Videokunst und Kino: Eine Chronologie des Gefühls

Die Ausstellung „Echte Gefühle: Denken im Film“ in Berlin erforscht, wie das Kino Gefühle generiert und wie die Videokunst darauf reagiert.

Sind unter Hass einsortiert: Liv Ullmann und Ingrid Bergmann in „Herbstsonate“. Bild: imago/united archives

Die junge Frau hat hellrote Haare, abstehende Ohren und eine kecke Lücke zwischen den Schneidezähnen. Manchmal streckt sie die Zunge weit aus dem Mund hinaus, manchmal spielen ihre Hände mit den Ohren, dann wieder dreht sie sich zur Seite, beugt den Oberkörper vor, lässt die Hände zu ihrem Po wandern und macht dort wedelnde Bewegungen.

Oder sie steht frontal zu ihrem Publikum, streckt die Arme nach vorne und lässt sie auf und ab fahren. Während sie diese Gesten ausführt, erzählt sie Witze, deren Eigenart darin besteht, keine Pointe zu haben. Sie lässt sie verebben, abbrechen oder in etwas münden, was zu obszön oder zu bitter ist, als dass es noch zum Lachen wäre. Anfangs lachen die Zuschauer auf den Rängen des Studios trotzdem, später steht ihnen der Schweiß auf der Stirn.

Die junge Frau ist die Hauptfigur in „Hilarious“, einem Video des israelischen Künstlers Roee Rosen. „Hilarious“ erfüllt das Format der Late Show auf viele Weisen – nur eben nicht in ihrem Kern, darin, dass Witze gemacht würden, die mit Sicherheit zum Lachen wären. Die junge Frau benutzt die Zeichenwelt der Fernseh-Comedy, aber die Zeichen, die bei Jon Stewart oder anderen tun, was man von ihnen erwartet, schweifen bei ihr ziellos umher.

Ein Beispiel ist die mit vielen Verzögerungen vorgetragene Geschichte von drei Menschen, die sich am 11. September 2001 im 95. Stockwerk des World Trade Centers befinden. Die drei, ein Jude aus Brooklyn, ein Wall-Street-Banker und eine schwangere Schwedin, ahnen, dass sie keine Chance haben. Plötzlich erscheint ein magischer Goldfisch vor der Fensterfront und verheißt jedem die Erfüllung eines letzten Wunsches. Der Brooklyner Jude wünscht sich gefilte Fisch, der Banker, dass er seine im Bau befindliche Villa auf Long Island in fertigem Zustand sieht, und die Schwedin wird wütend: „Was soll ich mir schon wünschen? Wir werden alle sterben.“ Die Zutaten für den Witz sind da, die Stereotype, die Details, die retardierenden Momente, aber der Zielpunkt, die Pointe, bleibt außer Reichweite.

„Hilarious“ ist Teil einer Ausstellung in den Berliner Kunstwerken, die einen spannungsreichen Titel trägt: „Echte Gefühle: Denken im Film“. Die Kuratoren Ellen Blumenstein, Franz Rodenkirchen und Daniel Tyradellis haben sich eine ehrgeizige Aufgabe gestellt. In einem ersten Schritt möchten sie herausfinden, wie das Kino Gefühle nicht nur abbildet, sondern generiert, indem es die Muster dafür liefert, wie wir fühlen bzw. wie wir glauben, dass wir fühlen wollen. In einem zweiten Schritt beobachten sie, wie Videokünstler auf die Gefühlsgenerierungen und auf die Erzähl- und Darstellungsweisen des Kinos reagieren (oder wie im Fall von „Hilarious“ auf die des Fernsehens).

Konkret sieht das so aus: Im zentralen Raum, dem Saal im Erdgeschoss der Kunstwerke, laufen auf einigen Leinwänden und vielen Monitoren über 70 Ausschnitte aus Spielfilmen. Das Spektrum reicht von „Rosetta“ von den Brüdern Dardenne (1999) über David Wnendts „Kriegerin“ (2011) bis zu „Titanic“ von James Cameron (1997). Zugeordnet sind die Ausschnitte jeweils einem Gefühl: Liebe, Hass, Scham, Verachtung, Langeweile etcetera. In den umliegenden kleinen Räumen und in den darüber liegenden Etagen zeigen Künstler Videoarbeiten. Eine wesentliche These der Kuratoren ist, dass Filme, je näher sie dem Mainstream kommen, auf umso konventionellere Weise mit Gefühlen umgehen, während das experimentelle Kino und die Videokunst die Chance bergen, Gefühle auf ungewohnte Weise zu artikulieren und so zum Nachdenken anregen. Daher rührt das spannungsreiche Verhältnis von Gedanke und Gefühl im Titel der Schau.

