: „Vier Türen nach Deutschland“
Interview: PATRIK SCHWARZ und BERND SIEGLER
taz: Herr Schmid, Sie haben einen mächtigen Schutzengel – auf Ihren neuen Posten hat Otto Schily Sie berufen. Woher rührt die Verbundenheit mit dem Innenminister?
Albert Schmid: Das erste Mal begegnet sind wir uns in den 80er-Jahren bei der Auseinandersetzung mit Franz-Josef Strauß um die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf. Damals sollte der Landrat Hans Schuierer seines Amtes enthoben werden, weil er gegen die WAA protestierte. Als er sich einen Anwalt suchte, schwankte er zwischen Otto Schily und mir.
Sie haben Schily den Mandanten weggeschnappt?
Und das Disziplinarverfahren gegen den Landrat abgewehrt.
Jetzt ist Schily Ihr Dienstherr. In der Öffentlichkeit ist vielen bis heute unklar, welche Richtung der Minister mit seiner Ausländerpolitik einschlagen will. Ist Ihnen Otto Schily auch ein Rätsel?
Nein. Otto Schily zeichnet sich durch eine geistige Unabhängigkeit aus, wie sie in der politischen Klasse nicht üblich ist. Ihn und mich verbindet unsere Neigung, erst mal selber zu denken und dann die Diskussion zu suchen. Wir sind keine reproduzierenden Künstler. Wer eigenständig denkt, rumpelt schon mal mit anderen zusammen.
Das Magazin „Konkret“ zeigte ihn als „Der rosa-rote Kanther“.
Zu Unrecht. Der Innenminister und der Bundeskanzler haben doch mit der Green-Card-Debatte einen richtigen Paradigmenwechsel erreicht: Früher drehte sich die öffentliche Debatte um Abschottung – heute geht es um die geregelte Aufnahme von Zuwanderern.
Ihr Chef hat Sie geholt, damit Sie das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge umbauen: Deutschland soll zum ersten Mal in seiner Geschichte ein Bundesamt für Einwanderung bekommen. Wie soll das aussehen?
Bei der Einwanderung gibt es derzeit eine Riesenchance. In den traditionellen Politikfeldern bewegt man sich auf ausgetretenen Pfaden, da sind auch die Strukturen und Methoden festgelegt. Bei der Migrationspolitik gibt es die Riesenchance zusammenzubringen, was bisher nicht zusammengehören durfte: Wir müssen Weltoffenheit und humanitäre Sensibilität verknüpfen mit einem Bewusstsein für die ökonomischen Realitäten von Zuwanderung und für ihre Akzeptanz in der Gesellschaft.
Was heißt das konkret für einen Ausländer, der nach Deutschland möchte?
Nehmen Sie einen hoch qualifizierten Akademiker aus Syrien oder einen Mittelständler aus Sri Lanka, der für seine Kinder eine Zukunft in Europa sucht. Momentan bleibt diesen Menschen fast nur der Weg über das Asylverfahren. Dort binden sie Manpower, verlängern die oft kritisierte Verfahrensdauer und werden am Ende wahrscheinlich nicht einmal anerkannt. In Zukunft könnten wir ihnen empfehlen, stattdessen einen Einwanderungsantrag zu stellen.
Also geht es um mehr Komfort für die Green-Card-Ausländer mit besten Berufschancen?
Nein, wir gehen von einem so genannten Vier-Portale-Modell aus. Ich hoffe sehr, dass die Einwanderungskommission von Minister Schily diese Idee von vier Türen nach Deutschland aufgreift.
Wer darf durch welche Tür?
Klar ist schon mal: Asyl ist ein eigener Bereich. Wer darauf einen berechtigten Anspruch hat, den wollen wir ohne Einschränkung aufnehmen, das sieht das Grundgesetz so vor. Dann geht es um Zuwanderung aus humanitären oder politischen Gründen: Bürgerkriegsflüchtlinge, Kontingentflüchtlinge, jüdische Zuwanderer – dort kann man Quoten festlegen, die aber nicht restriktiv ausfallen dürfen. Die Aufnahme der Menschen aus dem Kosovo hat gezeigt, dass die bundesdeutsche Gesellschaft hier zur Großzügigkeit bereit ist. Die dritte Gruppe sind die deutschstämmigen Aussiedler und die vierte die Arbeitsmigranten.
Sie plädieren für eine Quote?
Eine Quote allein ist keine Antwort, die Frage ist, wie man sie festlegt. Die Politik war in der Vergangenheit in der Versuchung, zu einsame Enscheidungen zu treffen – mal für große Offenheit gegenüber Zuwanderern, dann wieder für große Zurückhaltung. Beides war nicht rational begründet.
Wer kann es besser?
Da denke ich an meine Studentenzeit und die Lektüre von Jürgen Habermas zurück. Der hat einen Hohen Rat von Sachverständigen empfohlen, der Bürger und Politik gleichermaßen berät. Wir brauchen etwas ähnliches wie die so genannten Wirtschaftsweisen für die Zuwanderung: ein kleines, hochkarätiges Gremium. An einem solchen Rat der Weisen könnte auch die Politik nicht vorbei.
