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Vertagte EU-Waldschutz-Verordnung„Nun wird weiter abgeholzt“

Die grüne EU-Abgeordnete Anna Cavazzini warnt vor großen Rissen in der Brüsseler Brandmauer. Das sei fürs Klima und die Biodiversität ein Desaster.

In Argentinien wird für die Rindfleisch-produktion viel Wald gerodet. Die EU wollte das mal ändern Foto: Rodrigo Abd/ap/dpa
Eric Bonse

Interview von

Eric Bonse

taz: Die EU-Kommission schwächt immer mehr Gesetze aus dem Green Deal auf, das Europaparlament macht mit – e rst war es das europäische Lieferketten-Gesetz, nun ist es die Verordnung zum Schutz der Wälder. Sie sollte verhindern, dass etwa für Rindfleisch oder Kaffee Wälder gerodet werden. Doch nun wurde sie entschärft – und verschoben. Erleben wir einen Rechtsruck in der EU?

Anna Cavazzini: Ja, der Rechtsruck ist spürbar. Die EVP (die konservative Europäische Volkspartei, größte Fraktion im Parlament, geleitet vom CSU-Politiker Manfred Weber, die Red.) hat zwei mögliche Mehrheiten: einmal mit den proeuropäischen Fraktionen und dann mit den extrem Rechten. Die zweite Option sollte eigentlich tabu sein, die EVP nutzt sie aber mehr und mehr, um den Abbau des Green Deal durchzudrücken. Das ist politisch falsch und trägt nicht dazu bei, das Europaparlament handlungsfähig zu machen, im Gegenteil.

taz: Was bedeutet das für den Klimaschutz und die Wirtschaft?

Cavazzini: Viele Unternehmen haben sich auf das Entwaldungs-Gesetz vorbereitet, jetzt ist es wieder in der Schwebe. Ich war mit dem Binnenmarktausschuss in Vietnam und habe mich dort auch mit Kaffeebauern getroffen. Die haben gesagt: Wir haben hier investiert und uns an das EU-Gesetz angepasst, und jetzt verstehen wir nicht mehr, was ihr da macht. Das schafft Unsicherheit. Klimapolitisch und für die Biodiversität ist es ein Desaster. Die EU ist für 10 Prozent der globalen Entwaldung verantwortlich. Und nun wird weiter abgeholzt.

Im Interview: Anna Cavazzini

sitzt seit 2019 für die Grünen im Europaparlament. Dort ist die Politikwissenschaftlerin Vorsitzende des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz.

taz: CDU/CSU und andere Konservative haben die Vertagung gemeinsam mit den Rechten und Rechtsradikalen durchgesetzt, darunter auch einigen von der AfD. Ist die Brandmauer in Brüssel endgültig tot?

Cavazzini: Die Brandmauer hat unglaublich große Risse bekommen. Ich verstehe die Strategie der EVP dahinter nicht. Sie braucht die demokratischen Parteien inklusive uns Grüne für die großen Fragen wie den EU-Haushalt. Sie gibt den Europafeinden damit Macht und Sichtbarkeit.

taz: Zur Begründung wird der Bürokratieabbau angeführt.

Cavazzini: Das ist doch Symbolpolitik. Es gibt keine Belege dafür, dass es der Wirtschaft besser geht, wenn wir EU-Gesetze zurücknehmen oder aufschieben, die in Teilen noch nicht einmal in Kraft sind. Kanzler Friedrich Merz und die EVP werfen Nebelkerzen, um von ihren Problemen abzulenken.

taz: Waren die Gesetze nur schlecht gemacht und zu bürokratisch? Beim Entwaldungsgesetz fehlt angeblich die IT-Plattform.

Cavazzini: Die EU-Kommission hat es vergeigt. Sie hat keine einsatzfähige IT-Plattform aufgebaut. Dabei wäre das ihre im Gesetz festgelegte Aufgabe gewesen. Auch viele andere Projekte im sogenannten Omnibus sind schlecht gemacht. Das hat ja gerade auch die Europäische Bürgerbeauftragte festgestellt. Sie wirft der EU-Kommission Missmanagement vor, weil die Standards im EU-Gesetzgebungsverfahren, wie Folgeabschätzungen, nicht mehr beachtet werden. Viele Vorschläge sind mit heißer Nadel gestrickt, manche laufen auf eine komplette Deregulierung hinaus.

taz: Spüren Sie den langen Arm von US-Präsident Trump oder von Kanzler Merz?

Cavazzini: Ja, der Druck von Trump wirkt massiv in Brüssel. Das haben wir schwarz auf weiß. Die Kommission hat im Handelsabkommen mit Trump zugesagt, dass europäische Gesetze aufgeweicht werden. Trumps Einfluss spürt man nicht nur beim Lieferkettengesetz, sondern auch beim KI-Gesetz und vielen anderen Regulierungen. Dies ist ein noch nie dagewesener Vorgang, dass wir Handelspartnern so viel Einfluss einräumen. Das ist besorgniserregend. Die EU darf sich nicht erpressen lassen! Was Merz angeht: Man merkt, dass die Grünen nicht mehr an der Regierung sind. Man spürt die Achse Merz-Weber-Metsola (Parlamentspräsidentin Roberta Metsola, die Red.), die dann auf von der Leyen einwirkt. Das ist eine krasse EVP-Connection, die zum Abbau der Gesetze führt.

taz: Werden Sie Ursula von der Leyen und ihrer politischen Plattform, in der die Konservativen den Ton angeben, die Unterstützung entziehen?

Cavazzini: Von der Leyen spielt in diesem Drama noch die beste Rolle. Sie versucht, zu retten, was zu retten ist, teilweise auch gegen ihre eigene Fraktion. Deshalb sollte sie nicht das erste Ziel sein, da würden mir ganz andere einfallen. Aber klar: Wir müssen schon überlegen, wo unsere Hebel sind, und wo die Grenzen.

taz: Von der Leyen ist die Getriebene?

Cavazzini: Sie sucht noch am meisten die Mehrheit in der Mitte. Allerdings gibt sie viel zu oft nach und macht zu viele politische und handwerkliche Fehler.

taz: Wie geht es weiter?

Cavazzini: Die Kommission muss den ganzen Ansatz der Deregulierung überdenken. So wie bisher kann es nicht weitergehen. Die Omnibusse und die Art, wie sie durchgedrückt werden, sind des Europaparlaments und seiner gesetzgeberischen Arbeit nicht würdig. Wir überlegen daher, das gerichtlich überprüfen zu lassen.

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