Kein guter Schnitt

Doch die Gleichung Mainstream = Konvention, Videokunst = Reflexion stößt umso rascher an Grenzen, je widerborstiger sich das Material aufführt. Der britische Künstler Mark Wallinger etwa präsentiert in seinem Video „Via Dolorosa“ einen 18-minütigen Ausschnitt aus „Jesus von Nazareth“, einem Film von Franco Zeffirelli, indem er ein schwarzes Rechteck über fast den gesamten Screen spannt. Ohne Weiteres wird man anhand der schmalen Streifen des bewegten Bilds am Rand erkennen, um was für einen Film es sich handelt.

Man sieht die Streben des Kreuzes und den charakteristischen römischen Kammhelm, einen Teil der nackten Brust des Mannes am Kreuz, und den Rest kann man sich denken. Nur: Wie erwächst daraus Reflexion? „Via Dolorosa“ erschöpft sich in einem einzigen Gedanken, nämlich darin, dass man die Passionsgeschichte vor dem inneren Auge rekonstruieren kann, selbst wenn die Leinwand zu großen Teilen schwarz ist. Für 18 Minuten und 8 Sekunden Laufzeit ist das kein guter Schnitt.

Vergleicht man dies mit der Unruhe, die Tobe Hoopers Horrorfilm „The Texas Chainsaw Massacre“ – die Schlusssequenz wird in den Kunstwerken recht willkürlich unter dem Begriff „Freude“ gezeigt – noch 40 Jahre nach seinem Entstehen hervorruft, beginnt man zu ahnen, welche dialektischen Kräfte im Kino stecken. Gerade da, wo sich der Genrefilm an viele Erzählkonventionen hält, kann er andere Konventionen außer Kraft setzen. Im Fall von Hoopers Film ist das mindestens die der souveränen Betrachterposition.

Was zudem auffällt, ist ein latenter Verdacht gegen das Kino. Zu sehr wird es von den Kuratoren darauf reduziert, dass es Ideologeme schafft. Die zu brechen, ist dann der hehre Auftrag an die Videokünstler. Eine fragwürdige Arbeitsteilung, die dadurch, dass man den Spielfilm „Jeanne Dielman, 23 Quai du Commerce, 1030 Bruxelles“ (1975) räumlich der Abteilung Videokunst zuschlägt, nicht stimmiger wird. So wie Chantal Akermans Film in den Kunstwerken präsentiert wird, in einer nicht vollständig abgedunkelten Ecke, mit schlechter Tonqualität, wird ihn sich niemand der Ausstellungsbesucher von Anfang bis Ende ansehen.

Die 200 Minuten dieses Films benötigen und verdienen den Kinoraum, nur er ermöglicht die Konzentration, die es braucht, um sich auf die bewusst spröde und zäh gehaltene Geschichte der bürgerlichen Frau, die sich prostituiert, einzulassen. Als Projektion im Ausstellungsraum präsentiert, wird „Jeanne Dielman“ eher unsichtbar denn sichtbar gemacht.

Wertschätzung statt Distanz

Produktiv wird „Echte Gefühle: Denken im Film“, sobald die Videokunst nicht klüger als das Kino sein will. Etwa in der schönen Arbeit „No Man is an Island“ (2002) des dänischen Künstlers Jesper Just. Ein älterer Mann in Steppschuhen tanzt zu einer perlenden 50er-Jahre-Klavier-Glücksmelodie – „La più bella del mondo“ von Walter Baracchi – auf einem öffentlichen Platz. Ein jüngerer Mann schaut ihm dabei zu und ist ergriffen, allmählich gesellen sich Schaulustige, vor allem Kinder, hinzu, manche von ihnen greifen die Bewegungen auf und tanzen für eine Weile ihren eigenen Tanz. „No Man is an Island“ verguckt sich in einen Wiedergänger Fred Astaires, das Video führt damit ein Stück klassisches Hollywoodkino fort, und ihm ist dabei Wertschätzung anzumerken, nicht das Bemühen um Distanz.

„Echte Gefühle: Denken im Film“. Bis 27. April 2014, KW Institute for Contemporary Art, Berlin

Die Filmausschnitte im Erdgeschoss legen ohnehin nahe, dass das Kino selbst die Gabe besitzt, über Gefühle und deren Generierung zu reflektieren. Eine unter „Hass“ eingeordnete Szene aus Ingmar Bergmans „Herbstsonate“ (1978) ist in diesem Zusammenhang aufschlussreich. Die Figuren von Ingrid Bergman und Liv Ullmann gehen auf den ersten Blick liebevoll miteinander um, unterschwellig aber ist große Animosität zwischen Mutter (Bergman) und Tochter (Ullmann) zu spüren. Das alleine genügt, um zu veranschaulichen, wie reich an Gefühlsnuancen, an Widersprüchen und Undurchdringlichkeiten Filme sein können. Nachdem die Tochter ein Klavierstück von Chopin gespielt hat, lobt die Mutter das Spiel zunächst, dann aber beginnt sie, Kritik zu äußern, und legt dabei viel Wert darauf, den Unterschied zwischen sentimental und emotional zu erklären.

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