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Viren und Bakterien im OzeanDie ansteckenden Krankheiten des Meeres

Eine Kieler Studie erforscht, wie mit marinen Krankheiten umzugehen ist, die Ökosysteme und die Nahrungsmittelsicherheit gefährden können.

Eine der eher spektakulären Gefahren des Meeres: Stachelrochen Foto: Lukas Schulze/dpa

Osnabrück taz | Das Meer, heißt es oft, steckt für den Menschen voller Gefahren. Meist denkt man dann an Spektakuläres. An Stachelrochen und Monsterwellen wie die „Weiße Wand“. An halbmythische Megalodon-Nachfahren und die giftigen Nesselkapseln der 30 Meter langen Tentakel der Portugiesischen Galeere.

Aber es geht auch unscheinbarer, als Krankheitsausbrüche, vom Virus bis zum Bakterium. Und während wir dem Rochen und der Welle, dem Hai und der Qualle nur direkt im größten Ökosystem unserer Erde begegnen, reicht deren Einfluss weit über das Lokalphänomen hinaus. Denn im Meer bringen Viren und Bakterien ganze Lebensraum-Balancen ins Wanken. Und an Land gefährden sie nicht nur einzelne Menschen, sondern, wenn es schlimm kommt, die gesamte Gesellschaft.

Wie dieser doppelten, oft marginalisierten Gefahr zu begegnen ist, zeigt die im Juli 2025 in der Fachzeitschrift „Ocean & Coastal Management“ erschienene Studie „Marine diseases as a threat to society: Adopting and advancing the UNDRR risk framework“.

Dieser Titel lässt durchaus an den Krisenstab-Sitz „Château Disaster“ aus Frank Schätzings Meeresgefahr-Endzeitthriller „Der Schwarm“ denken, denn das Kerngeschäft des United Nations Office for Disaster Risk Reduction (UNDRR) ist die Analyse der Risiken von Katastrophen, deren vorbeugende Vermeidung und nachsorgende Bewältigung, durch ein System globaler Zielmaßnahmen und Prioritäten.

Frühwarnsystem gesucht

Es geht um Widerstandsfähigkeit und Verwundbarkeit, es geht um Frühwarnung, um die Verminderung und Vermeidung gesundheitlicher, wirtschaftlicher und sozialer Verluste, um die Entwicklung politischer wie behördlicher Instrumente, um Kommunikationsstrategien. Um eine allgemeingültige Leitlinie. Einen Bewertungs- und Handlungsrahmen, der Reaktionen auf Gefahren strukturiert, standardisiert.

Die Coronapandemie habe gezeigt, „wie wenig wir vorbereitet waren“, sagt Erstautorin Lotta Clara Kluger, Meeresökologin an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU), am Center for Ocean and Society, Teil des Forschungsschwerpunktes für interdisziplinäre Meereswissenschaften Kiel Marine Science (KMS). „Offenbar muss immer erst etwas passieren, bevor etwas passiert.“

Die Studie schneidet den UNDRR-Risikorahmen auf marine Krankheiten zu. „Wir müssen ins Handeln kommen“, sagt Kluger, „und brauchen gute Strategien, um Risiken zu minimieren. Wer gut vorbereitet ist, hat weniger Angst.“

Generell gelte es, nachhaltigere Wege einzuschlagen. Die Studie, erstellt durch ein interdisziplinäres, internationales Team von der Ökologie über Ökonomie bis zur Sozial- und Politikwissenschaft, dekliniert das beispielhaft am Aquakultur-Produkt Auster durch, will aber „universell anwendbar“ sein, so Kluger, „bei allen Fällen mariner Krankheiten“.

Als eine mögliche Ursache von Meereskrankheiten benennt die Studie den Menschen

Was, wenn auf einer Austern-Zuchtbank eine Krankheit ausbricht? Dann ist womöglich nicht nur die Austernpopulation und ihre Umgebung gefährdet, die Nahrungsmittelsicherheit, der Profit des Wirtschaftszweigs. Die Wasserqualität könnte sich verschlechtern, die Biodiversität. Touristen könnten ihre Reiseentscheidung überdenken.

Als eine mögliche Ursache von Meereskrankheiten benennt die Studie den Menschen. Sicher, solche Krankheiten können auch durch natürliche Prozesse entstehen. Aber menschliches Handeln, von der Lebensraumzerstörung bis zum Klimawandel, kann eine bedeutende Rolle spielen. Auch „unkontrollierte oder übermäßige menschliche Aktivitäten im Meer und an Land“ könnten „ein Risiko für die Gesellschaft darstellen“, so die Studie.

Am Beispiel von Austernpopulationen wird das Risiko einer Meereskrankheit als Zusammenspiel von Gefahr, Ausgesetztheit und Anfälligkeit beschrieben. Der Versuch der Risikominderung setzt bei allen drei Faktoren an. Durch die Verringerung des ökologischen Risikos verringere sich auch das soziale Risiko.

Die Auster ist ein gutes Beispiel, denn sie ist nicht nur ein Nahrungsmittel. Austernbänke und -riffe sind auch Orte hoher Biodiversität, denn sie bieten Lebensraum für viele andere Tierarten. Durch die Filterleistung der Austern verbessert sich die Wasserqualität. Austern tragen zur Verringerung giftiger Algenblüten bei.

„Ozean und Mensch, Ozean und Gesellschaft sind untrennbar miteinander verbunden“, sagt Meeresökologin Kluger. Besondere Herausforderung bei Krankheiten im Meer: „Politisch-administrative Grenzen greifen da nicht. Alles hängt ja mit allem zusammen.“

Entsprechend breit gefächert sind auch die GesprächspartnerInnen, die Kluger für ihr Modell des Risikomanagements sensibilisieren muss: „Die Aquakultur-Zuchtbetriebe sind da gefragt, der Umweltschutz, die Landwirtschaft, das Gesundheitswesen, die Kommunen, die Wirtschaft, die politischen Entscheidungsträger.“

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