Vietnamesische Familie in Berlin: Der Kampf hat sich gelohnt
Jetzt ist es offiziell: Der frühere DDR-Vertragsarbeiter Pham Phi Son und seine Familie müssen keine Abschiebung mehr fürchten.

Pham Phi Son, heute 67 Jahre alt, kam 1987 als Vertragsarbeiter aus Vietnam in die Stadt, die damals noch Karl-Marx-Stadt hieß. Nach der Wende fand er Arbeit in verschiedenen Gastronomiebetrieben in Chemnitz. 2017 entzog die Stadt jedoch ihm, seiner aus Vietnam nachgeholten Ehefrau und der neugeborenen Tochter das Aufenthaltsrecht.
Sein „Vergehen“: Er hatte neun Monate in Vietnam Urlaub gemacht. Wenn sich Ausländer länger als sechs Monate außerhalb der EU aufhalten, ist der Entzug des Aufenthaltsrechtes möglich, aber nicht zwingend. Als Grund für den langen Aufenthalt in Vietnam gab Son einen stationären Aufenthalt in einem Krankenhaus an, eine alte Kriegsverletzung war unter dem subtropischen Klima wieder aufgeflammt.
Nach einem misslungenen Abschiebeversuch war die Familie fast zwei Jahre lang untergetaucht. Der Stadt Chemnitz gelang es jedoch nicht, sie deswegen zu kriminalisieren, ein Gericht sprach die Familie frei. Die Sächsische Härtefallkommission, die in dem Fall zweimal angerufen wurde, konnte wiederum keinen Härtefall erkennen.
Nachdem der Fall wieder an die Stadt Chemnitz zurückgegeben wurde und beide Elternteile als dringend benötigte Fachkräfte in einem sächsischen Gastronomiebetrieb Arbeit gefunden hatten, entschied Chemnitz gegen ein Bleiberecht und führte u.a. die in der Tat schlechten deutschen Sprachkenntnisse der Eltern als Argument an.
Der Fall erregte Aufmerksamkeit in überregionalen Medien. 2023 war der Familienvater Gast in einem taz-Talk. 107.000 Menschen haben eine Onlinepetition für ein Bleiberecht der Familie unterzeichnet. Politiker von SPD, Linken und Grünen, Eltern aus der Kita der Tochter und die Katholische Kirche solidarisierten sich mit den gläubigen Katholiken. Um den Fall vom Tisch zu bekommen, gestattete Chemnitz Mitte 2023 den Umzug der Familie nach Berlin. Hier fanden die Eltern Arbeit in einer Kantine. Die inzwischen achtjährige Tochter besucht eine Berliner Schule.
„Tragischerweise kein Einzelfall“
Für die Familie ist das Ende des langjährigen Schwebezustands eine Erlösung von jahrelanger Angst und Zermürbung. „Der lange Kampf hat sich nun gelohnt“, freut sich auch Jenny Fleischer, die Anwältin der Familie. Rechtlich stand für die Fachanwältin für Migrationsrecht ohnehin seit Jahren außer Frage, dass die Familie ein Aufenthaltsrecht erhalten muss. „Das Tragische ist, dass die Geschichte dieser Familie kein Einzelfall ist,“ sagt sie der taz.
Auch der frühere sächsische SPD-Landtagsabgeordnete und DDR-Bürgerrechtler Frank Richter, der die Familie in ihrem jahrelangen Kampf gegen die drohende Abschiebung begleitet hat, freut sich mit der Familie. Er bedauert allerdings, dass in Chemnitz keine Lösung gefunden wurde, die in Berlin möglich war, denn auch Chemnitz brauche „arbeitsame und integrierte Menschen aus dem Ausland.“ Dass die Familie in Berlin zwei Jahre auf das Aufenthaltsrecht warten musste, lag nicht am fehlenden Willen der Behörden, sondern an deren langsamen Arbeitstempo.
Emily Barnickel vom Berliner Flüchtlingsrat hatte sich ebenfalls für das Schicksal der vietnamesischen Familie interessiert und angeboten, sich in der Berliner Härtefallkommission für ein Bleiberecht für Pham Phi Son und seine junge Familie einzusetzen, wenn dies notwendig geworden wäre. „Wir freuen uns, dass es in Berlin jetzt sogar ohne Härtefallkommission geklappt hat“, sagt sie. „Das zeigt, dass die Behörden in Chemnitz jenseits aller rechtsstaatlicher Prinzipien agiert haben.“
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