Damit dankt aber die Politik ab und überlässt vermeintlichen Experten das Feld.
Nein, die Politik muss die Kategorien festlegen, in denen wir Zuwanderung wünschen, und die Kriterien, nach denen wir unter Bewerbern auswählen.
Wann öffnet die Einwanderungsbehörde ihre Pforten?
Das Bundesamt ist bereit dafür. Die Zuwanderungs-Kommission unter Rita Süssmuth legt ihre Empfehlungen bis Sommer vor. Wir brauchen ein Einwanderungsgesetz, oder eine andere verbindliche Regelung, noch in dieser Legislaturperiode. Sonst wird das Thema im Bundestagswahlkampf zerfleddert und käme frühestens 2004 wieder auf die Tagesordnung.
In seiner heutigen Form ist Ihr Amt zuständig für das Schicksal der Asylbewerber in Deutschland – es entscheidet über deren Ablehnung oder Anerkennung. Was machen Sie dabei anders als Ihre Vorgänger von der Union?
Es gab früher, man muss das so deutlich sagen, quantitative Erwartungen, wie hoch die Anerkennungsquoten bei Asylbewerbern ausfallen durften. Das ist vom Grundgesetz nicht vorgesehen. Dort heißt es, politisch Verfolgte genießen Asyl. Ich will, dass wir in Zukunft ernsthafter als bisher prüfen, ob ein Flüchtling politisch verfolgt ist.
Ernsthafter – heißt das wohlwollender?
Objektiver. Dazu brauchen wir ausgewogenere Informationen. Bisher war da vieles zu einseitig. Wir haben deshalb ein Forum von Experten ins Leben gerufen, in dem auch Organisationen vertreten sind, die das Amt kritisch sehen. Pro Asyl gehört dazu und Amnesty International.
Aber an vielen Punkten ist doch die Rechtslage restriktiv. Frauenspezifische Verfolgung beispielsweise garantiert noch immer kein Asyl in Deutschland.
Dort bemühen wir uns aber inzwischen um besondere Sensibilität. Opfern von frauenspezifischer Verfolgung müssen wir erst einmal die Befangenheit nehmen, über ihre Erlebnisse zu berichten. Wir schulen deshalb jetzt auch Dolmetscherinnen eigens, damit sie Zwischentöne erkennen können. Dazu muss man keine Paragrafen ändern, aber für den Erfolg eines Asylantrags haben solche Änderungen eine ganz große Bedeutung.
Was ist mit den Opfern nicht staatlicher Verfolgung? Viele Flüchtlinge gelten vor deutschen Gerichten nicht als politisch verfolgt, weil es in ihrer Heimat keinen Staat im westlichen Sinne gibt.
Das betrifft zum Beispiel Afghanen. Dort werden wir bald keine staatstheoretischen Seminare mehr abhalten müssen, um über die Berechtigung eines Asylantrags zu entscheiden. Jedenfalls ist das meine Interpretation einer kürzlich ergangenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Dort wird die Frage der politischen Verfolgung in den Mittelpunkt gestellt, nicht mehr die Frage der Staatlichkeit des Herkunftslandes.
Das heißt, die Zahl der anerkannten Asylbewerber wird steigen?
Ich rechne mit mehreren tausend Folgeanträgen von Afghanen, die zuvor abgelehnt wurden. Bei einer neuen Rechtslage muss neu entschieden werden. Ich habe damit keine Probleme.
Das Bundesamt stand im Kampf gegen den „Asylmissbrauch“ ganz vorne . . .
Ich verwende Vokabeln wie „Asylmissbrauch“ nicht. Ich spreche auch nicht von Wirtschaftsflüchtlingen. Entweder jemand beruft sich auf das Asylrecht aus den Gründen, die das Grundgesetz vorsieht, oder will eben aus anderen Gründen zuwandern. Wirtschaftliche oder soziale Motive sind ja nicht unzulässig, sie werden nur vom Asylrecht nicht erfasst. Durch einen sensibleren Umgang mit Begriffen wollen wir auch deutlich machen, dass weitere Regelungen für Zuwanderung erforderlich sind neben dem Asylrecht.
Lange galt das Bundesamt als konservative Trutzburg. Wie gehen Sie mit internen Widerständen um?
Durch Dienstanweisung erreicht man gar nichts. Sie müssen die Mitarbeiter schon überzeugen. Aber dieses Amt ist eine vergleichsweise junge Behörde, weil die Mehrzahl der 2.300 Mitarbeiter erst zur Zeit der großen Flüchtlingszahlen Anfang der 90er-Jahre eingestellt wurden. Die Kollegen sind heute also noch jung genug für einen Wandel.
Sie waren Politiker, jetzt sind Sie nur noch Beamter. Schmerzt es Sie, weisungsgebunden zu sein?
(lacht) Mir hat bisher noch niemand eine Weisung erteilt.
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