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Virtuelles Jahrestreffen der WHONoch inmitten der Pandemie

Corona ist das bestimmende Thema auf dem virtuellen WHO-Jahrestreffen. Dabei wird die Kluft zwischen armen und reichen Ländern deutlich.

Im Kampf gegen die Pandemie – hier ein Labor in Italien – sind die Möglichkeiten ungleich verteilt Foto: Paolo Lazzeroni/Imago

Genf taz | Für ihre Rede zum Auftakt der 74. Weltgesundheitsversammlung klaute Angela Merkel bei Fußballlegende Sepp Herberger. „Nach der Pandemie ist vor der Pandemie, und für die nächste sollten wir so gut vorbereitet sein wie möglich“, forderte sie am Montag beim virtuellen Jahrestreffen der Weltgesundheitsorganisation (WHO).

Doch während die Bundeskanzlerin schon über die nächste Pandemie nachdenkt und Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez „Licht am Ende des Tunnels“ sieht, warten die meisten der 194 WHO-Mitgliedsstaaten noch darauf, dass der Kampf gegen die Pandemie auch bei ihnen beginnt.

„Die unwürdige Impfstoff-Apartheid muss ein Ende haben“, sagte etwa der Ministerpräsident der Karibiknation Antigua und Barbuda, Gaston Browne. Und WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus warnte: “Eine kleine Zahl von Ländern, die den meisten Impfstoff produziert und aufgekauft haben, kontrolliert das Schicksal der restlichen Welt.“

Das Ausmaß macht die globale Gesundheitsstatistik deutlich, die die WHO am Freitag vorgelegt hatte. Demnach ist die Zahl der Toten im Zusammenhang mit der Pandemie zwei- bis dreimal höher als die bisher vermuteten 3,4 Millionen. Vor allem in armen Ländern würden Todesursachen oft gar nicht erfasst, zudem seien dort viele Gesundheitssysteme überlastet. Dagegen soll eigentlich die von der WHO ins Leben gerufene Initiative namens ACT-Accelerator helfen, zu der auch das Impfprogramm Covax gehört.

Doch zur Umsetzung fehlen 18,5 Milliarden US-Dollar, außerdem Covid-Tests, Sauerstoff und Beatmungsgeräte. Drei Viertel der Impfungen gegen Covid-19 seien in gerade einmal zehn Ländern verabreicht worden, erklärte Tedros in Genf. „Die bisher verabreichten Impfungen hätten ausgereicht, um weltweit alles medizinische Personal und alle älteren Menschen impfen zu lassen, wenn sie gerecht verteilt gewesen wären.“

Um die Zahl der Impfungen weltweit zu erhöhen, müssten Hersteller ihre Patente dringend mit anderen teilen. Als Ziel gab Tedros aus, zehn Prozent der Bevölkerung jedes Landes bis Ende September zu impfen. Für die 125 ärmsten Länder der Welt würde das eine Verzehnfachung bedeuten.

Deutschland gegen Freigabe

Deutschland gehört zu den Ländern, die sich in der Welthandelsorganisation gegen eine vorübergehende Freigabe der Patente aussprechen. Stattdessen setzt die Bundesregierung sich für einen globalen “Pandemievertrag“ ein, der Staaten zur Zusammenarbeit und Transparenz im Pandemiefall verpflichten würde. Das Problem: die Ausarbeitung eines solchen Vertrags könnte Jahre dauern oder ganz scheitern. Schon jetzt sperren sich China, Russland und Brasilien gegen ein solches Vertragswerk, das es der WHO erlauben könnte, Informationen über Pandemieverläufe ohne Zustimmung betroffener Staaten zu veröffentlichen. Auch die USA zeigen an dem Vertrag wenig Interesse.

Dabei ist allen Staaten klar, dass die WHO sich für künftige Pandemien besser aufstellen muss. Das bisherige System sei gescheitert, erklärte Liberias frühere Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf, Vorsitzende von einer der drei Kommissionen, die die Pandemiebekämpfung untersucht haben. Den von ihr geforderten Globalen Gesundheitsrat mit weitreichenden Befugnissen zur frühzeitigen Pandemiebekämpfung unterstützt auch Deutschland.

Doch ob die Staaten der WHO mehr Macht zugestehen werden, ist ungewiss. Eine von der EU vorgelegte Resolution, die der WHO mehr Möglichkeiten für unabhängige Untersuchungen einräumen sollte, wurde noch vor Beginn der Versammlung verwässert. Und wenn es um mehr Geld geht, das die WHO mit ihrem Jahresbudget von knapp zwei Milliarden Euro dringend bräuchte, mauern auch die Europäer.

Manche Länder wie Deutschland haben ihre Zuschüsse in der Pandemie bereits erhöht, andere Geber verweisen auf die Kosten der Coronapandemie im eigenen Land. Fast alle halten zudem an der Zweckbindung der meisten ihrer Gelder fest. Das aber beraubt die WHO genau dem, was die Reformer fordern: mehr Eigenständigkeit.

Für WHO-Chef Tedros steht viel auf dem Spiel, nicht zuletzt seine eigene Zukunft. Im kommenden Jahr läuft die Amtszeit des Äthiopiers aus. Ob er ein weiteres Mal für fünf Jahre an der Spitze der WHO vorgeschlagen wird, wird vor allem davon abhängen, ob ihm die weltweite Bekämpfung der Covid-19-Pandemie gelingt.

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