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„Volksverräter“ ist Unwort des Jahres 2016Das Erbe von Diktaturen

Den Begriff „Volksverräter“ benutzten schon die Nazis. Dass der Begriff immer noch verwendet wird, sage viel über die Gesellschaft aus, so die Jury.

Unwort in der Praxis: rechte Demonstrantin in Heidenau, Sachsen (Archivbild) Foto: dpa

Darmstadt dpa | Der Begriff „Volksverräter“ ist das „Unwort des Jahres 2016“. Das teilte die Sprecherin der „Unwort“-Jury, die Sprachwissenschaftlerin Nina Janich, am Dienstag in Darmstadt mit (.pdf). Das Wort sei ein „Erbe von Diktaturen“ unter anderem der Nationalsozialisten. „Als Vorwurf gegenüber PolitikerInnen ist das Wort in einer Weise undifferenziert und diffamierend, dass ein solcher Sprachgebrauch das ernsthafte Gespräch und damit die für Demokratie notwendigen Diskussionen in der Gesellschaft abwürgt.“

Das Schlagwort „Volksverräter“ werde auch in sozialen Netzwerken häufig verwendet, sagte Janich. „Sprache sagt viel über Werthaltungen in einer Gesellschaft aus.“ Der Wortbestandteil „Volk“ – ebenso wie die in der Flüchtlingsdebatte genannten Begriffe „völkisch“ oder „Umvolkung“ – steht laut Jury „dabei ähnlich wie im Nationalsozialismus nicht für das Staatsvolk als Ganzes, sondern für eine ethnische Kategorie, die Teile der Bevölkerung ausschließt“.

Die „Unwort“-Jury richtet sich nicht nach der Häufigkeit der Vorschläge, sondern entscheidet unabhängig. Der Ausdruck „Volksverräter“ war dreimal eingesendet worden. Für 2015 hatte es insgesamt 1.064 Einsendungen gegeben, weniger als in den Jahren davor.

Zum „Unwort des Jahres 2015“ war der häufig von Rechtspopulisten verwendete Begriff „Gutmensch“ gewählt worden. Für 2014 hatte das Gremium „Lügenpresse“ ausgesucht. Im Jahr 2013 war „Sozialtourismus“ das „Unwort“, davor „Opfer-Abo“ (2012) und „Döner-Morde“ (2011). Die Aktion gibt es seit 1991. Sie soll das Bewusstsein und die Sensibilität für Sprache fördern. Die Jury nimmt bei ihren Entscheidungen „sachlich unangemessene oder inhumane Formulierungen im öffentlichen Sprachgebrauch“ in den Blick, „um damit zu alltäglicher sprachkritischer Reflexion aufzufordern“.

Neben dem „Unwort des Jahres“ gibt es auch das „Wort des Jahres“. Dieser Begriff wird unabhängig von der „Unwort“-Jury von der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) in Wiesbaden gewählt. Für 2016 entschied sie sich für den Begriff „postfaktisch“. Zur Begründung hieß es, in politischen und gesellschaftlichen Diskussionen gehe es zunehmend um Emotionen anstelle von Fakten.

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4 Kommentare

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  • Da jedes "Unwort" per definitionem trotzdem ein Wort ist, ist schon allein der Begriff schwachsinnig - genau wie "Unkosten"!

    Und wenn dieses erlesene Gremium von Sprachwissenschaftlern in Darmstadt sonst nichts besseres zu tun hat, sehe ich da für das Land Hessen schon wieder eine grandiose Einsparmöglichkeit...

  • Eine äußerst fragwürdige und sicherlich politisch motivierte Entscheidung.

     

    Aufgrund der Aktualität wäre "postfaktisch" das richtige Unwort gewesen. Tatsächlich wurde das Wort "postfaktisch" 16 mal häufiger vorgeschlagen als "Volksverräter". Angeblich erfüllt "postfaktisch" jedoch nicht die Kriterien. Mögliche Kriterien sind jedoch unter anderem, Wörter oder eine Formulierungen die gegen die Demokratie verstoßen oder durch deren Gebrauch eine gesellschaftliche Gruppe diskreminiert wird.

     

    "Postfaktisch" ist ein Unwort im Sinne dieser Kriterien, weil es als Vorwurf durch Politiker gegenüber Wählern in einer Weise undifferenziert und diffamierend dergestalt genutzt wird, dass das ernsthafte Gespräch und damit die für Demokratie notwendigen Diskussionen in der Gesellschaft abwürgt wird.

  • Mir war das Unwort "Volksverräter" im Alltag nur sehr isoliert auf Fotos irgendwelcher Pegida- und NPD Demos aber nicht im öffentlichen Sprachgebrauch aufgefallen.

    http://www.unwortdesjahres.net/

     

    Ein Blick in die Erläuterungen der Jury offenbart dann auch: "Volksverräter" wurde nur unter 1064 Einsendungen nur 3mal vorgschlagen, während zahlreiche andere Worte teilweise (postfaktisch [48x], Populismus/Rechtspopulismus [38x], (bedauerlicher) Einzelfall [21x], .... ) deutlich häufiger nominiert wurde.

     

    Die Wahl erscheint mir erstmals seit Jahren etwas unglücklich und zu sehr politisch "gewollt".

  • Was ist dann "hate-speech"?

    Für mich das Unwort des 2016, erinnert es doch an Orwells "Neusprech".