Volker Perthes über Ukraine-Konflikt: „Russland sanktioniert sich selbst“
Putin zeigt sich von Sanktionen unbeeindruckt und in der Ukraine wird geschossen. Ist die Diplomatie am Ende? Im Gegenteil, meint Außenpolitik-Experte Perthes.
taz: Herr Perthes, nutzen Sanktionen gegen Russland etwas?
Volker Perthes: Die Nadelstiche, die Beschränkungen gegen Personen in Putins Umgebung, haben bis jetzt zu keiner Korrektur der russischen Politik geführt. Aber es ist zu früh, das zu beurteilen.
Die Ratingagenturen haben Russland fast auf Ramschstatus herabgestuft – obwohl Moskau die drittgrößten Devisenreserven hat und kaum Staatsschulden. Sind die Agenturen die schärfsten Waffen des Westens?
Nein. Das hat deren Verhalten in der Eurokrise gezeigt, als sie den EU-Staaten erhebliche Probleme bereitet haben. Die Ratingagenturen drücken, mehr oder weniger gut, das Gefühl von Investoren aus, ob ihr Geld sicher angelegt ist. Russland sanktioniert sich derzeit vor allem selbst.
Inwiefern?
Durch den Anschluss der Krim und den Truppenaufmarsch an der ukrainischen Grenze. Und indem Russland das Abkommen von Genf nicht umsetzt. Jedenfalls scheint Moskau nicht auf eine Beruhigung der Lage und eine Entwaffnung der Separatisten in der Ostukraine hinzuwirken. Auch wenn die Duma beschließt, man könne auf Sanktionen mit der Verstaatlichung westlicher Unternehmen antworten, ist das ein Signal, das zeigt: Eure Investitionen sind hier nicht sicher. Dass das Kapital ein scheues Reh ist, ist ja keine Neuigkeit. Putins Politik schadet der russischen Wirtschaft also mehr, als westliche Sanktionen dies könnten.
Es gibt also schmerzhaften Druck auf die russische Wirtschaft …
… aber nicht durch die offiziellen Sanktionen. Dass ein paar reiche Russen ihre Mastercard nicht mehr benutzen können, ist nicht ausschlaggebend.
ist Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), einer der wichtigsten deutschen Forschungseinrichtungen für außen- und sicherheitspolitische Fragen. Die SWP berät den Bundestag und die Bundesregierung.
Finden Sie die Maßnahmen, die es bisher gibt, angemessen?
Als politisches Zeichen – ja. „Danke, Herr Putin“ wäre als Reaktion etwas wenig.
Waren Sanktionen je erfolgreich, etwa gegen Iran und Südafrika?
Das weiß man nicht so genau. In Südafrika scheinen die Sanktionen das Ende der Apartheid beschleunigt zu haben, zusammengebrochen wäre das Regime wohl sowieso irgendwann. In Südafrika hat aber die Bevölkerung, haben liberale Weiße und die Mehrheit der Farbigen, die Sanktionen gegen die Regierung unterstützt. Die Mehrheit in Südafrika wollte den Druck von außen. Deshalb haben die Sanktionen gewirkt.
Das ist in Russland anders.
Ja, das Regime scheint seit der Krim-Aktion populärer zu sein als zuvor. Es gibt in Russland zwar auch Liberale, die immun gegen diese nationalistische Rhetorik sind oder zumindest warnen, dass die Konfrontation mit dem Westen langfristig schadet. Oder die lieber Bildung, Industrie und Sozialsystem modernisieren würden, als auf militärische Stärke zu setzen. Aber das ist in Russland derzeit eine kleine Minderheit. In Iran gibt es offensichtlich eine Revision der bisherigen Atompolitik. Das dürfte eher dem Wahlergebnis – der Wahl Rohanis und damit einer liberaleren, weltoffeneren Option – geschuldet sein als den Sanktionen.
Gibt es noch ein Kriterium für wirksame Sanktionen?
Eine offene Debatte in dem sanktionierten Staat. Sanktionen wirken über Kosten-Nutzen-Rechnungen. Wenn die Kosten zu groß scheinen, gibt eine Regierung nach. Wenn dieses Kalkül öffentlich in Medien debattiert wird, ist das wie ein Katalysator. In Iran gab es mehr mediale Aufmerksamkeit für Sanktionen wegen des Atomprogramms, als es sie derzeit in Russland gibt.
Also sind weitere Sanktionen gegen Moskau nicht erfolgversprechend?
Eher nicht. Es gibt in den USA konservative Politiker, die umfassende Wirtschaftssanktionen fordern, um Moskau in die Knie zu zwingen. Das ist, angesichts der Größe Russlands, schlicht unrealistisch.
Ist Russland eindeutig der aggressive Part in diesem Konflikt?
