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Volksentscheid Berlin autofreiImmer noch (zu) radikal

Kommentar von Claudius Prößer

Die Initiative Berlin autofrei entschärft ihren Gesetzentwurf. Ob das reicht, um damit eine Mehrheit zu gewinnen? Ein Wochenkommentar.

Autofrei geht – aber machen da wirklich alle mit? Foto: dpa

D as Projekt schlägt selbst international schon mediale Wellen: Den Autor dieses Textes hat gerade die begeisterte Nachricht eines Bekannten in Kanada erreicht, verlinkt ist ein Artikel aus einem US-Businessmagazin unter der Überschrift „Berlin is planning a car-free area larger than Manhattan“. Ob das stimme, fragt der Mann aus Kanada – und wie großartig das denn sei.

So ganz akkurat ist der Titel natürlich nicht, aber der Artikel gibt dann auch durchaus korrekt wieder, dass es sich bei „Berlin autofrei“ um ein Volksbegehren handelt. Und dass am Ende wohl die BerlinerInnen bei einem Volksentscheid über den radikalen Plan einer massiven Auto-Reduzierung abstimmen werden.

Ob sie das tatsächlich im Sinne der Initiative tun, die damit das verkehrspolitische Erbe des einstigen „Volksentscheid Fahrrad“ auf ein neues Niveau höbe, ist dabei völlig offen. Auch wenn das für viele im Twitterversum natürlich längst als wissenschaftliche Tatsache gilt – reale Menschen halten sich an so etwas bekanntermaßen nicht.

Um mal das alte Gedicht „Über die Schwierigkeiten der Umerziehung“ von Hans Magnus Enzensberger zu zitieren: „Wenn nur die Leute nicht wären!“, geht da die Klage des Poeten, „Immer und überall stören die Leute. Alles bringen sie durcheinander.“ Auch bei der vergangenen Klima-Schicksalswahl war das wieder gut zu beobachten.

Im Falle der im Gesetzentwurf entworfenen „autoreduzierten Stadt“ könnten die Leute, die ja entgegen aller Vernunft immer noch viel und gerne Auto fahren, ziemlich kalte Füße bekommen. Ein solches Gesetz griffe tief in heutige Selbstverständlichkeiten ein, für viele viel zu tief. Das könnte noch den letzten Demokratiemuffel an die Urne treiben.

Jetzt hat „Berlin autofrei“ einen entscheidenden Punkt im Entwurf deutlich abgeschwächt – ein Zeichen dafür, dass die Initiative die AutofahrerInnen der Stadt wenigstens nicht ganz so stark düpieren will: Wenn die schon nur 12 Fahrten pro Person und Jahr unternehmen dürfen, sollen sie zumindest nicht jedes Mal begründen müssen, dass die Kommode nicht aufs Lastenrad passt oder das Ferienhaus in der Mark nicht mit der Bahn erreichbar wäre.

Ersatz fürs Auto fehlt – noch

Bei allen gegenteiligen Beteuerungen – so etwas wäre organisatorisch und politisch nie in den Griff zu kriegen. Andererseits ist das Autofrei-Projekt auch so noch radikal genug, um eine massive Gegenbewegung zu erzeugen, wenn es zur Abstimmung kommt. Es greift in die Nutzung von Eigentum ein beziehungsweise entwertet dieses, es nimmt Menschen Optionen, ohne dass schon für Ersatz gesorgt ist: Der erforderliche massive (!) Aufwuchs des ÖPNV lässt sich nicht über Nacht finanzieren und umsetzen.

Nüchtern betrachtet sollten sich also auch all jene, die private Autos aus der Stadt verbannen wollen, darauf einstellen, dass die weitaus langsamer mahlenden Mühlen der aktuellen Verkehrspolitik den Job werden machen müssen. Zumindest drehen die sich ja grundsätzlich in dieselbe Richtung.

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Redakteur taz.Berlin
Jahrgang 1969, lebt seit 1991 in Berlin. Seit 2001 arbeitet er mit Unterbrechungen bei der taz Berlin, mittlerweile als Redakteur für die Themen Umwelt, Mobilität, Natur- und Klimaschutz.
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7 Kommentare

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  • Ohne Auto sind wichtiger:



    Günstiger, gut getakteter, zuverlässiger, dichterer, sicherer, sauberer ÖPNV.



    In allen Kategorien gibt es erheblichen Nachholbedarf.

    Dazu wäre anstelle dieser 10min Supermarktwaren-Lieferanten gute und günstige Lieferungen von sperrigen oder schweren Gegenständen sinnvoll.



    Auch hier fehlt es an allen Ecken und Enden.

    Diese Dinge sind für den Großteil der Menschen jetzt und nach der autoreduzierten Mitte wichtiger denn je.

    • 4G
      47202 (Profil gelöscht)
      @J_CGN:

      Sagen Sie das mal der grünen Verkehrssenatorin. Die beschäftigt sich möglicherweise lieber mit der Auswahl des Farbtons auf den "Fahrradschnellwegen", die es bis heute nicht gibt.



      Fast tägliche LKW-Staus auf der Avus ab Hüttenweg, oftmals auch schon ab Kleinmachnow. Das ist die Realität.

      Berlin Autofrei - das ist "die" Lösung. Dann erübrigen sich auch die LKW-Staus. Genial.

  • Die Finanzierung des ÖPNV ist keine Problem, man müsste nur wie bei unserem solidarischen öffentlich-rechtlichen Rundfunk von jedem Haushalt einen monatlichen Beitrag dafür erheben.

    Dieses Verfahren ist schnell, einfach und gerecht und wurde schon mehrmals vom Bundesverfassungsgericht für rechtens befunden.

    • 4G
      47202 (Profil gelöscht)
      @Alreech:

      Ach ja, die Idee habe ich schon seit mehreren Jahren.



      Wir brauchen auch keine x Krankenkassen, x Stromanbieter, Telefonanbieter, die bewusst die Verbraucher täuschen, usw.



      Alles wäre viel einfacher mit staatlichen Institutionen sowie parallel dazu private Firmen.



      Ich würde z.B. sofort die Bank wechseln.

  • Geil wärs, aber ich bin auch eher skeptisch, dass es klappt.

  • 4G
    47202 (Profil gelöscht)

    Mir ist das mittlerweile egal. Wegen der hohen Parkgebühren fahre ich sowieso nicht mehr in den Innenstadtbereich.

  • Ich bin mal sehr gespannt - denn da heisst es "Raus aus der eigenen Filterblase - rein in die Realität" denn in den sozialen Medien wird einem ja immer der (künstliche, um nicht zu sagen falsche) Eindruck vermittelt man gehöre einer Mehrheit an.



    Das stimmt aber halt nur in der eigenen Filterblase (oder besser dem eigenen, computererzeugten Wahrnehmungsfilter)