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Verstorbene Sängerin Françoise CactusKakteen und Kerzen vor der Haustür

Brezel Göring moderiert die letzte Radiosendung seiner verstorbenen Frau Françoise Cactus. Es wird geheult und gelacht.

Francoise Cactus am 14.09.2015 in Berlin auf der Party nach der Verleihung der First Steps Awards Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Jens Kalaene

Berlin taz | Er macht es wirklich. Der Mann mit der schiefsten Stimme der Welt singt ein Lied für sie. Für seine Frau Françoise Cactus. „Schade, dass du weg bist, ich hätt dir gerne noch öfter zugehört“, singt Brezel Göring, ganz wacklig, sehr zart. „Die Straßen sind immer noch dieselben, aber der Rest ist ziemlich ramponiert.“ Mensch, Brezel. Es ist wirklich herzzerreißend.

Sechs Tage ist es her, dass Françoise Cactus, die Sängerin der Berliner Band Stereo Total, im Alter von nur 57 Jahren an der fiesen, miesen Krankheit Krebs gestorben ist. Die Stimme der anderen Hälfte von Stereo Total, der von Brezel, ist brüchig, noch brüchiger als sonst. Er moderiert die letzte Sendung von Françoise Cactus auf Radioeins, „diesmal leider ohne Françoise Cactus“, wie er öfter wiederholt. „Wir werden viel weinen müssen“, sagt er ganz am Anfang. „Aber auch lachen.“

Natürlich weiß keiner, der Stereo Total auch nur ein einziges Mal auf der Bühne erlebt hat, wie es ohne diese großartige Band, diese großartige lässige Sängerin und Schlagzeugerin mit dem liebenswerten Akzent und dem alles überstrahlenden Selbstbewusstsein – die übrigens auch mal in der taz gejobbt hat –, weitergehen soll.

1985 kam sie nach Berlin, hatte erst mal eine Punkband und gründete 1993 mit ihrem Lebensgefährten Brezel Göring Stereo Total. Alle Leser*innen, an denen die größten Hits der Band wie „Liebe zu dritt“ oder „Schön von hinten“ bis heute vorbeigegangen sind, sei Nachsitzen angeraten, dafür ist es nicht einmal jetzt zu spät, verdammt.

Auf den Kopf gestellte Genderklischees

Aber Brezel Göring hat nicht zu viel versprochen. Bei seiner Sendung wird nicht nur geflucht und geheult, von Bestatterinnen und Totengräberinnen berichtet, sondern auch gekichert. Françoise war viel zu lustig, um das auszulassen. Einer der Höhepunkte in dieser Beziehung ist die kleine Geschichte, in der Brezel von den Psychoanalyse­sitzungen erzählt, die sie gemeinsam spielten. „Als ich auch mal der Patient sein wollte, wurde es uninteressant“, sagt Brezel noch kurz vorneweg.

Und präsentiert dann einen Mitschnitt. Françoise berichtet darin vom kleinen Dorf im Burgund, in dem sie aufgewachsen ist – und wo sie mit ihren Kumpels eine Band namens „Die Hormone“ gründete, um kurz darauf, als sie mit der Gitarre ankam, von den Jungs wieder ausgeschlossen zu werden. „Sie sagten zu mir, dass ich auf dem Piano sitzen darf“, plaudert sie, und bricht darauf in das schönste und dreckigste Gelächter aus.

Man muss nach dieser Geschichte nicht mehr sehr viel dazu sagen, was Françoise vielen weiblichen Fans und Musikern bedeutet hat in einer Welt, da nach wie vor die männlichen Hormone dominieren. Sie war ein absolutes Role Model, bewundernswert. Brezel aber auch. Sie waren halt auch ein Traumpaar, weil sie alle Geschlechterklischees auf den Kopf stellten.

Vielleicht nur diese Anekdote aus der Sendung noch, die man sich übrigens noch immer auf der Website des Radiosenders anhören und downloaden kann. Jedes Mal, wenn er rausgeht, erzählt er, stehen da neue Blumen, Kerzen und Kakteen vor seiner Haustür. Berlin ohne Françoise: Es wird nicht ganz einfach.

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