Auf der Krim waren verdeckt russische Soldaten im Einsatz, die nun Orden dafür bekommen. Das hastig inszenierte Referendum, bei dem sogar die Frage fehlte, ob die Krim Teil der Ukraine bleiben wolle, war eine Farce. Die gewaltsame Veränderung von Grenzen ist nicht nur ein Verstoß gegen das Völkerrecht, sondern auch gegen europäische Verträge, die Russland unterzeichnet hat.
Und die EU hat keinen Anteil an der Krise?
Doch. Die EU ist bei der Vorbereitung des Assoziierungsabkommens mit Kiew zu technisch vorgegangen und hat nicht richtig ernst genommen, dass Moskau darin einen Vorstoß in die eigene Interessenssphäre sah. Die EU hat die Sprengkraft übersehen. Aber das ändert nichts daran, dass Russland der Unruhestifter ist.
Hat sich Putin eigentlich radikal verändert – von jemand, der dem Westen gegenüber offen war, zum neoimperialen Autokraten?
Er hat in der ersten Amtszeit viel mehr von Russland als Teil Europas geredet als jetzt. Aber das Autokratische gab es auch früher schon. Putins Ansage, die Machtvertikale umzusetzen, ist älter …
Das heißt Durchregieren.
So kann man es übersetzen. Präsidenten, die das ganze System auf Linie bringen wollen, gibt es auch im Westen. Aber dort treffen sie stets auf den Widerstand starker Institutionen. Das ist in Russland anders. Dort konnte Putin, um die Verfassung zu umschiffen, seinen Stellvertreter ein paar Jahre Präsident sein lassen, um dann wiederzukehren.
Ist es möglich, dass der Westen Moskau durch diese Krise an die Seite von China drängt?
Wenn Russland Gaspipelines nach China baut, ist das noch nichts Spektakuläres. Ich sehe eine andere Tendenz: Die russische Elite denkt, viel mehr als früher, das Russland sich selbst genug ist. Dass Russland genug an eigener Geschichte und Kultur verkörpert und sich nicht, wie es die Liberalen wollen, dem Westen andienen oder gar anpassen muss. Aber auch kein kapitalistisches Einparteiensystem wie in China imitieren muss.
Für welche Werte steht Putin?
Für Tradition, die Anrufung von Mutter Russland. Deshalb hat er sich auch mit der orthodoxen Kirchen verbündet. Die Ukraine passt auch in dieses Bild – sie gilt ja als Wiege Russlands. Da hat sich Putin wirklich verändert: Vor 15 Jahren war eher Peter der Große seine Referenz, also der Zar, der Russland für den Westen öffnet. Das ist jetzt anders. Man verkauft Westeuropa Gas, aber mehr nicht. Man findet das liberale Westeuropa dekadent.
Ist das eine völkisch-nationalistische Ideologie?
Zum Teil. Man muss genau hinsehen. Putin ist kein Rassist. Er redet nicht von Russen, sondern von Russländern. Das schließt andere Ethnien ein. Putin hat auch deutlich die rassistischen Angriffe auf Tadschikenmärkten in Moskau, auf Zentralasiaten und Muslime, verurteilt. Aber Putin betont sehr stark das Motiv der russischen Erde und der russischen Nation. Wo Russen leben, müssen sie verteidigt werden. Deshalb kommt er auch bei Rechtsextremen in Westeuropa so gut an, bei Le Pen, der FPÖ und Jobbik in Ungarn. Die Rechtsextremen mögen das Völkische bei Putin und sein Image des starken Mannes.
Welche Möglichkeit hat Diplomatie noch? Ist das Abkommen von Genf tot, weil sich offenbar weder im Osten noch im Westen jemand daran hält?
Dieses Abkommen ist nicht tot. Es war schon ein Fortschritt, dass der russische und der ukrainische Außenminister überhaupt ein Abkommen geschlossen haben.
Warum?
Weil es zeigt, dass Russland die Übergangsregierung in Kiew anerkennt und umgekehrt Kiew akzeptiert, dass Russland als player etwas zu sagen hat. Die klügste Regel für Diplomaten lautet: Wenn der erste diplomatische Schritt nicht funktioniert, dann mach den nächsten. Diplomatie darf nicht aufgeben, weil sie Angst hat, nicht erfolgreich zu sein. Das ist im Grunde gar keine Diplomatie, sondern Schaufensterdekoration. Diplomatie ist gerade in Situationen nötig, in denen die Chance zu scheitern größer ist, als erfolgreich zu sein.
Aber ist denn konkret noch etwas im Topf an gemeinsamen Interessen?
Ja, durchaus. Wenn diese Krise weiter eskaliert, geht es allen schlechter. Das macht den Topf ziemlich voll.
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