sie arbeiten mit Fakten, nennen Quellen, betonen, dass fast alles, was sie erzählen, öffentlich bekannt ist. Und kehren immer wieder zu der Verzweiflung zurück, warum sich denn nichts ändert. Sie beenden den Abend mit Appellen. Reden über Geld, Reden über Klasse, Reden über das Erben – im Diskurs der Kunst und des Theaters geschieht das aus guten Gründen jetzt immer häufiger.

Aus dem Nebeneinander von solch einer Inszenierung, die sich zu ihrem Furor des Weltverbessern-Wollens bekennt, aber auch zu ihrer Verzweiflung, daran zu scheitern, und einem eher klassischen Theaterstück, wie „Frau Yamamoto ist noch da“ von der Dramatikerin Dea Loher geschrieben, wächst auch ein Reiz, Bezüge zu suchen.

Mulmig wegen Umweltzerstörung

Denn auch in „Frau Yamamoto“ treibt die Protagonisten das mulmige Gefühl, dass wir als Gesellschaft uns selbst den Bach hinunterschicken, unsere Umwelt zerstören und Ungerechtigkeit nicht verhindern, in die Rastlosigkeit. Aber die Erzählform ist eine ganz andere. In verstreuten Geschichten, aufgesammelt in der Nachbarschaft der alten Frau Yamamoto, ploppt das immer wieder auf wie ein persönliches Unglück, gegen das man allein nicht ankommt.

Die Inszenierung von Jette Steckel kommt vom Schauspiel Zürich, wo Ulrich Khuon Intendant ist. Er hatte die Autoren­theatertage zuerst am Thalia-Theater in Hamburg gegründet, mitgenommen an das Deutsche Theater in Berlin, wo sie nun von Iris Laufenberg weitergeführt werden. Dea Loher war für Khuon eine wichtige und viel gespielte Autorin.

Schwebende Figuren in „Frau Yamamoto ist noch da“ von Jette Steckel Foto: Alex Bunge

Auch jetzt schaut man diesem Panorama von Paaren, die zwar viel miteinander reden, aber nur selten über das, worüber sie eigentlich reden wollen, wieder gerne zu. Vieles kommt vor, ohne auserzählt zu werden, die Suche nach metaphysischem Überbau, der Weg in die Radikalisierung, verdächtige Schießübungen, Unfälle im Sägewerk.

The Notwist haben die musikalische, mit der Melancholie tändelnde Musikbegleitung beigesteuert, von Florian Lösche ist das Bühnenbild aus transparenten farbigen Wänden, die viele Szenen in Blau, Rot und Orange tauchen. Am Ende geht man emotional bewegt und mit vielen Fragmenten von möglichen Geschichten nach Hause.

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