Verteilung von Lebensmitteln: Alle wollen altes Essen
Neben den Tafeln gibt es auch Initiativen und Start-ups, die Essen verteilen. Sie konkurrieren nicht unbedingt um Lebensmittel, aber um Personal.
Die Tafeln bekommen heute zwar nicht weniger Lebensmittel von Supermärkten und vom Großhandel als früher, die Zahl der Bedürftigen stieg in den letzten Jahren allerdings um 18 Prozent an. Aktuell beziehen 1,5 Millionen Menschen Essen von der Tafel. Der Tafel-Bundesverband stellte 2016 in einer Umfrage fest, dass über die Hälfte der Ausgabestellen zu wenig Waren erhielten, um diesen Bedarf zu decken. Die Folge: kleinere Abgabemengen pro Person, Wartelisten und eben Aufnahmestopps – und damit Potenzial für Konflikte unter den Bedürftigen.
Gleichzeitig entstehen neben den Tafeln neue Projekte, die alte Lebensmittel einsammeln und verteilen. Sind diese Projekte auch neue Konkurrenten um das knappe Angebot?
Bei der 2012 entstandenen Internetplattform Foodsharing.de steht der ökologische Aspekt im Mittelpunkt. Einzelne Personen holen kleinere Mengen an Lebensmitteln beim Handel ab und bringen sie dann an öffentliche Verteilpunkte – frei für alle zugänglich, nicht nur für Arme.
Kooperation mit den Tafeln
Nach eigenen Angaben vernetzt die unkommerzielle Plattform, die von Ehrenamtlichen betrieben wird, bundesweit schon 35.000 Freiwillige, die gezielt kleine Läden mit geringen Abgabemengen ansteuern. Dabei soll es jedoch nicht zur Konkurrenz mit den Tafeln kommen. Seit 2015 besteht deshalb eine offizielle Kooperation: Die Tafeln holen regelmäßig große Ladungen nicht verkaufter Lebensmittel ab, während die sogenannten Foodsaver von Foodsharing.de spontan Kleinstmengen einsammeln. „Eine super Ergänzung“, findet Sabine Werth von der Berliner Tafel.
Neben den Foodsavern haben inzwischen auch kommerzielle Unternehmen den Markt der Lebensmittelrettung entdeckt. Apps wie „ResQ“ oder „Too Good To Go“ geben Restaurants die Möglichkeit, ihre letzten Mittagstische billiger an User in der Umgebung abzugeben. „The Good Food“ verkauft in Köln Lebensmittel, die es gar nicht erst in die Läden geschafft haben, weil sie für den Handel nicht schön genug waren. Und in Berlin betreibt „SirPlus“ seit 2017 einen eigenen Laden, in dem krumme Gurken und krosses Brot verkauft werden. Wie beim Foodsharing ist auch hier die Kundschaft nicht auf arme Menschen beschränkt.
Was SirPlus besonders macht: Das Berliner Start-up kauft die Lebensmittel vorher für einen geringen Betrag auf. Die Waren kommen direkt aus dem Handel – und damit von Unternehmen, die ihre Waren bislang allein an die Tafeln spendeten. Speziell bei der Berliner Tafel stellt sich deshalb die Frage, ob SirPlus bei der Abholung eine Konkurrenz darstellt.
Vorrang für Tafeln
Große Handelsunternehmen beteuern, an ihrer Kooperation mit den Tafeln festzuhalten. Diese stünden weiter „an erster Stelle“, heißt es von Rewe. Ein Sprecher der Metro AG sagt: „Die Tafeln haben auch künftig stets Vorrang. SirPlus erhält lediglich aussortierte Waren.“ Auch Raphael Fellmer, Geschäftsführer und Mitgründer von SirPlus, ist überzeugt, dass man sich keine Konkurrenz mache. „Die Verschwendung an weggeworfenen Lebensmitteln ist leider immer noch riesig“, so der 34-Jährige.
Tatsächlich kann sein Unternehmen auf Waren zurückgreifen, die für die Tafeln gar nicht in Frage kommen. So können die Tafeln beispielsweise keine Getränke in Pfandflaschen mitnehmen oder unbegrenzt viele Orte anfahren. SirPlus dagegen holt die Lebensmittel von vielen verschiedenen Quellen ab. Backwaren kommen vom Großhandel, Obst und Gemüse von den unterschiedlichen Ständen des Berliner Großmarkts und andere Sachen direkt vom Produzenten.
Viel eher als bei den Lebensmittel könnte es dagegen beim Personal Konkurrenz geben. Denn auch hier stehen die Tafeln unter Druck. „Wir suchen händeringend nach Freiwilligen“, sagt die Sprecherin des Tafel-Verbands, Stefanie Bresgott. Dieser Mangel könnte theoretisch aufgefangen werden, denn in Deutschland tragen inzwischen viele Tausend Menschen zur Lebensmittelrettung bei. Doch über Neuzugänge können sich fast nur die jungen Initiativen wie Foodsharing.de freuen.
Rentner in der Suppenküche
Bei den Ausgabestellen der Tafeln hingegen ist der Altersdurchschnitt sehr hoch, es engagieren sich überwiegend Rentnerinnen und Rentner, die der körperlichen Belastung zum Teil nicht mehr gewachsen sind. Gerade jüngere Neuzugänge wären nötig, um das das Image der Tafeln zu verbessern. „In der Öffentlichkeit herrscht sehr oft das Bild der Suppenküchen vor“, ergänzt der Vorsitzende der Leipziger Tafel, Werner Wehmer.
Initiativen wie Foodsharing und Unternehmen wie SirPlus arbeiten derweil viel am Image – die Twitteraccounts sind hip, ansprechend und voll mit Fotos der letzten Sammelaktion. „Lebensmittelretten soll Mainstream werden“ sagt SirPlus-Geschäftsführer Fellmer. Das gehe aber nicht auf Freiwilligenbasis, sondern nur professionell.
Beim kleinen Berliner Laden soll es deshalb nicht bleiben. Inzwischen gibt es einen Onlineshop, zusätzlich plant SirPlus ein Filialnetz. Nicht verkaufte Lebensmittel will das Unternehmen von einer Stadt zur anderen transportieren, um sie dann dort zu verkaufen.
„Das ist Gigantomanie“, findet Sabine Werth von der Berliner Tafel. Im Hinblick auf die langen Transportwege hat sie zudem erhebliche „ökologische Zweifel“ an dieser Art des Lebensmittelrettens.
Die Diskussion zeigt, dass es im Kampf gegen die Verschwendung von Lebensmitteln viele Ansätze gibt. Dabei besteht die Gefahr, dass soziale gegen ökologische Forderungen gegeneinander ausgespielt werden. Die Wohlfahrtsverbände kritisieren schon lange, dass die Bürgerinnen und Bürger hier Aufgaben übernehmen, die der Staat vernachlässigt – auch in Sachen Lebensmittelrettung. Für David Jans von Foodsharing bedeutet dies: „Unser Ziel ist es, uns überflüssig zu machen.“
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