Vom Anfangen und Beenden: „Guck dahin“

Zum Abschied schaut unsere Kolumnistin nicht zurück, sondern auf das, was alles zusammenhält: Solidarität und Selbstbehauptung in der Community.

Filmstill aus dem Dokumentafilm Sisterqueens Foto: Filmakademie BaWü

Nach zwei Jahren geht diese Kolumne zu Ende. Das erzeugt natürlich sofort ein Gefühl der Dringlichkeit. Jetzt noch schnell ein Manifest schreiben – oder lieber den Rückblick wagen?

Oder ganz anders. Mit der Dringlichkeit ist es nämlich so eine Sache. Sie ist dem queeren Leben und dem Leben, das nicht der Norm der Endogeschlechtlichkeit entspricht, ohnehin zu jeder Zeit eingeschrieben. Wir passen also aufeinander auf, so gut wir können. Auch wenn wir uns nicht persönlich kennen. Das ist das Geschenk, die Größe der Community, deren Ausmaß unermesslich ist.

Ich bin der Verkäuferin in der Tankstelle in Arizona immer noch dankbar dafür, wie sie unsere kleine Reisegruppe, die wir mit den Armen voll Eistee vor ihr standen, letztes Jahr mit „Stay safe out there“ verabschiedete. Es dauerte einen Moment, bis es bei mir einsickerte, was diese Geste in einem Staat bedeutet, in dem ständig Gesetzesentwürfe eingereicht werden, mit denen trans* Schü­le­r:in­nen zwangsgeoutet, queeres Wissen aus Schulbibliotheken verbannt werden soll und in denen die Existenz von intergeschlechtlichen Menschen schlicht geleugnet wird. Einige solcher Entwürfe hat Governor Katie Hobbs mit ihrem Veto verhindert. In vielen Staaten in den USA fehlt diese letzte Instanz.

Ich habe in dieser Kolumne viel über Kindheit geschrieben. Zum einen, weil uns an jeder Ecke Elternschaft abgesprochen wird und wir trotzdem auf „unsere Kinder“ aufpassen, wie meine Partnerin es kürzlich so liebevoll formuliert hat. Auf die jungen Menschen nämlich, die sich ihren eigenen Weg suchen, egal mit welcher Wucht und Routine queeres Werden verunmöglicht wird. Zum anderen, weil wir das Wissen über genau die Kindheiten und Wege des Aufwachsens in uns tragen, die mit Sprachregeln, Buchzensuren und dem Abschirmen vor queerer Kultur verhindert werden sollen.

Wir sprechen in letzter Zeit viel über genderqueere Kinder und trans* Kinder. Über intergeschlechtliche Kinder sprechen wir kaum. Wenn ich diese Kolumne mit einem Wunsch beenden darf, dann dass sich auch die feministische und die queere Bewegung den Kämpfen der In­ter* Be­we­gung entschieden anschließen. Und zwar informiert und mit Accountability.

Dass Inter* Organisationen zu Rate gezogen werden, wenn wieder die nächsten Sport­le­r:in­nen diskriminiert werden. Und wenn gegen die Menschenrechte von Kindern verstoßen wird, obwohl wir in Deutschland inzwischen das Gesetz zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung haben. Das Gesetz sieht Ausnahmen vor und die Erlaubnis für kosmetische Eingriffe wird weiterhin erteilt, anstatt nicht-pathologisierende Beratungen anzubieten.

Seit ich vor zwei Jahren bei einem Konzert von Sisterqueens, einem Rap-Projekt für Mädchen* und junge Frauen*, inklusive inter* und trans* Girls und genderqueere Kids, war, geht mir ein Song nicht mehr aus dem Kopf, den drei der Teilnehmenden uns entgegensangen: „Guck dahin“.

Darin heißt es, „Und ich sag ‚guck, guck dahin‘ und du schaust schnell wieder weg.“ Der Saal hörte den Song zum ersten Mal und sang nach der ersten Strophe sofort mit. Wir sprangen von den Sitzen, wir weinten, und die drei jungen Menschen auf der Bühne sangen von Selbstbehauptung. Vorbilder können auch jünger sein als man selbst. Das ist sie, die Schönheit der queeren Zeitrechnung.

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Redakteur:in für Kunst in Berlin im taz.Plan. Alle 14 Tage Kolumne Subtext für taz2: Gesellschaft & Medien. Studierte Gender Studies und Europäische Ethnologie in Berlin und den USA und promovierte an der Schnittstelle Queer-Theorie, abstrakte Malerei und Materialität. Als Künstler:in arbeitet Molitor mit Raum, Malerei und Comic. Texte über zeitgenössische Kunst, Genderqueerness, Rassismus, Soziale Bewegungen.

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