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Versorgung ungewollt SchwangererNiemand will Abtreibungen

Schwangerschaftsabbrüche wird es immer geben. Verbote ändern daran nichts. Es ist eine Frage der Gesundheit, nicht der Ideologie.

Demonstration in Krakau im Oktober: Pol*innen wehren sich gegen das Abtreibungsverbot Foto: Filip Radwanski/imago

W ährend meines Medizinstudiums habe ich die Begriffe „induzierter Abort“ oder „Interruptio“ nicht gehört. Also irgendwo nebenbei vielleicht mal. Aber über Abtreibung wusste ich nach dem Medizinstudium nicht viel mehr als vorher.

In Deutschland gab es 2019 dieselbe Anzahl an Blinddarmentfernungen wie an Schwangerschaftsabbrüchen, nämlich rund 100.000. Währen der:die Chirurg:in die Appendektomie perfekt beherrschen muss, kann ein:e Frauenärzt:in ihre Facharztprüfung ablegen, ohne einen einzigen Schwangerschaftsabbruch durchgeführt zu haben.

Und das ist gut. Es ist gut, dass die fachärztliche Prüfung abgelegt werden kann ohne die praktische Erfahrung eines Schwangerschaftsabbruchs. Wer persönliche, ethische, religiöse oder welche Bedenken auch immer hat, sollte die Freiheit haben, sich gegen das Durchführen eines Abbruchs zu entscheiden.

Nur ändert das nichts daran, dass es im Jahr 100.000 Frauen gibt, die abtreiben. Es muss also Ärzt:innen geben, die in der Lage sind, diese Abbrüche fachgerecht durchzuführen. Aber deren Anzahl sinkt. 2003 waren es noch 2.050 Praxen und Kliniken, 2020 nur noch 1.152, ergab eine Kleine Anfrage der Linkspartei im Frühjahr. Mehr Ärzt:innen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, wird es aber nicht geben, wenn Mediziner:innen mit dem Thema nie in Berührung kommen.

Was ich gerne gelernt hätte

Ich hätte im Medizinstudium gerne gelernt, dass die Abtreibungsrate in Ländern, in denen Abtreibung illegal ist, bei 37 von 1.000 Frauen liegt. In Ländern, in denen Abtreibung legal ist, treiben 34 von 1.000 Frauen ab. In Argentinien starb 2018 eine 34-jährige Frau an den Folgen einer entzündeten Gebärmutter. Sie hatte Petersilie (die menstruationsanregendes Apiol enthält) in die Vagina eingeführt.

Ich hätte gerne gelernt, dass man als Ärzt:in Leben rettet, wenn man fachgerechte Abtreibungen durchführt. Laut dem renommierten Guttmacher Institute gehen weltweit 8 bis 11 Prozent der Müttersterblichkeit auf eine Abtreibung zurück, die nicht richtig durchgeführt wurde. Schon heute lassen Schätzungen zufolge Zehntausende Frauen in Polen entweder illegal abtreiben oder gehen ins Ausland. Diese Zahl wird sich in Polen, vielleicht bald auch in den USA erhöhen. Und damit auch die Sterblichkeit von Müttern.

Wir haben die Frage des Schwangerschaftsabbruchs zu einer ideologischen gemacht. Das ist sie aber nicht. Fakt ist: Niemand will Abtreibungen. Auch Frauen, die eine Abtreibung durchführen lassen, wollen sie nicht. Sie wollen nur kein Kind. Auch viele Männer wollen kein Kind. Aber die können einfach weggehen. Eine Frau kann das nicht. Deswegen sind Schwangerschaftsabbrüche eine Realität. Wollen wir das Leben von Müttern retten, müssen wir sicherstellen, dass sie ohne Stigma und Angst Zugang zu einer sicheren, fachgerechten Abtreibung haben. Es wird deswegen nicht mehr Abtreibungen geben. Denn: Niemand will abtreiben.

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Gilda Sahebi
Ausgebildet als Ärztin und Politikwissenschaftlerin, dann den Weg in den Journalismus gefunden. Beschäftigt sich mit Rassismus, Antisemitismus, Medizin und Wissenschaft, Naher Osten.
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2 Kommentare

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  • Ihr Wort in den Gehörgängen der bigotten "Lebensschützer".

  • Stimmt, noch muss es „Ärzt:innen geben, die in der Lage sind, [...] Abbrüche fachgerecht durchzuführen“. Denn auch wenn tatsächlich keine Frauen eine Abtreibung will - wenn sie erst mal schwanger sind, sind FRAUEN schwanger, nicht Männer. Flucht ist Frauen vollkommen unmöglich.

    Deswegen glaube ich, dass der Problematik nicht gerecht wird, wer sich ausschließlich auf ihren medizinischen Aspekt beschränkt. Die Gründe für eine Abtreibung sind schließlich vielfältig. Nicht immer geht es um die werdenden Kinder. (Es gibt genügend Menschen, die sehnsüchtig auf ein Adoptivkind warten.) Viele Frauen möchten nicht nur nicht Mutter sein. Sie wollen auch nicht schwanger werden. Und wenn wir ehrlich sind, wollen einige wenige (wie manche Männer) trotzdem keine Verantwortung übernehmen müssen für ihr Sex-Leben. Weder vor noch während oder noch der Schwangerschaft. Das verstehen sie unter Gerechtigkeit.

    Ein entzündeter Blinddarm ist keine Frage der Ideologie. Eine Abtreibung schon. Das bedeutet nicht, dass nur die betroffenen Frauen sie dazu gemacht haben. Es waren mächtige Männer, die der Gesellschaft (und damit auch Frauen) ihren Moralstempel aufgedrückt haben. Das sollte man nicht vergessen, wenn man über Abtreibungen redet.

    Nein, nicht „wir haben die Frage des Schwangerschaftsabbruchs zu einer ideologischen gemacht“ Ich, jedenfalls war nicht dabei. Ich finde, jede Frau hat ein Recht zu entscheiden. Und zwar ohne den Glauben im Hinterkopf, dass Schwangerschaften nur ein notwendiges Übel auf dem Weg zum Mutterglück sein können und eine Mutter, die ihr Kind nach der Schwangerschaft nicht behalten will, eine Rabenmutter ist.

    Ja, (zu) viele Männer wollen kein Kind. Aber warum? Warum wollen sie „einfach weggehen“ nach dem Sex? Weil Kinder als Last gelten. Schwangerschaftsabbrüche sind eine Realität, weil Männer sie in Kauf nehmen können, dürfen und wollen. Wer das Leben von Frauen (und Kindern) retten will, muss also bei den Männern anfangen. Es wird langsam Zeit!