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Volksentscheid gestartetKrankenhäuser sollen gesund werden

Ein Bündnis will per Gesetz für mehr PflegerInnen und mehr Investitionen in Krankenhäusern sorgen. Unklar bleibt, wie hoch die Kosten sind.

„Der Gesetzgeber handelt nicht, also tun wir es“, sagt Lucy Redler, Bündnissprecherin Foto: dpa

Das „Berliner Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus“ hat am Donnerstag einen Volksentscheid für „gesunde Krankenhäuser“ gestartet. „Wir wollen nicht länger zusehen, dass die Patientensicherheit in unseren Krankenhäusern gefährdet wird und das Personal zusammenbricht“, erklärte Lucy Redler, eine von drei SprecherInnen des Bündnisses, bei der Vorstellung der Gesetzesinitiative. Nach verschiedenen Schätzungen fehlten in Berlin rund 3.000 Pflegekräfte in Krankenhäusern. „Der Gesetzgeber handelt nicht, also tun wir es“, so Redler, die auch Mitglied im Parteivorstand der Linken ist.

„Wir“, das ist ein Bündnis aus KrankenpflegerInnen, ÄrztInnen, PatientInnen und der Gewerkschaft Verdi. Sie wollen per Volksentscheid das Landeskrankenhausgesetz in zwei Punkten ändern. Zum einen sollen konkrete Personalvorgaben für die verschiedenen Stationen gemacht werden, die nicht unterschritten werden dürfen. Geschieht dies doch über einen längeren Zeitraum, muss das betreffende Krankenhaus Kapazitäten verringern, also Betten stilllegen. „Im Flugzeug ist gesetzlich vorgeschrieben, dass zwei Piloten mitfliegen müssen“, so Redler. Analoges müsse auch für Krankenhäuser gelten – das könne Leben retten.

Konkret soll für Intensivstationen ein Pflege-PatientInnen-Schlüssel von 1:1 für „hochintensive“ bis 1:3 für „ÜberwachungspatientInnen“ gelten. Für die anderen Pflegestationen soll der Personalbedarf wieder auf Grundlage einer Regelung ermittelt werden, die bis in die 90er Jahre galt. Sie sei damals aus Wettbewerbsgründen abgeschafft worden, erklärte Kalle Kunkel, Gewerkschaftssekretär von Verdi.

Zum anderen würde das neue Krankenhausgesetz das Land zwingen, jährlich rund 8,6 Prozent der Krankenhauskosten für Investitionen auszugeben. Das entspräche einer Summe von rund 300 Millionen Euro, heißt es auf dem Flyer zum Volksentscheid. Im aktuellen Doppelhaushalt schlägt die „Investitionspauschale“ mit 140 Millionen Euro für 2018 und 160 Millionen für 2019 zu Buche. Die Jahre zuvor war sie noch geringer.

Volksentscheid - wie geht das?

Ablauf Ab sofort müssen binnen sechs Monaten 20.000 gültige Unterschriften gesammelt werden. Das Abgeordnetenhaus (AGH) kann vier Monate beraten. Lehnt es das Gesetz ab, kommt das Volksbegehren. Das müssen sieben Prozent der Wahlberechtigten (ca. 175.000) unterschreiben. Erneut wird beraten. Lehnt das AGH wieder ab, folgt der Volksentscheid. 25 Prozent der Wahlberechtigten und die Mehrheit der Abstimmenden müssen zustimmen.

Mitmachen Listen, Plakate und Flyer gibt es zum Download auf: www.volksentscheid-gesunde-krankenhaeuser.de (sum)

Die Folgen dieser chronischen Unterfinanzierung, die im Übrigen kein Berliner, sondern ein bundesweites Problem von Krankenhäusern ist, bekommen PflegerInnen und PatientInnen am eigenen Leib zu spüren. Denn die Krankenhäuser bezahlen notwendige Investi­tionen aus ihren Mitteln für Personal – an diesem wird daher seit Jahr und Tag gespart. Laut Bündnis sind seit 1996 bundesweit 10 Prozent der Pflegestellen abgebaut worden.

Was das für ihren Alltag bedeutet, erzählte Anja Voigt, Intensiv-Pflegekraft bei Vivantes Neukölln und Mitglied im Bündnis. „Manchmal habe ich nicht die Zeit, die PatientInnen morgens richtig zu waschen.“ Vor 20 Jahren habe sie zwei PatienInnen betreut, heute seien es drei bis vier. „Letztens ist ein Patient alleine verstorben, weil ich keine Zeit für ihn hatte.“ Sie habe seinen Tod erst später auf dem Monitor gesehen.

Für Pflegekräfte seien diese Arbeitsbedingungen auf Dauer nicht auszuhalten, so Voigt. „Keiner auf unserer Station arbeitet noch Vollzeit. Ich will so nicht mehr arbeiten!“ Andere KollegInnen berichteten im selben Sinne. Eine Betriebsrätin: „Ich erlebe weinende Kollegen und Mitarbeiter, die aussteigen müssen und in die Altersarmut rutschen.“

Ich will so nicht mehr arbeiten

Pflegekraft Anja Voigt

Auch Johanna Henatsch, Oberärztin auf der Rettungsstation im Klinikum Neukölln, sagte, sie beobachte immer wieder, dass sich der Gesundheitszustand von PatientInnen aufgrund des Zeitmangels von PflegerInnen verschlechtere. Auch komme es vor, dass sie verwirrte PatientInnen medikamentös ruhigstellen oder gar am Bett fixieren müsse, weil kein Pfleger Zeit habe. „Nachts ist manchmal ein Pfleger für 36 PatientInnen zuständig. Das kann nicht gut sein“, so Henatsch.

