Volksentscheid: Sehnsucht nach Tempelhof
Mit ihrer Nostalgiekampagne zur Offenhaltung von Tempelhof greift die CDU tief in die Westberliner Geschichtskiste. Statt zusammenzuwachsen droht Berlin eine neue Spaltung in West und Ost.
Auch wenn es sich inzwischen eingebürgert hat, den Bau der Mauer als die Geburtsstunde Westberlins und der Berliner Teilung zu begreifen - ein Westberlin-Feeling gab es viel früher. Es war die Erfahrung der Blockade 1948/49, der Durchhaltewillen der Westberliner sowie der Einsatz der US-Streitkräfte, die sich mit ihrer Luftbrücke zu Westberlin bekannten. Der Flughafen Tempelhof ist damit nicht nur ein Symbol der Freiheit, wie es das Luftbrückendenkmal aus dem Jahr 1951 verkörpert. Er ist auch ein konstitutives Moment der Berliner Geschichte. Ohne Tempelhof keine Teilung, kein Mauerbau, kein 68, keine Hausbesetzer, kein Mauerfall.
Die Geschichte des Flughafens Tempelhof beginnt in den Goldenen Zwanzigern. Auf dem ehemaligen Exerzierfeld wurde 1922 der Flugbetrieb aufgenommen. Die erste Flugverbindung ging nach Königsberg.
So rasant wuchs der Verkehr, dass Tempelhof vor Paris und London Europas größter Verkehrsflughafen war. 1934 wurde der Architekt Ernst Sagebiel mit der Erweiterung beauftragt. Sein Gebäude wurde flächenmäßig zum damals größten der Welt. Unvollendet blieben die Pläne der Nazis, auf dem Dach eine Aussichtsplattform für 100.000 Personen zu bauen.
Nach dem Krieg wurde der von sowjetischen Truppen im April 1945 besetzte Flughafen an die Amerikaner übergeben. Während der Berlin-Blockade war Tempelhof das Ziel der Luftbrücke. Bis zu 1.400 Maschinen täglich versorgten von Juni 1948 bis Mai 1949 das durch die Sowjets abgeschnittene Westberlin. Zur gleichen Zeit wurde auch der Militärflughafen Tegel im französischen Sektor gebaut.
Seit 1950 war Tempelhof ziviler Flughafen und stieß erneut an seine Grenzen. Erst als 1975 Tegel ausgebaut wurde, gab es eine spürbare Entlastung. In den Schlagzeilen blieb Tempelhof trotzdem. Vor allem polnische Flugzeugentführer steuerten Tempelhof an. Die Fluggesellschaft LOT wurde im Westberliner Volksmund deshalb "Landet oft in Tempelhof" genannt.
Nach der Wende 1989 erlebte Tempelhof eine neue kurze Blüte, doch dann begann der Niedergang. Immer mehr Airlines wanderten nach Tegel und Schönefeld ab. 1996 beschloss der Senat den Ausbau Schönefelds zum Flughafen Berlin Brandenburg International - und zugleich die Schließung der beiden anderen Flughäfen. In Tempelhof soll der Betrieb am 31. Oktober enden. Heute in einem Monat, am 27. April, wollen CDU und Icat den Flugbetrieb per Volksentscheid retten.
Das ist der Klang der Geschichte, der mitschwingt, wenn die Wahlberechtigten in einem Monat darüber abstimmen, ob der Flughafen Tempelhof geschlossen wird oder der Betrieb für ein paar Geschäftsflieger fortgesetzt werden soll. Ein Klang, dem vor allem CDU-Fraktionschef Friedbert Pflüger seine Stimme verleiht. Zum Beispiel, wenn er in seinem "Berlin.Blog" vom 8. Februar 2008 von seiner Begegnung mit dem heute 87-jährigen Gail Halvorsen berichtet. "Heute um kurz vor 10 Uhr habe ich auf dem Flughafen Tegel Gail Halvorsen begrüßt", schreibt Pflüger. "Er wäre anstelle von Tegel sicher lieber in Tempelhof gelandet - auf dem Flughafen, den er während der Blockade als Pilot der Luftbrücke 123-mal anflog, um Hilfsgüter in den abgeschnittenen Teil Berlins zu transportieren und damit am Leben zu halten."
Und dann greift Pflüger, der Hannoveraner, der im Wahlkampf schon mal seine Heimatstadt gegen Berlin in Stellung brachte, tief in die Westberliner Geschichtskiste. "Als ich mit Gail dann wenig später wirklich wieder vor ,seinem' Flughafen Tempelhof stehe, braucht er nicht viele Worte, um die Stimmung von damals zu beschreiben. Er erinnert sich an die Flüge dicht über den Dächern Berlins." Dabei, berichtet Pflüger, "lacht er und erzählt, dass er auch beim soundsovielten Flug mit den Flügeln wackelte. Dies war das Zeichen an die Kinder der in Trümmern liegenden Stadt - gleich regnet es Schokolade, angebunden an kleinen Taschentüchern - kleine Fallschirme des Glücks im tristen, beschwerlichen Blockadewinter 1948/49."
