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Vier-Tage-Woche auf dem KirchentagAm fünften Tage sollst du ruhen

Viele junge Menschen wollen nicht in Vollzeit arbeiten, Gewerkschaften fordern die Viertagewoche. Auch die Kirche spricht über die Zukunft der Arbeit.

Eine Wochenarbeitszeit von 32 Stunden macht einen ganzen freien Tag. Was würden Menschen tun? Foto: Roy van Zeschau/imago

Nürnberg taz | Die jungen Menschen denken zu viel an sich selbst und nicht genug an die Gesellschaft, sagte Thomas de Maizière, dieses Jahr Präsident des Kirchentags, in einem Interview in der Wochenzeitung Die Zeit. Die ganze Diskussion über „Work-Life-Balance“ sei absurd, Arbeitszeitreduktion und eine Viertagewoche außerdem nicht biblisch: „Am siebten Tage sollst du ruhen, heißt es in der Bibel. Das bedeutet ein Verhältnis von sechs zu eins. Und nicht, dass die Freizeit überwiegt“, so de Maizière.

Auf dem Kirchentag erntet diese Haltung wenig Zuspruch. „Wenn Gott schon einen Tag Ruhe braucht, dann brauche ich mindestens einen mehr“, scherzt der Moderator eines Podiums mit dem Titel „Arbeiten im neuen Normal“, Bjarne Thorwesten. Er ist Vorstandsmitglied der Christlichen Pfadfinder. Wie sieht sie aus, die Arbeit der Zukunft? Kann es wirklich weniger Arbeit für den gleichen Lohn geben, so wie es die IG-Metall inzwischen fordert?

Die Vier-Tage-Woche sei vor allem ein „Buzzword“, sagt Alexander Zumkeller, tätig in einem Technologieunternehmen. Es ginge nicht um ein langes Wochenende, sondern um eine generelle Arbeitszeitverkürzung und -flexibilisierung. Beides sei grundsätzlich machbar.

Zum einen würden einige Arbeiten in Zukunft durch neue Entwicklungen in der Künstlichen Intelligenz ohnehin automatisiert, zum anderen seien Ar­beit­neh­me­r*in­nen durch den Fachkräftemangel in einer besseren Verhandlungsposition. Aber sie hätten unterschiedliche Bedürfnisse, die der Viertagewoche nicht unbedingt entsprechen. Sie bräuchten vielmehr ein maßgeschneidertes Arbeitszeitmodell, das zum Leben passt. Dazu brauche es aber Deregulierungen in den Arbeitszeitgesetzen.

Deregulierung nur mit Tarifvertragsbindung

Alles schön und gut, antwortet Andrea Nahles, ehemalige Bundesarbeitsministerin und heute Chefin der Bundesagentur für Arbeit. Einige Gesetze müssten flexibler werden. Deregulierung in diesem Bereich dürfe es „aber bitte nur mit Tarifvertragsbindungen“ geben. Dafür erntet sie Applaus aus dem Publikum.

Katja Hessel, Parlamentarische Staatssekretärin im Finanzministerium, gibt zu bedenken, dass nicht alle Ar­beit­neh­me­r*in­nen von Homeoffice und flexibler Arbeit profitieren könnten. Der Arbeitsmarkt könne gespalten werden, in Menschen, die Freiheit und Flexibilität genießen, und andere, die die Arbeit erledigen müssten.

Die Soziologin Jutta Allmendinger stimmt zu und ergänzt: „Eine gespaltene Gesellschaft kann keine Gesellschaft der Zukunft sein.“ Sie plädiert für eine generelle Arbeitszeitverkürzung auf 32 Wochenstunden. Außerdem fordert sie eine „große Offensive des Miteinanders“ und Gelegenheiten, bei denen sich Menschen mit unterschiedlichen ökonomischen Hintergründen wieder mehr begegnen – zum Beispiel mit einem verpflichtenden sozialen Jahr.

