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NS-Historien-FilmVielleicht ist Gift drin

Speisen in der Wolfsschanze: Der italienische Regisseur Silvio Soldini erzählt im Historienfilm „Die Vorkosterinnen“ ein unbekannteres NS-Kapitel.

Rosa Sauer (Elisa Schlott) und die anderen „Vorkosterinnen“ Foto: Busch Media Group

November 1943. Die junge Rosa Sauer (Elisa Schlott) kommt entkräftet bei ihren Schwiegereltern im ostpreußischen Groß Partsch, das heutige polnische Parcz, an. Die beiden nehmen sie auf dem kleinen Hof auf. Ganz in der Nähe in einem Waldstück beginnt das Sperrgebiet um eines der militärischen Lagezentren, von denen aus Hitler und seine Stäbe das Morden koordinieren, die Wolfsschanze.

Abends fällt Rosa im Zimmer ihres Mannes, der an der Ostfront als Soldat kämpft, ins Bett. Am nächsten Morgen steht ein SS-Offizier in der Küche und fordert Rosa auf, mitzukommen. Ein Bus bringt Rosa zusammen mit sechs weiteren Frauen aus dem Dorf in ein Gebäude am Rand der Wolfsschanze. Die Gruppe wird von einem Arzt untersucht und anschließend in einen Saal mit gedecktem Tisch geführt.

Beglückt beginnen die Frauen, das Essen zu verschlingen. Erst danach eröffnet ihnen ein SS-Offizier, dass sie das Essen auf Gift testen. 2013, vor gut zehn Jahren, brach die Berlinerin Margot ­Woelk mit über 90 Jahren gegenüber dem Spiegel ihr Schweigen und berichtete, sie sei mit Mitte 20 von der SS verpflichtet worden als eine von 15 Vorkosterinnen für Hitlers Essen.

Ob es Hitlers Vorkosterinnen wirklich gab, ist zweifelhaft

Ob es so etwas wie Vorkosterinnen für Hitler gab, ist historisch eher zweifelhaft. Dennoch schrieb die italienische Schriftstellerin Rosella Postorino 2018 lose auf Wölks Erinnerungen basierend den Roman „Die Vorkosterinnen“. Der italienische Regisseur Silvio Soldini hat den Roman nun verfilmt. Die italienisch-belgisch-schweizerische Koproduktion eröffnete im März das Filmfestival in Bari.

Szene aus „Die Vorkosterinnen“ Foto: Busch Media Group

Soldinis Film zeigt, wie die sieben vom Zufall zusammengeführten Frauen zu einer Gruppe werden. Tag für Tag werden die Frauen aus dem Dorf abgeholt und bekommen von Hitlers Leibkoch (schöne Nebenrolle für Boris Aljinovic) die verschiedenen Speisen für das Mittag- und Abendessen vorgesetzt. Die Zeit zwischen den beiden Mahlzeiten vertreiben sich die Frauen in einem kleinen Hof.

Rosa ist als Berlinerin unter den Frauen aus dem Dorf zunächst außen vor, freundet sich aber nach und nach mit der schweigsamen Elfriede (Alma Hasun) an. Filmisch getragen wird „Die Vorkosterinnen“ von der handwerklich soliden Umsetzung – dem Schauspiel, der Ausstattung, den Kostümen, inhaltlich von der Mischung zwischen der Skurrilität des Settings und der Gruppe von Frauen aus dem Zivilleben, die es gezwungenermaßen in eine Welt soldatischer Männer verschlägt.

Der Film ist an vielen Stellen problematisch

Doch Soldinis Film hat eine ganze Reihe von Problemen, die von der filmischen Form über einige Irrwege, die auf die Vorlage zurückgehen, bis hin zu Fragen der Erinnerungskultur reichen. Wie so viele Filme mit einer narrativen Struktur, die sich in Wiederholungen entfaltet, steht auch Soldini bei „Die Vorkosterinnen“ vor dem Problem, die wiederkehrenden Busfahrten der Frauen zum Außenbereich von Hitlers Hauptquartier, die immer gleichen Tagesabläufe abwechslungsreich zu gestalten.

