Verteilung der Ministerien: Personalia zur rechten Zeit
Unter dem Drang zur Exklusiv-Nachricht gelangten unbestätigte Kabinettslisten in soziale Medien und Zeitungen. Eine doppelt bedenkliche Entwicklung.

V iel ist von der kommenden schwarz-roten Regierung nicht zu erwarten. Aber immerhin: Sollte sie Anfang Mai tatsächlich im Amt sein, haben zumindest die Personalspekulationen ein Ende. Schon lange, bevor überhaupt der Koalitionsvertrag stand, kursierten im politischen Berlin ganze Kabinettslisten der werdenden Regierungen.
Aus Chatgruppen fanden sie ihren Weg auf Social-Media-Accounts von Hauptstadt-Journalist*innen und sogar in manche redaktionelle Beiträge. Unter dem Drang zur Exklusiv-Nachricht haben sich die simpelsten Plausibilitäts-Checks (Sind die Namen richtig geschrieben? Kann die Ressortaufteilung wirklich schon feststehen?) erübrigt.
Eine doppelt bedenkliche Entwicklung. Schräg, das überhaupt aufschreiben zu müssen: Es widerspricht erstens journalistischen Standards, derartige Informationen zu veröffentlichen, wenn die Quellenlage nicht gesichert ist. Es beschädigt das Vertrauen in den Journalismus, wenn sich ganze Kabinettslisten im Nachhinein erwartbar als falsch herausstellen.

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Zweitens zeugt es von einem bedenklichen Politikverständnis, wenn die Verteilung von Posten die Analyse der Inhalte überstrahlt, die die Spitzen von Union und SPD in dieser Woche festgezurrt haben. Welche Auswirkungen wird es haben, wenn die Ausgaben in der Entwicklungszusammenarbeit erheblich gekürzt werden? Haben die Steuererleichterungen für Unternehmen tatsächlich den behaupteten Effekt, und wer wird unter dem Strich profitieren? Wer sind die Menschen, die außen vor bleiben, wenn in der Fluchtpolitik tatsächlich alle humanitären Aufnahmeprogramme eingestellt werden? Es gibt etliche solcher Fragen, mit denen sich in diesen Tagen zig Titelseiten bespielen lassen könnten.
Natürlich haben auch Personalfragen eine inhaltliche Bedeutung. Es macht einen relevanten Unterschied, dass die CSU nicht den nächsten Heiopei ins Verkehrsministerium schicken darf – dafür aber den nächsten Hardliner ins Innenministerium entsenden könnte. Die Namen sind ein Thema. Aber alles zu seiner Zeit: Handfeste Indizien sollte man schon haben.
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