Volkswirt über Inflation und Übergewinne: „Eine Frage der Gerechtigkeit“
Der Staat sollte Verbraucher bei den hohen Gaspreisen unterstützen, sagt Ökonom Sebastian Dullien. Und er sollte Übergewinne von Firmen besteuern.
taz am wochenende: Herr Dullien, wenn Sie Kanzler wären: Was würden Sie tun, um den ökonomischen Schwierigkeiten zu begegnen?
Sebastian Dullien: Die größten Gefahren sind, dass sich die Inflation verfestigt und dass Deutschland in eine Rezession abgleitet. Die steigenden Preise senken die Kaufkraft. Wenn aber der Konsum einbricht, nimmt die Arbeitslosigkeit zu. Die Steuereinnahmen fallen. Es beginnt ein Teufelskreis.
Was würden Sie also tun?
Es muss Hilfen für Rentner und Studierende geben. Sie haben von den bisherigen Entlastungspaketen nicht profitiert. Gleichzeitig muss der Hartz-IV-Satz angehoben werden.
Jahrgang 1975, ist Volkswirt und Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK). Zudem ist er Professor an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin.
Ist das alles?
Nein. Besonders betroffen sind die Gaskunden. Im Jahresvergleich hat sich der Gaspreis im Großhandel etwa verfünffacht, und diese Preissteigerungen werden nun nach und nach an die Haushalte weitergegeben. Daher sollte es für den Grundverbrauch von Gas eine Preisobergrenze geben. Der Staat übernimmt dann den Rest.
Wenn der Staat das Gas subventioniert, lohnt es sich für die Haushalte nicht mehr, Energie einzusparen.
Doch. Es würde nur der Grundverbrauch subventioniert. Wer mehr konsumiert, muss den vollen Preis zahlen.
Haben Sie noch einen Ratschlag für den Kanzler?
2023 sollte es erneut eine Einmalzahlung für alle Steuerzahler geben, ähnlich wie die 300 Euro, die jetzt für den September geplant sind.
Das macht FDP-Finanzminister Lindner bestimmt nicht mit. Er will 2023 wieder die Schuldenbremse einhalten.
Man könnte die Einmalzahlung auf Dezember 2022 vorziehen. Damit ließe sich der Koalitionsfrieden erhalten.
Wenn jeder Steuerzahler 300 Euro bekommt, profitieren auch Gutverdiener und Millionäre, obwohl sie dieses Geld gar nicht benötigen.
Die Einmalzahlung muss versteuert werden. Spitzenverdiener zahlen den Spitzensatz – da bleibt nur ein Teil übrig. Einmalzahlungen sind die einzige Möglichkeit, um Haushalte zu entlasten, die wenig Geld haben, aber keine Transferzahlungen wie Hartz IV oder Wohngeld erhalten. Viele Familien haben keine Ersparnisse, sodass sie von der Inflation sehr hart getroffen werden.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Wieso soll es eigentlich nicht möglich sein, ganz gezielt nach der Höhe des Einkommens zu helfen? SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil will zum Beispiel ein Klimageld an alle Beschäftigten auszahlen, die maximal 4.000 Euro brutto verdienen.
Ich bin mir nicht sicher, ob dieser Vorschlag schnell und einfach umsetzbar ist. Das Steuerrecht wird sehr kompliziert, wenn die Entlastungen an die Steuererklärungen gekoppelt werden. Da sind Einmalzahlungen unbürokratischer.
Also finden Sie auch den Tankrabatt richtig – obwohl selbst Porschefahrer entlastet werden?
Den Tankrabatt sehe ich positiver als viele andere Ökonomen. Früher hätte ich auch gedacht, dass vor allem reiche SUV-Fahrer entlastet werden. Aber Untersuchungen der Böckler-Stiftung haben gezeigt, dass dieses Bild unvollständig ist. Ich war überrascht, wie viel Geld insbesondere Familien mit geringen und mittleren Einkommen für Benzin und Diesel ausgeben. Durch den Tankrabatt werden sie weit stärker entlastet, als ich es erwartet hätte.
Vom Tankrabatt ist aber nicht mehr viel zu spüren. Benzin und Diesel sind wieder fast so teuer wie vorher. Was halten Sie von der Idee, „Übergewinne“ der Ölkonzerne zu besteuern?
Das Projekt ist sinnvoll. Die Unternehmen profitieren von der Inflation, die Konsumenten leiden. Es ist daher eine Frage der Gerechtigkeit, die überzogenen Profite zusätzlich zu besteuern.
Aber wie soll das funktionieren? Die Ölfirmen haben ihren Sitz doch gar nicht in Deutschland.
Man könnte die Umsätze besteuern. Aber das wird nicht einfach. Ich habe noch keine überzeugende rechtliche Lösung gesehen, aber ich bin kein Jurist.