Blockade, Luftbrücke, Tempelhof. Für viele ist das noch heute der Stoff, aus dem Westberlin gemacht ist. Die 2,34 Millionen Tonnen Lebensmittel, Kohle, Benzin und Medikamente, die die Piloten der Luftbrücke ab dem 26. Juni 1948 fast ein Jahr lang im Dreiminutentakt nach Tempelhof flogen, haben sich tief im kollektiven Gedächtnis Westberlins festgesetzt. Das schließt auch Piloten wie Gail Halvorsen ein. Der war mit seinen Süßigkeiten, die er bei der Landung auf Tempelhof abwarf, nicht nur ein Held der Luftbrücke. Er war auch der Erfinder des "Rosinenbombers" - dieser weiteren Zutat in der Westberliner Erinnerungsküche.
Zum kollektiven Gedächtnis Westberlins, zu Blockade, Luftbrücke und Tempelhof gehört aber auch der Trotz, mit dem Ähnliches im weiteren Verlauf der Geschichte verhindert werden sollte. Mit dem späteren Kraftwerk Reuter wurde eine eigenständige Energieversorgung aufgebaut. Eine Senatsreserve hielt bis zur Wiedervereinigung Lebensmittel, Fahrräder und Benzin vor. Den Studenten, die 20 Jahre nach der Luftbrücke gegen den US-Krieg in Vietnam protestierten, wurde ein knappes "Geht doch nach drüben!" entgegengeschleudert. Das Überleben Westberlins, das vor sechzig Jahren mit der Luftbrücke gesichert wurde, hat zweifelsohne auch seine negativen Seiten hervorgebracht - Wagenburgmentalität und Frontstadtdenken.
Doch das spielt für die CDU und ihren Frontmann Pflüger keine Rolle. Die Luftbrücke als Symbol und Tempelhof als ihr Geschichtsort ist der emotionale Kern einer Nostalgiekampagne, der sowohl der Bezug zu den Schattenseiten der Geschichte als auch zum Hier und Jetzt abhanden gekommen ist. So forderte Friedbert Pflüger nach seiner Begegnung mit Gail Halvorsen nicht nur, eine Berliner Straße nach dem Helden der Luftbrücke zu benennen. Auch dann, wenn es um die Zukunft des Flughafens geht, greift er auf die historische Symbolik zurück. Tempelhof, so seine griffige Formel, soll zu einer "Luftbrücke der Ideen werden". Im Rückblick auf Tempelhof wird alles Geschichte - und schöngeredet.
Umso erstaunlicher ist es, dass der Griff in die Westberliner Geschichtskiste Wirkung zeigt. Vor allem in den Westberliner Bezirken war die Zustimmung zum Volksbegehren für die Offenhaltung Tempelhofs groß. Die meisten Pro-Tempelhof-Stimmen kamen mit 40.622 aus Tempelhof-Schöneberg selbst. Es folgten Steglitz-Zehlendorf mit 37.668 Stimmen, Charlottenburg-Wilmersdorf (28.730) und Neukölln (24.079). Am geringsten war die Pro-Tempelhof-Stimmung in den Ostbezirken Marzahn-Hellersdorf (2.394) und Lichtenberg (3.123). Insgesamt hat die Interessengemeinschaft City-Airport Tempelhof (Icat) 204.907 gültige Unterschriften gesammelt - nur etwa 170.000 wären nötig gewesen, um den Volksentscheid vom 27. April zu erzwingen.
Der bisherige Erfolg des Volksbegehrens bleibt auch nicht ohne Wirkung auf die SPD. Er habe das "emotionale Potenzial" von Tempelhof unterschätzt, räumte SPD-Landes- und Fraktionschef Michael Müller beim Beginn der Gegenkampagne Ende Februar ein. Mittlerweile sei es "spürbar, dass viele Berliner an Tempelhof hängen".
Michael Müller hat es sogar in der eigenen Familie spüren können. Anders als der SPD-Landeschef bekennt sich Vater Jürgen Müller, selbst ein SPD-Kämpe, ausdrücklich zur Fortsetzung des Flugbetriebs in Tempelhof. In sein Schaufenster hat der Drucker sogar ein Plakat der Icat gehängt.
"Ich will, dass in Tempelhof weiter die kleinen Fluglinien starten und landen können. Und mich ärgert, dass sich nicht mehr SPD-Mitglieder zu dem City-Airport bekennen", erklärt Jürgen Müller - ausgerechnet in der Bild-Zeitung, die dem rot-roten Senat durch eine gepflegte Feindschaft verbunden ist. Am Beispiel der Müllers wird deutlich, wie sehr das Thema Tempelhof auch zu einer Generationenfrage geworden ist. Wer die Luftbrücke erlebt hat, hat ein anderes Verhältnis zu Tempelhof - und zu den Amerikanern - als die Generation danach.