Ein ganzer Tag mehr freie Zeit

Eine Wochenarbeitszeit von 32 Stunden, das wäre ein ganzer Tag mehr freie Zeit. Was würden die Menschen, die hier auf dem Kirchentag unterwegs sind, damit anfangen? „Ich hätte gerne mehr Zeit für…“ steht auf einem Plakat inmitten des Messegeländes. Olaf Zechlin, Pfarrer und psychologischer Berater aus Essen, spricht die Vorbeilaufenden an. „Wofür brauchen Sie mehr Zeit?“ Viele Wünsche landen auf dem Plakat: Zeit für Enkel*innen, fürs Nichtstun, für Spiritualität, für Aktivismus oder für ihre Kinder.

Zechlin hat den ganzen Tag mit Menschen über Zeit gesprochen. Und was sind seine Eindrücke? Wollen die jungen Menschen einfach nicht mehr arbeiten? Das sei nicht das leitende Bedürfnis, erzählt er: „Die junge Generation will innere Orientierung und erfüllte Arbeit. Den Zeitausgleich wollen sie dann außerdem.“

Auch das sei im Sinne der Kirche: „Unser Ziel ist ja, dass die Menschen einen inneren Frieden finden können. Wenn sie dazu mehr Zeit brauchen, dann sollen sie die bekommen.“ Deswegen sei die Arbeitszeitreduktion gerade ein Thema in den Kirchen, denn auch Pfar­re­r*in­nen könnten nicht unbegrenzt arbeiten: „Wir gehen da gerade auf eine Arbeitszeit von 41 Stunden, um den Pfarrberuf auch für junge Menschen wieder attraktiv zu machen.“

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15 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Entscheidend ist doch, dass die Menschen das Empfinden haben trotz Vollzeitrbeit kein auskömmliches Einkommen bis zum Lebensende erarbeiten zu können.



    Sie sehen, wie einige wenige sich die Taschen vollstopfen aber die eigenen Eltern in Alteneinrichtungen bestenfalls aufbewahrt werden.



    Also warum um Himmels Willen mehr arbeiten als unbedingt nötig.

    • @Bolzkopf:

      Aber wenn man nur 32 Stunden anstelle von 40 Stunden arbeitet, hätten die Menschen ja noch weniger am Ende des Monats

      • @Pilatus333:

        Wenn man Aufstocker ist spielt es keine Rolle ...

        • @Bolzkopf:

          Dann sollten aber auch Kapitalvermögen niedriger besteuert werden. Es ist eh eine Frechheit, dann man als Vermieter auf die Einnahmen Steuern zahlen muss. Der Staat langt überall hin, wo er nur kann.

  • So, so, junge Menschen haben also keinen “Bock” auf viel Arbeit. Klasse! Aussichten sind das, unfassbar. Vielleicht noch zwei Stunden Mittagspause gefällig?



    Und acht Wochen Urlaub?



    Dan kann man’s gleich lassen, oder?



    Was ist das für eine Arbeitsmoral?



    Kaum eine, oder?

    • @POFF KAMITO:

      Ich frage mich, was "Arbeitsmoral" an sich für einen Eigenwert haben soll. Vermutlich dass man am Ende des Tages die Schwielen (oder was auch immer bei geistiger Arbeit zu diesen äquivalent ist) stolz vorzeigen kann und den Bewunderern einige Ah's und Oh's entlockt. Und natürlich - nicht zu vergessen - die stolze Rolle des stets ums Wohlergehen der Schutzbefohlenen besorgten Hausherren, die inzwischen auch viele Frauen für sich entdeckt haben. Bei allem Respekt: Das sind letzten Endes Eitelkeiten, die rein gar nichts damit zu tun haben, ob eine Tätigkeit sinnvoll ist und einen Nutzen bringt - und darum, und um nichts anderes sollte es bei der Arbeit doch gehen, so meine bescheidene Meinung.

