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Volkskongress in ChinaTodesstoß für Hongkongs Demokraten

Beim Volkskongress in China sickern Details der geplanten Wahlreform für die frühere britische Kronkolonie durch. Die Staatsführung agiert paranoid.

Parlament zum Schein: Der Volkskongress, der die Kontrolle über Hongkong ausweitet Foto: Li Xiang/imago

Peking taz | Wenn Chinas knapp 3.000 Abgeordnete inmitten der weltweiten Pandemie in der Großen Halle des Volkes zusammenkommen, sendet allein die schiere Dimension von Pekings Scheinparlament eine beeindruckende Machtbotschaft in die Welt hinaus. An diesem Freitag richtete sich der Paukenschlag vor allem an Hongkong.

Die ersten Details der von Festlandchina aufgezwungenen „Wahlreform“ für die Sonderverwaltungsregion sind ein endgültiger Todesstoß für das pro-demokratische Lager: Demnach muss jeder Politiker, der künftig für das Parlament kandidieren will, von einem Pro-Peking-Komitee abgesegnet werden. Laut Wang Chen, dem Vize-Vorsitzenden des Ständigen Ausschusses, sollen nur noch „Patrioten“ Hongkong regieren dürfen, ohne jedoch näher auf den Begriff einzugehen. Chinas staatliche Nachrichtenagentur Xinhua titelte mit „demokratischem Wahlsystem mit Hongkonger Eigenschaften“.

Rund eine Woche dauert der diesjährige Volkskongress. Aus demokratischer Sicht sind die Sitzungen zwar eine Farce, bei denen Abgeordnete praktisch einstimmig Gesetze abnicken, die sie nie zuvor gesehen haben. Doch für Beobachter ist die Veranstaltung ein wichtiger Gradmesser für den zukünftigen Kurs des Landes.

Normalerweise wird vor allem auf eine einzelne Zahl geschaut: das alljährliche Wachstumsziel. Nachdem 2020, also nur wenige Monate nach Ausbruch der Pandemie, erstmals kein konkreter Richtwert ausgegeben wurde, schlug die Staatsführung dieses Mal eine Kompromisslösung ein. Man wolle ein Wachstum von „über sechs Prozent“ erreichen, heißt es. Das bescheidene Ziel liegt rund zwei Prozent hinter den Prognosen von Ökonomen für Chinas tatsächliches Wachstum.

Gute Nachrichten

Doch für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes sind es gute Nachrichten, dass sich die Bürokraten nun nicht mehr auf eine starre, überambitionierte Planzahl fokussieren müssen. Wie Premierminister Li Keqiang am Freitag begründete, lasse dies mehr Spielraum zu, um sich auf Reformen und Innovationen zu konzentrieren, die sich nicht unmittelbar in empirisch messbarem Wachstum niederschlagen.

In seiner Grundsatzrede ging der auf dem Papier zweitmächtigste Mann des Landes immer wieder auf die Notwendigkeit ein, dass sich die Volksrepublik im Bereich der Hochtechnologie von der Außenwelt unabhängig machen müsse. Die Botschaft ist eindeutig an die Vereinigten Staaten gerichtet, die aus Sicht Pekings mit Handelskrieg und Boykottdrohungen den wirtschaftlichen Aufstieg der neuen Weltmacht sabotieren wollen. Dementsprechend werden Chinas Forschungsausgaben bis 2025 jährlich um sieben Prozent steigen.

Ähnlich hoch fällt auch die Steigerung des diesjährigen Militärbudgets aus. Damit hinkt die Volksrepublik zwar nach wie vor den Vereinigten Staaten deutlich hinterher. Dennoch ist die technologische „Modernisierung“ der Volksbefreiungsarmee, wie sie Staatschef Xi Jinping immer offensiver mit künstlicher Intelligenz und autonomen Waffensystemen vorantreibt, insbesondere für die angrenzenden Nachbarländer in der Region besorgniserregend.

Letztendlich kann der streng orchestrierte Volkskongress nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese scheinbar vor Selbstbewusstsein strotzende Staatsführung aus tiefer Unsicherheit agiert. Die drastisch gestiegene Zensur und systematische Unterdrückung von Andersdenkenden unter Parteisekretär Xi Jinping demonstriert deutlich, dass Pekings Elite seiner eigenen Bevölkerung misstraut, ja sogar Angst vor ihr hat.

Wie paranoid die chinesische Regierung agiert, zeigte sich auch bei der Berichterstattung über den Volkskongress am Freitag. Als der US-Sender CNN, der ohnehin nur in einigen wenigen Hotelfernsehern in China zu empfangen ist, kritisch über die Wahlreform für Hongkong berichtete, bracht der Empfang plötzlich ab.

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4 Kommentare

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  • Als ob diese englische Kapitalisten-Ausbeuter Kolonie jemals Demokratie gewesen wäre. Komplett lächerlich diese Krokodilstränen.

  • Hongkong möchte Privilegien behalten und eckt mit Beijing an. Macau macht das viel cleverer - keine Probleme mit Beijing. Ich glaube, das liegt am anglo-amerikanischen Einfluss auf Hongkong.

  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    ....sind ein endgültiger Todesstoß für das pro-demokratische Lager:

    An Demokratie in China glaubt doch schon längst kein Mensch mehr.



    Xi führt die tausendjährige Eroberungspolitik fort - mit allen Mitteln, die nötig sind.



    Wir in Europa sind so blöd und erlauben ihm auch noch das Mega-Projekt Neue Seidenstraße.



    Uns ist nicht mehr zu helfen!

  • Die Formel „ein Land 2 Systeme“ war eine Erfindung des damaligen Machthabers Deng Xiaoping, um warnende Stimmen aus dem Westen und vor allem aus Hongkong selbst zu besänftigen.



    Und es schien ja auch jahrelang gut zu laufen. Doch nun, nach einer Schamfrist von über 2 Jahrzehnten, meinen die Pekinger Machthaber, nun müsse Schluss sein mit lustig. Sie versuchten auch bisher schon nach der Salamitaktik, den Hongkongern immer mehr ihr kommunistisches System überzustülpen und unterdrücken jeden Protest dagegen.



    Übrigens war „ein Land 2 Systeme“ von Anfang an nur auf 50 Jahre angelegt. Was danach kommen sollte, wurde jedenfalls nicht öffentlich gesagt. Inzwischen wird es immer klarer!