Wie bei einem Volksentscheid gesetzlich vorgeschrieben, hat das Bündnis vor dem Start eine „amtliche Kostenschätzung“ eingeholt, die nun auch auf den Unterschriftenlisten abgedruckt ist. Danach würde die Umsetzung des Gesetzentwurfs jährlich rund 385 Millionen Euro kosten, davon 160 Millionen für Investitionen und 225 für mehr Personal.

Laut Kunkel ist diese Rechnung jedoch fraglich. Das Pflegepersonal werde ja nicht über den Landeshaushalt sondern über die Fallpauschalen von den Krankenkassen finanziert. Fallpauschalen sind ein festgelegter Betrag pro Patient beziehungsweise Krankheit, den die Kassen den Krankenhäusern bezahlen. Wenn das Land die notwendigen Investitionen der Krankenkassen bezahlen würde, so der Gewerkschaftler, könnten diese ihr Geld, das für Personal vorgesehen ist, auch für eben dieses ausgeben (statt Investitionslücken zu füllen).

Für den Senat sind die Kosten dennoch der heikle Punkt. Im Prinzip unterstütze man das Anliegen des Bündnisses, erklärte der Sprecher von Gesundheitssenatorin Dilek Kolat (SPD), Christoph Lang, auf taz-Anfrage. Personal und Investi­tionen in Krankenhäusern seien in den letzten Jahren „sträflich“ vernachlässigt worden. Man müsse aber realistisch bleiben. „Wenn wir per Landesgesetz für die Krankenhäuser Personalstandards festschreiben, würden wir sie zu Mehrausgaben zwingen, die ihnen die Kassen nicht ersetzen.“ Kolat kündigte am Donnerstag daher eine Bundesratsinitiative des Senats an, um „Krankenkassen und Krankenhäuser zur Einführung von Personalschlüsseln zu zwingen, die alle Bereiche umfassen und rund um die Uhr gelten“.

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4 Kommentare

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  • Die Menschen glauben, sie hätten die private Marktwirtschaft verstanden.

     

    Sie glauben, Privatisierung spart Kosten.

    Das stimmt.

     

    Sie glauben, diese gesparte Kosten würden an die Beitragszahler durchgereicht.

    Das stimmt nicht.

     

    Sie glauben, das Ziel eines Unternehmens sei es Geld mit der Produktion und dem Verkauf von Waren und Dienstleistungen zu verdienen.

    Das stimmt nicht.

    Das Ziel einen Unternehmens ist es, Gewinn zu machen.

     

    Sie glauben, daß Kosteneinsparung grundsätzlich und immer was Gutes sei.

    Das stimmt nicht.

    Es gibt vermeidbarte Kosten. Die sollten gespart werden.

    Sparen von unvermeidbaren Kosten kostet unterm Strich immer mehr.

    Fraglich ist nur: Wen?

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    Das stimmt.

     

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    Das stimmt nicht.

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    Sie glauben, daß Kosteneinsparung grundsätzlich und immer was Gutes sei.

    Das stimmt nicht.

    Es gibt vermeidbarte Kosten. Die sollten gespart werden.

    Sparen von unvermeidbaren Kosten kostet unterm Strich immer mehr.

    Fraglich ist nur: Wen?

  • Die Ursache für die prekäre finanzielle

    Lage an deutschen Kliniken liegt in dem

    2003 eingeführten DRG System, das zu

    einem Preis-Leistungsdumping an den

    Kliniken geführt hat . Das DRG System

    versucht medizinische Leistungen als

    Fallpauschale zu bewerten - es ist mittlerweile ein hochkomplexes System, das Großkliniken finanziell besser darstellt - pflegeintensive Fach-

    gebiete sind schlechter abgebildet als

    operative oder technisch aufwendige

    Fachgebiete (z.B. invasive Kardiologie). Als Damoklesschwert schwebt über den Kliniken der medizinische Dienst der Krankenkassen, der jeden Fall überprüfen kann auf Ordnungsmäßigkeit. Dies verursacht einen zusätzlichen Verwaltugsaufdwand und für die Ärzte und Pfleger einen immensen Dokumentationsaufwand , um zu vermeiden, dass die Kassen sich vor der Zahlung für erbrachte Leistungen drücken. Es wäre sicher im Sinne einer Aufklärung hilfreich, wieviel an

    Geldern auf diese Weise bei den Kassen zu Lasten der Beschäftigten an

    den Kliniken eingespart wurde. Jedenfalls generierte die GKV über Jahre regelmäßig Milliardenüberschüsse und einen gut gefüllten Gesundheitsfonds , sodass die genannten 380 Millionen ohne weiteres von der GKV bezahlt werden könnten.

  • Die Privatisierung der KKH'er hat überwiegend Nachteile bis hin zu (zumindest mit-)verschuldeten Todesfällen geführt.