    • @POFF KAMITO:

      Arbeitsmoral ist ein Begriff aus dem frühindustriellen Kapitalismus der unter den Nazis geradezu kultiviert wurde ("Arbeisscheue", "Gammler")

  • Sicher doch, der Kampf gegen den Klimawandel ist auch in vierTagen zu stemmen. Was soll auch all die Eile?

  • Über Teilzeitverträge kann jeder Arbeitnehmer mit seinem Arbeitgeber individuelle Arbeitszeiten vereinbaren. Man muss nur das Gespräch suchen. Gerade jetzt , wo Fachkräfte händeringend gesucht werden , ist die Zeit für persönliche Regelungen der Arbeitszeit da. Ob die Einahmen dann mit den Ausgaben in Balance stehen , muss jeder für sich entscheiden. Das ist die neue Freiheit für work live Balance . In Bezug auf die Sozialberufe kann man erwarten, dass derjenige bedient wird, der zahlt. Wollen wir das so haben?

  • Wenn alle zustimmen, dass die 32 Stunden Woche mit Wohlstandsverlust einher geht, und mit noch mehr Problemen in Krankenhäusern, Arztpraxen, Pflegeeinrichtungen, und anderen Berufen, die kaum automatisierbar sind und alle diese Konsequenzen mittragen, kann man drüber reden.

    Wenn aber, wie ich einfach mal vermute, alle trotzdem erwarten, dass die Gaststätten genau so viele Tage in der Woche geöffnet, damit die "Freizeit" genossen werden kann, bei Zahnweh keiner 3 Tage warten will, bis der Zahnarzt wieder öffnet, alte Menschen ein Problem damit haben, wenn sie in Pflegeeinrichtungen mit noch weniger Personal auskommen müssen, wenn keiner der jungen Fordernden akzeptieren möchte, dass es frische Brötchen nur noch Mo-Do gibt, wenn die Bahn nur noch von Montag bis Samstag fährt, damit auch die LockführerInnen und das Begleitpersonal eine 4 Tage Woche haben können und wenn keiner akzeptieren will, dass das dann zu Wohlstandverlust und z.B. niedrigeren Renten führt, dann ist das ein dummes Konzept.

    Wer für weniger Arbeitszeit weniger Lohn akzeptiert, soll das machen, wenn der Arbeitgeber mitspielt Das geht selbstverständlich auch heute schon, Teilzeitverträge sind nicht ungewöhnlich.

    Aber gleichzeitig darüber reden, dass Rente erst mit 70 möglich sein soll, nicht bereit sein, Beamtenprivilegien (auch von gut bezahlten ev. Kirchenbeamten) bei den Pensionen und beim Tragen von gesellschaftlichen Sozial-Lasten auch nur zu diskutieren, weiterhin von Wachstum träumen, und keinen freiwilligen Verzicht üben wollen, den Südamerikanern ihre Pflegekräfte wegnehmen wollen, um hier Lücken zu füllen anstatt endlich mal langfristig und ehrlich zu planen - und trotzdem die 32-Stunden Woche fordern, das passt nicht zusammen. Da sollte man wirklich überlegen, ob man Lebenszeit nicht vielleicht mit anderen wichtigen Themen füllen will.

    • @Torben2018:

      Ich bin für die 4-Tage Woche. Berufs- und Studienwahl müssen notfalls halt sanft staatlich gelenkt werden. Weniger Bullshit-Jobs, mehr Ärzte, Handwerker, Erzieherinnen.

    • @Torben2018:

      Leider ein bisschen einfach gedacht. Ich denke die Zusammenhänge gestalten sich schon etwas komplexer als: Weniger Arbeitszeit = weniger Produktivität.



      Stammtisch Argumentationen die die ganze Thematik mit 2 Absätzen totschlagen sind leider einfach unpassend und nicht ausreichend bei komplexen sozialpolitischen Themen und sollten nuanciert und wissenschaftlich betrachtet werden.

    • @Torben2018:

      So ist es .

    • @Torben2018:

      Super Kommentar! Perfekt auf den Punkt gebracht.

    • @Torben2018:

      Sehr gut beschrieben!!