Verteidigung Israels: Keine Blaupause für die Ukraine
Der Krieg in der Ukraine stockt. Eine gemeinsame Militäraktion der Verbündeten wie im Fall des jüdischen Staates ist unwahrscheinlich.
Schlagartig verdrängt wurde derweil ein anderer Krieg. Im dritten Jahr der russischen Invasion in der Ukraine ist ein Ende des blutigen Konflikts nicht in Sicht. Bedrohlicher noch: Die russische Armee verzeichnet zunehmend Geländegewinne, plant offenbar neue Fronten in der Ostukraine und dringt in den Westen vor. Während nach Beginn des Krieges die internationale Solidarität innerhalb von Tagen auf ein Höchstlevel stieg, fürchtet Präsident Wolodymyr Selenskyi nun, Unterstützung zu verlieren.
Die nicht nur in Deutschland, sondern weltweit viel gerühmte Zeitenwende bescherte der Ukraine über Monate hinweg Geld und jede Menge Waffen. Doch der von US-Präsident Joe Biden geprägte Satz „as long as it takes“ (solange es dauert) scheint nur noch in Teilen zu gelten.
Dieser Krieg dauert. Er kostet. Die Solidarität bröckelt. Stattdessen wird diskutiert, ob der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine nicht „eingefroren“ werden könnte. Der verhaspelte Vorstoß des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, doch auch einen Einsatz von Nato-Truppen oder einzelnen nationalen Armeen in der Ukraine nicht auszuschließen – so vage blieben seine Aussagen –, verschwand alsbald wieder in der politischen Schublade der Möglichkeiten.
Warum bekommt die Ukraine nicht den selben Beistand?
Kriegsmüdigkeit macht sich breit, und damit der stille Wunsch nach einem baldigen Ende dieses Problems mitten in Europa. Ungläubig bis verzweifelt waren die Reaktionen in der Ukraine daher nach der Abwehr iranischer Drohnenangriffe auf israelisches Territorium. Offenbar war und ist es doch möglich, sich mit vereinten internationalen Kräften militärisch gegen einen Aggressor zu verteidigen. Warum lässt sich also diese äußerst effektive Luftabwehr nicht auch über der Ukraine umsetzen? Bereits seit Kriegsbeginn trommeln ukrainische Vertreter:innen genau dafür.
Und so forderte auch Selenskyi nur wenige Stunden nach dem militärischen Erfolg Israels und seiner Verbündeten denselben Schutzschild für sein Land. Sein Außenminister Dmytro Kuleba schlug in dieselbe Kerbe – und wiederholte dieses Mantra bei den politischen Terminen der vergangenen Woche, etwa beim Treffen der G7-Außenminister:innen auf der italienischen Insel Capri, und beim Nato-Ukraine-Rat.
Die westlichen Verbündeten bemühten sich zügig, einen direkten Vergleich zwischen dem Krieg im Nahen Osten und dem Angriffskrieg Russlands in der Ukraine abzuschmettern. „Ein anderer Konflikt, ein anderer Luftraum, eine andere Bedrohungslage“, kommentierte John Kirby, der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats der USA. David Cameron, Großbritanniens Außenminister, wies darauf hin, dass der Abschuss russischer Drohnen mit britischen Kampfjets zu einer „gefährlichen Eskalation“ führen dürfte. Letzteres Argument ist der Ukraine nur allzu bekannt. Seit Beginn der Invasion wird vor einer solchen Eskalation gewarnt, wenn sich Nato-Partner einschalten und somit zur „Kriegspartei“ werden könnten.
Doch es gibt mehr Gründe, die ein Vorgehen wie in Israel in Bezug auf die Ukraine unmöglich machen. Die Ukraine grenzt unmittelbar an Russland, es gibt also kein „Pufferland“ dazwischen, anders als zwischen Iran und Israel. Im Irak konnten US-amerikanische Systeme vorab Raketen abfangen. Hinzu kommt, dass Israel über wirksame Abwehrsysteme verfügt. Diese Grundausstattung ist in der Ukraine nicht gegeben.
Es braucht Bodengerät und Soldat:innen
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Neben gezielten Luftschlägen und Drohnenattacken auf Energieversorgung und Infrastruktur ist Russland zudem in den vergangenen Wochen dazu übergegangen, verstärkt Gleitbomben einzusetzen. Es handelt sich dabei um sogenannte „dumme“ Bomben, die mit Flügeln aufgerüstet werden, und so unter dem Radar ihre Ziele erreichen können.
Strategisch müssten Luftabwehrsysteme dauerhaft zum Einsatz kommen, um die Kampfjets abzuschießen, die die Gleitbomben abwerfen. Neben Raketen und Drohnen spielt der Häuserkampf eine wichtige Rolle im ukrainisch-russischen Krieg. Um dabei die Oberhand zu gewinnen, braucht es Bodengerät und Soldat:innen.
Für die Ukraine wird es daher wohl bei der Hoffnung auf eine gemeinsame militärische Initiative der Verbündeten bleiben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“