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Videoüberwachung auf WeihnachtsmärktenWer muss sich den Mist ansehen?

Nadine Conti
Kommentar von Nadine Conti

In Hannover wird der Weihnachtsmarkt videoüberwacht. Das finden Bürgerrechtsaktivisten unverhältnismäßig.

Videoüberwachung eines Weihnachtsmarktes – hier 2016 in Frankfurt am Main Foto: Arne Dedert/dpa

S eit Jahr und Tag führen die tapferen Kämpfer von freiheitsfoo einen einsamen Kampf gegen die Videoüberwachung im hannöverschen Straßenraum. Diese Woche muss mal wieder das Verwaltungsgericht eine Eilentscheidung treffen: Die Bürgerrechtsaktivisten finden die mobilen Kameras, die die Polizei rund um den Weihnachtsmarkt postiert hat, unzureichend beschildert und unverhältnismäßig – immerhin scheint es so, als hätte man damit in den vergangenen Jahren nicht mehr erwischt als ein paar Taschendiebe und Rangeleien.

Spannend wird jetzt, zu gucken, wer schneller ist: Das Verwaltungsgericht mit der Entscheidung im Eilantragsverfahren oder die Budenbetreiber beim Abbau. Der Weihnachtsmarkt geht nämlich nur noch bis Donnerstag.

Vom konkreten Anlass abgesehen ist der Kampf gegen die Videoüberwachung aber wohl eher einer dieser Sisyphos-Jobs für die Ewigkeit oder alle Jahre wieder. Egal wie viele Studien noch belegen, dass Kameras gar keine Kriminalität bekämpfen– zum Beispiel, weil Affekttaten einfach trotzdem passieren und „rationale“ Täter schlicht ausweichen: Sie bleiben das Lieblings-Placebo eines jeden Innenpolitikers. Unheilbar ist das Wunschdenken, dass es für alles doch eine möglichst einfache technische Lösung geben müsste. Und nichts verkündet so schön „Sieh her, ich unternehme ja was“ wie die Kamera auf irgendeinem Dach.

Angst im Land der XY-Gucker

Man könnte hier ja einmal versuchen, das Lieblingsargument der Polizei gegen Rassismus-Studien anzubringen: Generalverdacht gegen jeden Weihnachtsmarktbesucher! Unverschämtheit! Aber das zieht natürlich nicht. Weihnachtsmarktbesucher sind offenbar Leute, die am Anfang noch gar nicht wissen, dass sie nachher etwas zu verbergen haben werden. Und im Zweifel ist den meisten vielleicht auch informationelle Selbstbestimmung zu abstrakt und Privatsphäre nicht so viel wert. Jedenfalls, wenn man das gegen die Angst abwägt, zum Opfer einer Straftat zu werden. Und die ist in Deutschland, dem Land der Tatort- und Aktenzeichen-XY-Gucker, nun einmal groß. Das Ansehen der wackeren Kommissare auch.

Vielleicht sollten die Überwachungsbekämpfer die Strategie wechseln und versuchen, das Pferd andersrum aufzuzäumen. Kann man dem nicht arbeitsrechtlich beikommen? Welches arme Schwein muss sich den Mist denn ansehen? Das unbeholfene Paarungsverhalten, die zankenden Familien, die besoffenen Männer, die an Holzbuden pinkeln. Das ist ja wie Dschungelcamp, in noch schlechterer Bildqualität und ohne lustige Kommentare. Verstößt das denn gar nicht gegen irgendwas? Die deutsche Berufsbeamtenwürde? Und was ist mit der Verschwendung von Arbeitszeit, machen die nicht genug Überstunden? Wo sind diese Personalräte, Polizeigewerkschaften oder Steuerzahlervertreter, wenn man sie mal braucht?

Nach Auskunft von Freiheitsfoo machte die Polizeidirektion jedenfalls widersprüchliche Angaben dazu, ob diese Videoaufnahmen ständig live überwacht oder bloß anlassbezogen betrachtet werden. Das ist doch verdächtig. Die verbergen doch was. Am Ende guckt dieses Dschungelcamp gar keiner. Oder es nützt einfach nichts. Sonst hätte es doch längst eine Pressekonferenz zur Verkündung der grandiosen Erfolge gegeben.

