Völkermordverfahren gegen Myanmar: Späte Gerechtigkeit für Rohingya
Der Internationale Gerichtshof zwingt Myanmar zu Sofortmaßnahmen zum Schutz der Rohingya. Ob es sich um Völkermord handelt, bleibt unklar.
![Eine junge Frau mit Kopftuch lacht vor einem großen Gebäude Eine junge Frau mit Kopftuch lacht vor einem großen Gebäude](https://taz.de/picture/3931069/14/Rohingya-Internationaler-Gerichtshof-Myanmar-1.jpeg)
Das Gericht sei der Ansicht, dass die Rohingya in Myanmar „weiter extrem gefährdet sind“, sagte der vorsitzende Richter Abdulqawi Ahmed Yusuf. Myanmar muss dem höchsten UN-Gericht in vier Monaten und danach halbjährlich in einem Bericht Rechenschaft ablegen.
Die Rohingya werden in Myanmar seit Jahrzehnten verfolgt. Die Regierungen der ehemaligen Militärdiktatur entzogen der muslimischen Minderheit nach und nach ihre Staatsbürgerschaft. Eine besonders brutale Militäroperation vor drei Jahren setzte einen Exodus in Gang, bei dem innerhalb weniger Wochen mehr als 700.000 Menschen aus dem Westen des Landes ins benachbarte Bangladesch flohen.
Das afrikanische Gambia hat den Fall im Namen der Organisation für islamische Zusammenarbeit vor Gericht gebracht. Bis der IGH zu einem Urteil darüber kommt, ob es sich um Völkermord handelt oder nicht, könnten Jahre vergehen.
UN-Sicherheitsrat muss Urteil durchsetzen
Der Internationale Gerichtshof hat außerdem keine unmittelbaren Machtbefugnisse, seine Beschlüsse durchzusetzen. Das Urteil kann nur mit Druck aus dem UN-Sicherheitsrat durchgesetzt werden – einem Gremium, in dem Myanmars Verbündeter China ein Vetorecht besitzt. Im Rahmen eines Besuchs am Wochenende vor der Urteilsverkündung betonte der chinesische Staatschef Xi Jinping, Myanmar dabei unterstützen zu wollen, „seine Interessen und nationale Würde zu schützen“.
In einer beispiellosen Solidaritätsbekundung für die Rohingya sprachen mehr als 100 zivilgesellschaftliche Organisationen in Myanmar dem Weltgericht am Donnerstag ihre Unterstützung aus. „Wir begrüßen und akzeptieren die internationale Rechtsprechung und glauben, dass so alle Menschen in Myanmar beschützt und in ihrem Streben nach Demokratie und Gerechtigkeit unterstützt werden können.“
„Der heutige Tag bringt endlich Hoffnung für so viele Rohingya, die sich von der Welt im Stich gelassen fühlen. Myanmar wird endlich verstehen, dass es mit seinen Verbrechen gegen die Minderheit nicht mehr durchkommt“, sagte Kyaw Win, Direktor des in Großbritannien ansässigen Burma Human Rights Network.
Die Regierung bestreitet jeglichen Völkermord
Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi, die seit 2016 als Staatsrätin Myanmars Regierung vorsteht, hat die Völkermord-Vorwürfe zurückgewiesen. Das Vorgehen ihres Militärs sei eine tragische Reaktion auf Angriffe aufständischer Rohingya.
In einem am Tag des Urteils veröffentlichten Zeitungsbeitrag in der Financial Times bezichtigt sie Flüchtlinge, ihre Aussagen aufgebauscht zu haben und behauptet, Menschenrechtsgruppen hätten unsauber gearbeitet. Sie bat die internationale Gemeinschaft um mehr Zeit, innerhalb von Myanmar für Gerechtigkeit zu sorgen.
Kritiker halten das für eine Farce. „Myanmar hat mehrfach bewiesen, dass es dazu nicht im Stande ist“, sagt Sam Zarifi, Generalsekretär der International Commission of Jurists in Yangon. Mehrere Soldaten, die wegen Mordes an zehn Rohingya-Männern verurteilt worden waren, verbrachten weniger Zeit im Gefängnis als die beiden Reporter der Nachrichtenagentur Reuters, die das Massaker aufgedeckt hatten.
Die Regierung beauftragte eine eigene Untersuchungskommission die Völkermord-Vorwürfe zu untersuchen. Die Ergebnisse von deren Bericht wurden Anfang der Woche veröffentlicht. Zwar hätten demnach einzelne Soldaten Kriegsverbrechen begangen, um einen Völkermord handele es sich allerdings nicht.
„Die Tötung unschuldiger Dorfbewohner und die Zerstörung ihrer Häuser erfolgte durch einige Mitglieder der myanmarischen Sicherheitskräfte, indem im Zuge des bewaffneten internen Konflikts unverhältnismäßig Gewalt angewendet wurde“, teilte die Kommission mit. Der Bericht selbst wird unter Verschluss gehalten.
In den überfüllten Flüchtlingslagern in Bangladesch, wo mehr als eine Million Rohingya ausharren, konnten die Menschen die Liveübertragung aus dem Gerichtssaal in Den Haag nur mit Mühe verfolgen. Die Behörden beschränken dort seit mehreren Monaten den Zugang zum mobilen Internet. „Wir waren die ganze Nacht wach und haben gebetet für eine positive Nachricht“, sagt Yassin, ein junger Rohingya, der im Camp lebt.
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