Dabei hätte die SPD allen Grund, mit Zuversicht in die Auseinandersetzung zu gehen - auch in die mit der Geschichte Westberlins. Anders als die Westberliner Studentenbewegung, der der Protest gegen Vietnam wichtiger war als die "verordnete Dankbarkeit" gegenüber den Amerikanern, und anders auch als die Hausbesetzerbegwegung, die unter anderem gegen die US-Besatzer mobilmachte, hat die SPD das Thema Tempelhof und Luftbrücke nie verdrängt. Mehr noch: Es war ein SPD-Politiker, der erste Regierende Bürgermeister Ernst Reuter, der die Westberliner während der Blockade zum Durchhalten aufgefordert hatte. Noch heute bekannt ist seine Rede vor dem ausgebrannten Reichstagsgebäude, in der er die "Völker dieser Welt" aufforderte, "auf diese Stadt" zu schauen. Und war es nicht Willy Brandt, der im historischen Augenblick des Mauerfalls seiner Freude Ausdruck verlieh, indem er sagte, nun wachse zusammen, was zusammengehört?
Doch gilt das mit dem Zusammenwachsen auch für Friedbert Pflüger? Es war der Landeschef der Linkspartei, Klaus Lederer, der im Zusammenhang mit dem Volksentscheid darauf hinwies, dass ein Festhalten an Tempelhof eine "rückwärtsgewandte Sichtweise" wäre, "die die Stadt wieder in zwei Hälften teilt".
Dass diese Befürchtung nicht aus der Luft gegriffen ist, zeigt nicht nur die geringe Resonanz der Ostberliner auf das Volksbegehren. Skeptisch hinsichtlich der Botschaft der CDU ist auch die Icat, auf deren Volksbegehren Pflüger aufgesprungen ist. Die Bürgerinitiative für den Erhalt von Tempelhof ist klug genug, keinen Nostalgiewahlkampf führen zu wollen. Warum sollte sie auch? Schließlich geht es den Inhabern von Airlines und den Geschäftsfliegern im Icat-Umfeld um ganz andere, soll heißen gegenwärtige Interessen. Tempelhof ist nicht nur Erinnerung, es ist auch ein Geschäft.
Riskant ist die Erinnerungsschlacht um Tempelhof also nicht nur für die SPD, sondern auch für die CDU selbst. Und das gleich doppelt. Mit einer puren Retrokampagne nämlich nähren die Christdemokraten den Verdacht, dass sie außer einem Geschäftsflughafen für ein paar VIPs oder einer Privatklinik mit angeschlossener Landebahn keine Vorstellung haben, was aus diesem Gelände, größer als der Tiergarten, in Zukunft werden soll.
Die SPD und ihre Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer dagegen haben, wenn auch reichlich spät, mit der Idee einer Internationalen Bauaustellung für einen Landschaftspark gezeigt, dass sie sich diesen Zukunftsfragen stellen.
Schwerer noch aber wiegt die zweite Gefahr, in die Pflüger seine CDU manövriert. Mitten hinein in eine Zeit, in der die Völker der Welt - oder zumindest ihre Jugend - tatsächlich auf diese Stadt schauen und in Scharen ins hippe, coole und ganz und gar gegenwärtige Berlin pilgern, positioniert Pflüger die CDU erneut als Westberliner Frontstadtpartei. Kurzfristig mag er damit Erfolg haben. Langfristig ist das das Aus für eine Volkspartei in einer Stadt, die auch dafür steht, ein Labor der Einheit und eine kulturelle Drehscheibe im neuen Europa zu sein.
Ganz anders dagegen die SPD. Die hat mit ihrer rot-roten Koalition dazu beigetragen, auch die parteipolitische Teilung zu beenden. Die SPD ist heute die einzige Partei, die den Präfix West oder Ost hinter sich gelassen hat.
Noch aber ist es der SPD nicht gelungen, die Sehnsucht der CDU nach Tempelhof als Absage an das neue, vereinte, weltoffene Berlin zu entlarven. Im Gegenteil: Mit seiner Weigerung, den 60. Jahrestag des Beginns der Luftbrücke am 26. Juni feierlich zu begehen, gibt Klaus Wowereit seinem Kontrahenten Pflüger neue Munition. Zudem leistet er dem eigentlich haltlosen Vorwurf Vorschub, mit der Schließung von Tempelhof solle auch die Erinnerung an Blockade und Luftbrücke entsorgt werden.
Dabei wäre dieser Vorwurf - immerhin der Kern der Nostalgiekampagne der CDU - ganz einfach aus der Welt zu räumen. Warum soll an diesem 26. Juni nicht ein symbolischer Grundstein für einen Themenpark Luftfahrt gelegt werden, den auch der rot-rote Senat unterstützt. Und ganz oben auf der Gästeliste natürlich Gail Halvorsen, jener Held der Luftbrücke, der mit seinem Rosinenbomber die Herzen der Berliner im Sturm eroberte.
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