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Nadine Conti
Niedersachsen-Korrespondentin der taz in Hannover seit 2020
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4 Kommentare

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  • Die potenziell sichtbar gemachten Straftaten werden gern verharmlost. Ist ja nur ein Taschendiebstahl. Was da an Belastung, und bei ärmeren Zeitgenossen an existenzieller Not dahinter steckt, wenn die Geldbörse verschwindet, das wird gern ausgeblendet.

  • "Welches arme Schwein muss sich den Mist denn ansehen?"



    Dafür gibt es doch inzwischen, statt wie bisher einen Beamten vor 50 Monitore zu setzen, Smart-Cams die jeden einzelnen Stream vollautomatisch und in Echtzeit auf verdächtiges Verhalten scannen und ggf. Alarm auslösen. Und der derzeit noch manuelle Schritt der Verhaftung zwischen Screening und KI-gestüzter Sozialprognose wird sicher auch noch automatisiert werden sobald Boston Dynamics Polizeihund-Roboter 'Spot' ein humanoides Pendant zur Seite gestellt hat.

  • Öhm....natürlich verhindern Kameras nicht die Taten. Die Abschreckung ist höchstens ein Nebeneffekt. Sie sorgen für Beweismaterial und das kann dann bei der Strafverfolgung eingesetzt werden. DAS ist der Sinn der Kameras. Und den erfüllen sie recht gut.



    Und natürlich sind wir alle und zu jeder Zeit potienzielle Täter. Dazu muss man kein Berufskrimineller sein. Einmal kurz nicht aufgepasst und ein Leben ist ausgelöscht oder ein Gegenstand beschädigt. Und nicht jeder tut dann immer das Richtige und meldet sich. Und selbst dann kann eine Aufnahme klären, was genau passiert ist.



    Mich kratzt es eher wenig, wenn da eine Kamera steht. Was immer da aufgezeichnet witd, sieht ohnehin nie jemand an, wenn nicht etwas passiert ist. Wenn damit ein Taschendieb geschnappt wird und einfährt und das Opfer ggf.das Diebesgut zurückerhält, ist das doch gut.



    Der Datenschutz, bzw. die Perversion davon steht uns leider bei vielem im Weg. Viele Daten, die vernichtet werden, können in 5, 10 Jahren vielleicht ein Leben retten oder einen Mörder überführen oder ... vieles mehr. Ich verschwende oft ganze Arbeitstage mit sinnfreien Anfragen von Menschen mit viel Tagesfreizeit, die sonderbare Dinge über ihre gespeicherten Daten wissen wollen. Dabei ist das nur Name und Geburtsdatum. Die sie freiwillig und nach Aufklärung gegeben haben.



    Datenschutz ist nicht unwichtig, aber man sollte sich nicht so wichtig nehmen. Niemand bei der Polizei interessiert sich für die Daten von Peter Müller...wenn er nichts ausgefressen hat.

    • @Hefra1957:

      Die logische Schlussfolgerung dieser Argumentation wäre die Bürger*innen konsequent gläsern werden zu lassen, macht ja schließlich nichts wenn die Daten auf irgendwelchen Servern liegen solange man "nichts ausgefressen" hat. Dennoch sollte man nicht übersehen, dass Datenbestände sich kaum wirklich absolut sicher halten lassen, schon gar nicht in einem System ubiquitärer Überwachung, dass entsprechend viele Angriffsflächen bietet und selbst Informationen über Dinge die de-jure legal sind, können in den falschen Händen durchaus geeignet sein Existenzen zu vernichten. Aber selbst wenn es gelingen sollte diese Daten dauerhaft allein staatlichen Stellen vorzubehalten lässt sich heute kaum vorhersagen welche Informationen zukünftig kritisch werden können und welche Konsequenzen heute unbedenkliche Infos haben können wenn doch mal ein Höcke das Kanzleramt oder ein Heinrich den Staat übernehmen sollte. Die Notwendigkeit von Datenschutz ist schließlich nicht zuletzt eine Lehre aus den historischen Erfahrungen mit GeStaPo und StaSi und wozu derartige Behörden mit cutting edge IT fähig wären mag man sich lieber nicht ausmalen.