piwik no script img

Volksbegehren Deutsche Wohnen enteignenEnteignung wird günstiger

Vergesellschaftungen müssen wohl nicht zum Marktwert erfolgen: Ein wissenschaftliches Thesenpapier widerspricht der Kostenschätzung des Senats.

Könnte ein Schnäppchen sein: Die Vergesellschaftung nach Artikel 15 Grundgesetz Foto: imago/ipon

Berlin taz | Die Enteignung großer Wohnungsunternehmen dürfte günstiger sein als gedacht: Entschädigungen für Vergesellschaftung nach Artikel 15 Grundgesetz müssen offenbar nicht nach dem Verkehrswert stattfinden. Das geht aus einem der taz vorliegenden Thesenpapier zu einer am Freitag stattfindenden nichtöffentlichen Fachdiskussion an der University of Applied Science in Frankfurt am Main hervor. Das dreistündige „Werkstattgespräch“ widmet sich mit Blick auf das Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ der Frage nach der Höhe einer möglichen Entschädigung. Dies geht nach Auffassung von Verfassungsrechtlerin Franziska Drohsel und dem Professor für Immobilenbewertung, Fabian Thiel, deutlich günstiger als zum Verkehrswert.

„Das Spezifikum an Artikel 15 Grundgesetz ist gerade, dass ein Wirtschaftsbereich dem Markt entzogen wird. Es ist nur folgerichtig, dass die Entschädigung dann nicht nach Marktprinzipien erfolgt und der Verkehrswert nicht als die relevante Bezugsgröße fungiert“, sagt Drohsel. Nötig sei eine breite Diskussion über Entschädigungsmaßstäbe für das juristische Neuland, auch gebe es großen politischen Spielraum.

Die Besetzung der digitalen Diskussion ist aus fachlicher Sicht durchaus prominent: Berlins Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) ist angekündigt, ebenso der FU-Rechtsprofessor Florian Rödl, der vor dem Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt den Berliner ­Mieten­deckel verteidigen soll. Auch Brun-Otto Bryde, ehemals Richter am Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt, nimmt teil. Die derzeit Un­ter­schrif­ten sammelnde Initiative will aufgrund der anhaltenden Berliner Wohnungsnot große Immokonzerne mit mehr als 3.000 Wohnungen vergesellschaften, um sozialen Wohnraum zu schaffen.

Mit ihren Thesen erteilen die For­sche­r:in­nen der amtlichen Kostenschätzung des Senats eine Absage, wonach für Entschädigungen grob zwischen 28 und 36 Milliarden Euro angesetzt werden – also in etwa der jährliche Landeshaushalt Berlins. Nach Auffassung der Volksini hingegen müsse man eben nicht zum Verkehrswert entschädigen, weil man damit Immobilienspekulationen belohnen würde. Das Volksbegehren rechnet mit 8 Milliarden Euro. Diese seien über Kredite zu stemmen und sollen sich über Mieteinnahmen refinanzieren.

Je größer das öffentliche Interesse, desto weniger Kosten

Die Thesen der Wis­sen­schaft­le­r:in­nen bestätigen die Volksinitiative: „Ein pauschaler Verweis auf eine ‚Verkehrswertentschädigung‘ ist eine unzulässige, systemwidrige Vereinfachung, die weder in der Sache gerechtfertigt noch verfassungsrechtlich gefordert ist“, heißt es in dem Papier. Auch aus dem Europarecht ergebe sich keine Entschädigung in Höhe des Verkehrswerts bei gemeinnützigen Enteignungen.

In der Rechtsprechung habe sich vielmehr die Faustformel etabliert: „Je geringer die Entschädigung, desto höher das öffentliche Interesse.“ Gleichzeitig gelte es, eine „fair balance“ zu wahren und eine unverhältnismäßige Last der Betroffenen zu vermeiden. Man müsse Vergesellschaftung nach Artikel 15 von herkömmlichen Enteignungsentschädigungen unterscheiden und neue Bewertungsmaßstäbe entwickeln. Diese erforderten eine Abwägung zwischen Allgemeinheit und Betroffenen.

Die Au­to­r:in­nen des Thesenpapiers halten entsprechend eine Bewertung nach dem Pfandbriefgesetz (Paragraf 16 Absatz 2 PfandBG) für angemessener – hier werden bewusst spekulative Elemente nicht berücksichtigt. Eine genaue Summe nennt das Papier jedoch nicht.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • Als ob der Verkehrswert beim der Eigentumsübertragung von so vielen Wohnungen eine Rolle spielt.



    Gibt ja noch den Erstragswert, oder die Buchwerte mit denen die Wohnungen in der Bilanz stehen.



    Am Ende gibt es für die Entschädigung alte Bestandswohnungen. Mit dem Geld könnte man auch neue Wohungen bauen, aber den Enteignern geht es ja nicht um mehr Wohnungen.

  • 0G
    06792 (Profil gelöscht)

    Habe mir das "Thesenpapier" angesehen. Die ganze Argumentation scheitert doch schon viel früher:

    Von einer Enteignung profitieren ja eben nicht alle Mieter in Berlin sondern im besten Fall die in den Wohnungen die enteignet werden. Also ein sehr kleiner Teil. Die anderen Zahlen wegen weniger Investition und Verknappung dann mittelfristig sogar mehr.

    Wie soll das denn dem Interesse der Gemeinschaft dienen?

    Am Ende ist auch egal welchen Geldbetrag man ausrechnet. Investiert in sozialen Wohnungsbau hilft er uns allen viel mehr.

  • Frau Drohsel ist Ex-Juso-Vorsitzende, sie bei der Roten Hilfe aktiv war.



    Das Framing als „Verfassungsrechtlerin“ ist sicher lieb gemeint, aber doch etwas bemüht.



    Insgesamt eine Stuhlkreis des Wünsch-Dir-was.

    Die Enteignung zu irgendeinem niedrigen, gesellschaftlich gewünschten Preis kommt nie, da selbst in der SPD doch noch einige die Folgen bedenken, wenn in D keine Investitionssicherheit mehr herrschen würde.



    Übrigens dramatische Folgen auch für das SPD-Klientel...



    Das SPD-regierte Brandenburg macht gerade alles um Tesla zufrieden zu stellen. Was wohl Herr Woidke davon hält, wenn Frau Drohsel demnächst die Gigafabrik zu enteignen gedenkt, weil die zB zu wenige E-Autos bauen oder zu viel Grundwasser verbrauchen?

  • Also kurz gesagt:

    “Alle Jubeln” wenn es nun so gerechnet und auch durchgedrückt wird.

    Nur möchte ich das Geschreie von Familie “Meier” nicht hören, wenn deren Hab und Gut zum Wohle des Volkes für einen minimalen Preis verkauft wird und Sie am Ende auf einem Schuldenberg sitzen, weil es ja zum Wohle der Allgemeinheit war.

    Leider wahr, aber gleiches Recht für alle, hat eben nicht immer gute Auswirkungen!

  • Für mich klingt das sehr nach Pfeifen im Walde.