Volksinitiative „Hamburg werbefrei“: Hamburg kann weiter flimmern
Der Plan zu einem Volksentscheid gegen digitale Werbetafeln ist gescheitert. Die Gegenkampagne der Werbelobby soll aber juristisches Nachspiel haben.

Nur knapp 51.000 Unterschriften hat die Volksinitiative in den vergangenen drei Wochen gesammelt. Für ein erfolgreiches Volksbegehren, den zweiten notwendigen Schritt der direktdemokratischen Hamburgischen Volksgesetzgebung, wären allerdings rund 66.000 nötig gewesen.
Nur so hätte die Initiative einen abschließenden und verbindlichen Volksentscheid über ihr Vorhaben erzwingen können. „Wir sind mit dem Ergebnis natürlich nicht zufrieden, aber nehmen aus den vielen Gesprächen der vergangenen drei Wochen auch ganz viel Positives mit“, sagte am Mittwoch bei der Abgabe Martin Weise, einer der Sprecher der Initiative.
Die Aktivist:innen wollten mit ihrem Gesetzesvorschlag die in den vergangenen Jahren stark ansteigende Zahl von digitalen Werbetafeln zurückfahren. Vor allem die mehr als zehn Quadratmeter großen digitalen Anzeigetafeln sind ihnen ein Dorn im Auge – aus mehreren Gründen: „Allein deren Stromverbrauch ist so hoch wie der von mehreren Tausend Menschen“, sagt Weises Mitstreiterin Antonia Petschat.
Rot-Grün gegen Volksinitiative
In der Folge komme es zu einer wachsenden Lichtverschmutzung, die wiederum das Insektensterben begünstige. „Und durch die immer weiter steigende Zahl der Werbetafeln dominiert ihre Werbung immer mehr den öffentlichen Raum, ohne dass ich mich dagegen wehren kann“, so Petschat.
Die in Hamburg regierende Koalition aus SPD und Grünen hatte eine Unterstützung der Initiative in den vergangenen Jahren rundheraus abgelehnt – vor allem, weil die Stadt pro Jahr mehr als 30 Millionen Euro von Werbefirmen einnimmt, die den öffentlichen Grund zur Aufstellung von Werbeflächen nutzen. Außerdem regulierten die Verträge, die Rot-Grün mit den Betreiberfirmen geschlossen haben, bereits angemessen die Außenwerbung in der Stadt.
Nicht die rot-grünen Gegenargumente, sondern vor allem das Agieren der Werbewirtschaft in den vergangenen Wochen sieht die Volksinitiative allerdings als hauptsächlichen Grund für das Scheitern ihres Vorhabens. „Wir hatten ja mit viel Gegenwind aus der Branche zu kämpfen“, sagte Weise – und bezieht sich auf die umstrittene Eigenwerbekampagne des Fachverbandes Außenwerbung.
Gegenkampagne durch Werbebranche
Rund zwei Wochen vor dem Start des Volksbegehrens begannen Dankesbotschaften von teils gemeinnützigen Organisationen auf den Screens zu laufen.
Sportvereinsvorstände, Kulturschaffende oder Helfer:innen der Hamburger Tafel machten darauf aufmerksam, wie wichtig es für sie sei, für wenig Geld oder kostenlos Werbung machen zu können. Unterlegt waren die Botschaften mit dem Schriftzug „Außenwerbung macht’s möglich!“. Auf Nachfrage behauptete der Fachverband, die Kampagne laufe zufällig parallel zum Volksbegehren. Auch in anderen Städten seien ähnliche Kampagnen geplant.
Antonia Petschat, Volksinitiative „Hamburg werbefrei“
Gegen diese Kampagne war die Initiative bereits mit einem Eilantrag vor das Hamburgische Verfassungsgericht gezogen, weil sie sie als unzulässige politische Einflussnahme bewertete. Das Gericht verwarf jedoch zunächst die Forderung der Initiative, die Pro-Werbe-Kampagne per einstweiliger Verfügung zu stoppen – mit dem Hinweis darauf, dass das Volksbegehren ja angelaufen sei und „etwaige Verstöße damit nicht mehr vor dem Volksbegehren beseitigt werden“ können.
Deshalb ist für „Hamburg werbefrei“ mit der Abgabe der Unterschriften auch noch nicht Schluss. „Wir werden erneut dagegen Klage einreichen, weil diese aus unserer Sicht unzulässige Einflussnahme durch den Senat nicht unterbunden wurde“, sagt Weise. Der Senat, der für die Durchführung des Volksbegehrens zuständig ist, habe die Öffentlichkeit zuvor außerdem nicht ausreichend informiert.
Neue Werbeverträge stehen an
„Sollte das Verfassungsgericht der Argumentation der Volksinitiative folgen, könnte es das Zustandekommen des Volksbegehrens feststellen und die Hamburger:innen bekämen die Möglichkeit, über den Gesetzentwurf abzustimmen“, sagt der Anwalt der Volksinitiative, Fadi El-Ghazi.
Trotz des Dämpfers bei der Auszählung am Mittwoch und des ungewissen Ausgangs vor Gericht sieht die Initiative weiter Handlungsbedarf beim Umgang mit digitaler Außenwerbung. „Wir haben in den vergangenen drei Wochen unfassbar viele Gespräche mit Bürger*innen geführt, die sich mit dem Thema noch nicht beschäftigt hatten und die wir mit unseren Argumenten überzeugen konnten“, sagte Petschat.
Aufklärung sei aktuell umso wichtiger, weil Ende nächsten Jahres die Verträge zwischen der Stadt und den beiden Unternehmen Ströer und Wall auslaufen. „Die Verhandlungen für die künftigen Verträge werden darüber entscheiden, wie Hamburg künftig aussehen wird.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Schädliche Motorrademissionen
Knatter-Kritiker fordern besseren Lärmschutz
Dem Rasen den Kampf ansagen
„Schafft euren Rasen ab!“
Was steht im AfD-Gutachten?
Feinde der Verfassung – auf 1108 Seiten
Tod von Nadja Abd el Farrag
Vom Patriarchat gefressen
Debattenkultur
Keine Angst vorm Gendern, liebe Mitboomer
Antisemitismus-Streit der Linken
Feigheit vor dem Freund