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Verteilung der MinisterienPersonalia zur rechten Zeit

Tobias Schulze
Kommentar von Tobias Schulze

Unter dem Drang zur Exklusiv-Nachricht gelangten unbestätigte Kabinettslisten in soziale Medien und Zeitungen. Eine doppelt bedenkliche Entwicklung.

Die Parteivorsitzenden von Union und SPD zur Pressekonferenz im Paul-Löbe-Haus Foto: Sebastian Christoph Gollnow/dpa

V iel ist von der kommenden schwarz-roten Regierung nicht zu erwarten. Aber immerhin: Sollte sie Anfang Mai tatsächlich im Amt sein, haben zumindest die Personalspekulationen ein Ende. Schon lange, bevor überhaupt der Koalitionsvertrag stand, kursierten im politischen Berlin ganze Kabinettslisten der werdenden Regierungen.

Aus Chatgruppen fanden sie ihren Weg auf Social-Media-Accounts von Hauptstadt-Journalist*innen und sogar in manche redaktionelle Beiträge. Unter dem Drang zur Exklusiv-Nachricht haben sich die simpelsten Plausibilitäts-Checks (Sind die Namen richtig geschrieben? Kann die Ressort­aufteilung wirklich schon feststehen?) erübrigt.

Eine doppelt bedenkliche Entwicklung. Schräg, das überhaupt aufschreiben zu müssen: Es widerspricht erstens journalistischen Standards, derartige Informationen zu veröffentlichen, wenn die Quellenlage nicht gesichert ist. Es beschädigt das Vertrauen in den Journalismus, wenn sich ganze Kabinettslisten im Nachhinein erwartbar als falsch herausstellen.

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Zweitens zeugt es von einem bedenklichen Politikverständnis, wenn die Verteilung von Posten die Analyse der Inhalte überstrahlt, die die Spitzen von Union und SPD in dieser Woche festgezurrt haben. Welche Auswirkungen wird es haben, wenn die Ausgaben in der Entwicklungszusammenarbeit erheblich gekürzt werden? Haben die Steuererleichterungen für Unternehmen tatsächlich den behaupteten Effekt, und wer wird unter dem Strich profitieren? Wer sind die Menschen, die außen vor bleiben, wenn in der Fluchtpolitik tatsächlich alle humanitären Aufnahmeprogramme eingestellt werden? Es gibt etliche solcher Fragen, mit denen sich in diesen Tagen zig Titelseiten bespielen lassen könnten.

Natürlich haben auch Personalfragen eine inhaltliche Bedeutung. Es macht einen relevanten Unterschied, dass die CSU nicht den nächsten Heiopei ins Verkehrsministerium schicken darf – dafür aber den nächsten Hardliner ins Innenministerium entsenden könnte. Die Namen sind ein Thema. Aber alles zu seiner Zeit: Handfeste Indizien sollte man schon haben.

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Tobias Schulze
Parlamentskorrespondent
Geboren 1988, arbeitet seit 2013 für die taz. Schreibt als Parlamentskorrespondent unter anderem über die Grünen, deutsche Außenpolitik und militärische Themen. Leitete zuvor das Inlandsressort.
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5 Kommentare

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  • "Es widerspricht journalistischen Standards" ist ja heute eher die Regel als die Ausnahme, auch bei "Qualitätsmedien". Es sei denn, es gibt auch hier inzwischen "unsere" journalistischen Standards, so wie es hierzulande inzwischen "unsere" Demokratie gibt.

    "Viel ist von der kommenden schwarz-roten Regierung nicht zu erwarten." Vor diesem Hintergrund ist es ohnehin belanglos, ob wir ein paar Tage früher oder später wissen, wer in dieser Regierung sitzen wird.

  • Das deutsche Mittelmaß ist doch das, worin sich die Majorität gerne spiegelt: ob aus falscher Bescheidenheit, aus Gründen der Erhebung oder aus Naturell. Damit gewinnt man Wahlen, aber weder Herzen noch wirtschaftlichen Vorsprung.

  • "Zweitens zeugt es von einem bedenklichen Politikverständnis, wenn die Verteilung von Posten die Analyse der Inhalte überstrahlt ..."



    'F'alsch! Das ist leider der wahre Kern des Berliner Politikbetriebs. Es geht NUR um Posten und persönliche Vorteile.



    Der allerbeste Beleg dafür sind Merz und seine Kumpel selbst: Sie waren für ihren persönlichen Vorteil (Kanzler, Minister, Abgeordnete) bereit, die von ihnen selbst als notwendig erkannte Finanzierung des Staatshaushaltes so lange zu blockieren, bis die Regierung darüber gestürzt ist und die Karten - zu ihren Gunsten - in Neuwahlen neu gemischt werden konnten und im Wahlkampf waren sie zu ihrem persönlichen Vorteil sogar bereit, große Teile der Gesellschaft mit mehr oder weniger erfundenen, übertriebenen, falsch eingeordneten Fakten aufzuhetzen, um die eigenen Chancen zu erhöhen.



    Auf der anderen Seite muss man auch Verständnis für sie haben. Als Insider wissen sie, dass sich ohnehin nicht wirklich Entscheidendes im Kapitalismus durch ein paar Stimmen im Bundestag oder Entscheidungen am Kabinettstisch ändern lässt. Da macht man gern den Kasper und lässt sich dafür fürstlich entlohnen.

  • Es waren doch die CDU/CSU-Abgeordneten selbst, die noch vor der offiziellen Pressekonferenz zum Koalitionsvertrag fertige Namenslisten mit Ressortverteilungen in ihren mehr oder weniger öffentlichen Gruppen gepostet haben - inklusive der Namen der SPD-Minister. Sie sind es doch, die glauben, schneller sein zu müssen als die politische Konkurrenz.



    Und da kann ich schon verstehen, dass Journalisten das als bare Münze nehmen; schließlich stammen die gleichlautenden Namenslisten von mehreren / vielen Fraktionsmitgliedern, die wissen sollten, was sie schreiben.

    • @Tiene Wiecherts:

      Vermutlich der Grund, weshalb die Ampel den Medien so verhaßt war, bis die Bevölkerung den Unsinn glaubte: Die Union nicht mehr beteiligt, plötzlich war es Essig mit den traditionellen Durchstechereien. Dabei wäre es doch so bequem gewesen, das Kabinettsprotokoll weiter von Springer führen zu lassen ...