Andere europäische Länder besteuern bereits Übergewinne. Lässt sich davon etwas lernen?
Grundsätzlich sicher. Allerdings haben wir eine andere Verfassung und ein anderes Steuersystem. Aber das ist kein Grund, Übergewinne nicht zu besteuern. Man muss nach einer geeigneten Lösung suchen.
Demnächst stehen wichtige Tarifverhandlungen an, und die Gewerkschaften fordern einen Inflationsausgleich. Kommt es zu einer Lohn-Preis-Spirale, weil die Unternehmen die steigenden Arbeitskosten auf die Preise aufschlagen?
Dafür sehe ich derzeit keine Anzeichen. Alles deutet darauf hin, dass in diesem und im nächsten Jahr die Löhne in Deutschland gesamtwirtschaftlich nicht stärker zulegen werden, als es mit dem Inflationsziel der EZB vereinbar wäre. Die Löhne müssen auch und gerade in Zeiten hoher Inflation steigen. Sonst schwächelt die Nachfrage, weil die hohen Preise die Kaufkraft auffressen.
Die Gewerkschaften haben eine neue Verhandlungsmacht, weil überall Fachkräfte fehlen. Besteht nicht doch die Gefahr, dass die Löhne zu stark steigen?
Noch einmal: Bisher ist in Deutschland nichts davon zu sehen, dass die Löhne zu stark steigen würden. Außerdem gibt es Branchen, die erst einmal nicht mehr so stark wachsen werden wie in den vergangenen Jahren. Dazu gehört der private Wohnungsbau. 2021 lagen die Zinsen für einen 10-jährigen Kredit bei 0,8 Prozent. Jetzt sind es schon 2,8 Prozent. Also können sich viele Menschen kein Eigenheim mehr leisten. Das macht eine Beispielrechnung klar: Wenn man eine Hypothek von 300.000 Euro aufnimmt, bei der jährlich 2 Prozent getilgt werden müssen, dann betrug die monatliche Rate früher 750 Euro. Jetzt sind es 1.250 Euro.
Ist die Europäische Zentralbank (EZB) schuld, dass die Häuslebauer jetzt stranden?
Bisher liegen die Leitzinsen bei Null. Aber im Juli wird sie die EZB auf 0,25 Prozent anheben. Weitere Zinsschritte sind zu erwarten. Die Immobilienzinsen nehmen diese Entwicklung vorweg. Schließlich laufen die Kredite über mehrere Jahre.
Die EZB will die Inflation bremsen. Wie lange ist noch mit einer Geldentwertung zu rechnen?
Schon nächstes Jahr wird die Inflationsrate deutlich niedriger liegen als heute.
Weil der Ukrainekrieg vorbei ist?
Selbst wenn der Krieg anhält, wird die Inflationsrate sinken. Denn sie misst ja nur den Anstieg der Preise. Das Preisniveau bleibt hoch – und damit auch die Belastung für die Haushalte.
Um Russland zu schwächen, soll es ab Jahresende ein europäisches Embargo von russischem Öl geben. Ist das eine gute Idee?
Auf jeden Fall. Das Problem ist allerdings, dass wir zu wenig Energie sparen. Hier wären Kampagnen und auch symbolische Schritte wie ein Tempolimit sinnvoll.
Wenn wir auf russisches Öl verzichten, wird Energie noch knapper und die Preise steigen weiter. Verdient Russland dann nicht sogar mehr als vorher?
Wenn es das Embargo gibt, kann Russland sein Öl auf den internationalen Märkten nur noch mit einem gewissen Abschlag verkaufen. Das sieht man am Iran, der auch mit Sanktionen belegt ist. Das Land muss sein Öl auf hoher See umständlich in andere Tanker umladen, damit die Herkunft verschleiert wird.
Russland könnte diesen Abschlag aber verkraften: Da die Ölpreise durch das Embargo weltweit steigen, würden die Verluste ausgeglichen.
Die Hoffnung wäre schon, dass weniger Einnahmen nach Russland gehen.
Seit der Coronapandemie 2020 sind die Lieferketten ständig gestört. Wird das die Globalisierung verändern?
Die Globalisierung wird nicht wie bisher weiterlaufen. Wir erleben eine geopolitische Polarisierung. China und die USA setzen bereits auf den eigenen Kontinent. Die EU wird diesem Muster folgen. Die Automobilindustrie ist ein gutes Beispiel. Im Frühjahr 2020 fehlten Antriebsteile aus Italien, dann Halbleiter aus China, jetzt Kabelbäume aus der Ukraine. Künftig wird man größere Lagerbestände anlegen und die Zulieferer auf mehrere Regionen verteilen. Das wird aber für die Konsumenten ein bisschen teurer.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken