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Kulturkürzungen in NRWDie vollmundigen Versprechen waren leer

Bei der Unterstützung der freien Theaterszene hatte Nordrhein-Westfalen bisher Vorbildfunktion. Das könnte sich jetzt ändern.

Schau­spie­le­r:in­nen des Ensembles pulk fiktion auf der Bühne Foto: Christian Knieps

Das Stück „Der Riss“, mit dem das Kölner Kinder- und Jugendtheaterensemble pulk fiktion im Oktober, zum Tag der Deutschen Einheit, Premiere feiern wird, könnte aktueller nicht sein. „Es geht um Ost-West-Biografien, um das Aufwachsen in verschiedenen Systemen – und um den Ausgang der letzten Wahlen“, erzählt Lisa Zehetner, eine von zwei künstlerischen Leiterinnen der seit 2007 bestehenden freien Theatergruppe, die ihrem jungen Publikum immer wieder die Frage stellt, wie ein gemeinsames Zusammenleben von Generationen, Natio­nen und Kulturen aussehen kann.

„,Der Riss' “, sagt Zehetner angesichts des größer werdenden Einflusses von Rechts­ex­tre­mis­t:in­nen, „bringt das Verlassen von demokratischen Positionen auf die Bühne.“ Doch die Arbeit des Ensembles ist ungewiss. „Wie es ab dem 1. November weitergeht, wissen wir nicht“, erklärt Kulturpädagogin Zehetner.

Derzeit erhält pulk fiktion jährlich 80.000 Euro über die sogenannte Spitzenförderung des nordrhein-westfälischen Kulturministeriums – eine Unterstützung, die laut CDU-Kulturministerin Ina Brandes nun drastisch gekürzt werden soll. Dabei zählt das Ensemble zu den renommiertesten der freien Szene: vielfach ausgezeichnet und auf internationalen Festivals vertreten.

Im Koalitionsvertrag wurden noch Erhöhungen versprochen

„Damit ist unser Projekt zumindest mittelfristig existenziell bedroht“, sagt die Dramaturgin – „und damit auch Kunst, Kultur und Mitbeteiligung junger Menschen“. Zwar haben Christdemokraten und Grüne, die Nordrhein-Westfalen seit 2022 gemeinsam regieren, in ihrem Koalitionsvertrag noch vollmundig versprochen, „den Kulturetat bis zum Ende der Legislaturperiode schrittweise um 50 Prozent erhöhen“ zu wollen.

Doch jetzt droht gerade der freien Theaterszene eine Kürzung um 50 Prozent, zunächst in der jeweils für drei Jahre gewährten Exzellenz- und Spitzenförderung. Die deutsche Wirtschaft sei bereits „drei Jahre in Folge in einer Rezession“, klagte Kulturministerin Brandes in einer Kulturausschuss-Sitzung des Düsseldorfer Landtags zur Begründung – und daher wisse sie schlicht nicht, „wo sprudelnde Steuermehreinnahmen herkommen sollen“, die „weitere Spielräume eröffnen“ könnten.

Angesichts der Haushaltslage müsse sie schlicht „auf Sicht fahren“, glaubt die Ministerin. Auch Angebote der Freien Szene für Erwachsene sollen deshalb zusammengestrichen werden. Konkret will Brandes hier nur noch vier statt bisher acht Ensembles eine Spitzenförderung gewähren. Eine Exzellenzförderung sollen nur noch zwei statt bisher drei Gruppen erhalten.

Ein Kompromiss verhinderte noch größere Einsparungen

Beim Kindertheater, wo es nur die Spitzenförderung gibt, sollen nur noch vier statt bisher sechs Theaterkollektive Geld bekommen – und auch nur noch 60.000 statt bisher 80.000 Euro jährlich. Dabei ist schon dies ein Kompromiss, erzwungen durch heftige Proteste der Szene: Ursprünglich sollte es sogar nur noch 30.000 Euro im Jahr geben.

„Insgesamt sollen so 540.000 Euro eingespart werden“, rechnet Ulrike Seybold, Geschäftsführerin des Landesbüros freie darstellende Künste, das in NRW rund 410 Mitglieder der freien Szene vertritt, vor. „Damit saniert man keinen 107 Milliarden schweren Landeshaushalt, gefährdet aber Ensembles in ihrer Existenz“, warnt die Kulturmanagerin. Heftige Kritik hagelt es auch von der Landtagsopposition.

Brandes’ Kürzungen seien „ein Angriff auf die kulturelle Vielfalt“, findet nicht nur die Abgeordnete Yvonne Gebauer von der FDP. „Tun Sie es nicht“, fordert auch der Kulturpolitiker Andreas Bialas von der SPD. Schließlich seien die Steuereinnahmen des Landes trotz schwächelnder Wirtschaft noch gar nicht geschrumpft – stattdessen rechnet NRW-Finanzminister Marcus Optendrenk für 2025 und 2026 mit „geringen Mehreinnahmen“ von jeweils rund 300 Millionen Euro.

„Künstler:innen und Künstler werden seit Monaten hingehalten“, kritisiert Gebauer außerdem – schließlich endet die aktuelle Förderperiode Ende Juni. Theatermacher hatten deshalb monatelang keine Planungssicherheit für 2025 – und erst auf Druck der Szene habe Brandes überhaupt eine Übergangsfinanzierung bis Ende Oktober angeboten. „So geht man mit der Kultur nicht um, das ist kulturlos“, hielt die Liberale der Ministerin im Landtagsausschuss vor.

Auch auf Bundesebene beobachtet man die Situation mit Sorge

Dabei könnten die jetzt verkündeten Einschnitte erst der Anfang sein. Treffen könnte es auch die breiter angelegte Konzeptionsförderungen, mit denen 35 weitere Gruppen mit jeweils bis zu 50.000 Euro jährlich unterstützt werden und deren reguläre Förderperiode Endes des Jahres endet – insgesamt unterstützt das Land die Tausende freien Theatermacher in NRW mit 14,2 Millionen Euro.

„Wir befürchten, dass bei der Freien Szene noch viel stärker gekürzt werden soll“, sagt Landesbüro-Geschäftsführerin Seybold: „Jedenfalls gibt es noch keinerlei Entscheidung, wann, ob und falls ja, in welcher Höhe ab Januar 2026 überhaupt noch Konzeptionsförderungen ausgezahlt werden sollen.“

Mit Sorge beobachtet wird die Situation in NRW auch auf Bundesebene. „Bei der Unterstützung der freien Szene hatte NRW immer eine Vorbildfunktion“, sagt Helge-Björn Meyer vom Bundesverband freie darstellende Künste. Jetzt fürchtet der Verbands-Geschäftsführer, dass sich das größte Bundesland mit seinen 18 Millionen Menschen zu einem weiteren Negativbeispiel entwickeln könnte – etwa so wie Berlin, wo der Gesamt-Kulturetat schon in diesem Jahr um 130 Millionen Euro gekürzt wurde, oder Sachsen, wo die Kulturförderung für zwei Jahre um 38 Millionen Euro gekürzt wird. „Im Bundesverband“, sagt Meyer mit Blick auf Nordrhein-Westfalen, „stehen wir unter Schock.“

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