Und ganz gelingt es Soldini nicht, die Längen, die die narrative Struktur mit sich bringt, zu vermeiden. Dieses Problem wird noch verschärft dadurch, dass Rosella Postorino in ihrer Fiktionalisierung der Erinnerungen von Margot Woelk ein zweites wiederkehrendes Element hinzufügt: eine Affäre zwischen der Protagonistin Rosa Sauer und dem SS-Offizier Ziegler.

In der Fiktionalisierung erscheint das Individualschicksal als kollektive Erfahrung

In Woelks eigener Aussage wurde sie von einem örtlichen SS-Offizier vergewaltigt. Vom Roman zurück zu Woelks Erinnerungen zu gehen, hätte Soldini die Option eröffnet, die sexuelle Gewalt deutscher Soldaten während des Zweiten Weltkriegs zu thematisieren, die bis heute beharrlich beschwiegen wird.

Dass selbst der SS-Offizier in „Die Vorkosterinnen“ quasi nur von Dienst wegen Mörder ist, verstärkt die unangenehme Tendenz des Films, dass alle deutschen Zivilist_innen in dem Film immer schon irgendwie dagegen waren. Historisch trifft es auf Woelk durchaus zu, dass ihre Familie kritisch gegenüber dem Nationalsozialismus war.

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Die Vorkosterinnen der Trailer

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Margot Woelks Familie stand dem NS-Regime durchaus kritisch gegenüber

Sie selbst hatte sich geweigert, in den Bund Deutscher Mädel einzutreten, was ab 1936 formal verpflichtend war; ihr Vater hatte sich als Lehrer geweigert, in die NSDAP einzutreten. Doch in der doppelten Fiktionalisierung der Erlebnisse von Margot ­Woelk durch Roman und Film erscheint das Individualschicksal von Rosa Sauer – wie von Rosella Postorino für den Roman auch intendiert – als kollektive Erfahrung und konkret eben auch als kollektive Widerständigkeit.

Zumal gerade einmal eine einzige der Frauen in „Die Vorkosterinnen“ von der NS-Ideologie geprägt ist. Man kann das Ausmaß, in dem „Die Vorkosterinnen“ zeitweise in Richtung eines Klischees deutscher Erinnerungskultur kippt, nicht darstellen, ohne ein Detail des Endes zu verraten. Kurz vor Schluss versucht Rosa Sauer ihre jüdische Freundin und Kollegin zu retten, die den Namen Elfriede nur angenommen hatte, um zu überleben.

Ein Detail, wie es sich heute in so vielen frei erfundenen deutschen Familiengeschichten findet. Was macht man also aus einem Film wie Silvio Soldinis „Die Vorkosterinnen“? Spielfilme sind aus guten Gründen nicht verpflichtet, Realität akkurat abzubilden, und filmisch hat Soldini einen soliden Historienfilm gedreht. Das Ergebnis ist dank seiner Schauspieler_innen durchaus unterhaltsam und lässt sich trotz einiger Längen gut ansehen.

Die Vorkosterinnen

Regie: Silvio Soldini. Mit Elisa Schlott, Max Riemelt u. a. Italien/Belgien/Schweiz 2025, 123 Min.

Die Probleme entstehen, sobald man beginnt, den Film in Bezug zur historischen Wirklichkeit und der deutschen und teils auch der europäischen Erinnerungskultur zu setzen. Dann erweist sich der Film als unhaltbar.

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2 Kommentare

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  • Ausgezeichnet analysiert.

  • Im Titel so: "Der italienische Regisseur Silvio Soldini erzählt im Historienfilm „Die Vorkosterinnen“ ein unbekannteres NS-Kapitel. "



    Im Fließtext so: "Ob es so etwas wie Vorkosterinnen für Hitler gab, ist historisch eher zweifelhaft."

    OK