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Verschärfung des EU-AsylrechtsBei Grünen und SPD regt sich Kritik

Die Ampel will die Reform des EU-Asylrechts mittragen. Von Grünen- und SPD-Abgeordneten kommt Protest, auch an der Grünen-Basis regt sich Widerstand.

Grenzpolizisten an einem Betonzaun an der EU-Außengrenze zwischen der Türkei und Griechenland Foto: Nicolas Economou/NurPhoto/imago

Berlin taz | Bei Grünen und SPD regt sich Protest gegen die Pläne der Bundesregierung für die Reform des europäischen Asylrechts. 24 Bundestagsabgeordnete und mehrere Landtagsabgeordnete von den beiden Parteien haben in einem gemeinsamen Papier die Reformpläne kritisiert. Sie schreiben: „Wir teilen die Sorge vieler Menschen, dass die Vorschläge für ein neues Gemeinsames Europäisches Asylsystem das Recht auf Asyl abschwächen könnten.“

Kritik wird auch innerhalb der Grünen lauter. In nur wenigen Tagen haben über 700 Mitglieder der Grünen einen Brief an die eigene Spitze unterzeichnet. „Die Berichte über die Prioritäten der deutschen Bundesregierung [haben uns] erschüttert“, heißt es darin. Und: „Wir erwarten, dass ihr […] dazu beitragt, dass Populismus nicht in Gesetzesform gegossen wird.“ Beide Schreiben liegen der taz vor.

Die EU-Innenminister beraten am Donnerstag in Luxemburg über die seit Jahren strittige Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). Es geht unter anderem um die Frage, ob es Vorprüfungen von Asylanträgen an den EU-Außengrenzen geben soll. Die Ampel – inklusive der Grünen – hat sich dafür offen gezeigt, will aber durchsetzen, dass Minderjährige unter 18 und Familien mit Kindern diese Verfahren nicht durchlaufen müssen.

Entsprechend hatten sich auch Außenministerin Annalena Baerbock und Wirtschaftsminister Robert Habeck (beide Grüne) geäußert. Baerbock sagte, Grenzverfahren seien hochproblematisch, der EU-Kommissionsvorschlag sei aber die einzige Chance, auf absehbare Zeit zu einem „geordneten und humanen Verteilungsverfahren“ zu kommen.

Forderung nach klarem Verteilmechanismus

Die Abgeordneten von SPD und Grünen wenden sich in ihrem Papier unter anderem gegen die geplanten Verfahren an den EU-Außengrenzen. „Wir sehen die flächendeckende Einführung von Grenzverfahren kritisch, da sie haftähnliche Zustände befördern“, heißt es. Kritisiert wird auch die drohende Ausweitung der sicheren Drittstaaten. Entscheidend für den Ausgang eines Verfahrens seien dann nicht mehr die Ursachen für die Flucht, sondern der Reiseweg.

Auch könne ein gemeinsames europäisches Asylsystem nur „mit einer guten und verbindlichen Verteilung“ funktionieren. Einzelne Staaten könnten mit einer hohen Zahl von Geflüchteten an die Aufnahmegrenze kommen, „nicht aber ein ganzer Kontinent“. Deshalb müssten sich „möglichst viele Staaten beteiligen“. Danach sieht es derzeit aber nicht aus, Ungarn und Polen sind dagegen.

Initiiert hat das Papier die Organisation „Brand New Bundestag“, die sich parteiübergreifend für eine „progressive, zukunftsorientierte Politik“ einsetzt. Unterschrieben haben unter anderem die Bundestagsabgeordneten Hakan Demir, Sebastian Roloff, Carmen Wegge und Ye-One Rhie von der SPD sowie Kassem Taher Saleh, Canan Bayram, Awet Tesfaiesus und Lisa Badum von den Grünen.

„Im Mittelpunkt der GEAS-Reform muss die Einhaltung der Rechte der Geflüchteten stehen“, fordert SPD-Mann Hakan Demir. Deutschland müsse die von vielen EU-Staaten angestrebte Aufweichung des Asylrechts verhindern und das reguläre Asylverfahren der Normalfall bleiben – mit einer fairen und ausgewogenen europäischen Verteilung.

Druck von der Basis

„Viele Aspekte sind komplett unklar und hoch problematisch“, sagt der grüne Bundestagsabgeordnete Kassem Taher Saleh. Der aktuelle Vorschlag werde auch nichts an den vielen Toten im Mittelmeer und auf den Fluchtwegen ändern. „Wir brauchen stattdessen sichere Fluchtrouten und eine staatliche Seenotrettung.“

Den Brief an die Grünen-Spitze hat Kassem Taher Saleh nicht unterschrieben. Dieser soll vor allem Dingen Ausdruck der Sorge an der Basis sein, heißt es. Unterzeichnet haben aber auch die Hamburger Justizsenatorin Anna Gallina, die Fraktionsvorsitzende im thüringischen Landtag, Astrid Rothe-Beinlich, und Timon Dzienus, Co-Vorsitzender der Grünen Jugend. „Die Verhandlungsposition Deutschlands ist nicht, was sich die Ampel vorgenommen hat“, sagte Dzienus der taz. „Statt Verschärfungen braucht es mehr Unterstützung der Kommunen und der Länder an den EU-Außengrenzen.“

„Ich könnte kein Lager an EU-Außengrenzen mitvertreten, das geht mit grüner, menschenrechtsorientierter Flüchtlingspolitik nicht zusammen“, kritisierte auch die Thüringerin Rothe-Beinlich im Gespräch mit der taz. Es habe auch mit ihrer Ost-Erfahrung zu tun, dass sie grundsätzlich gegen tödliche Grenzen aufbegehre.

„Auch große Teile der Bundestagsfraktion sind besorgt“, sagte die niedersächsische Bundestagsabgeordente Karoline Otte der taz. Mitglieder der Fraktion aber hätten den Brief nicht unterschrieben, weil er sich auch an die eigene Fraktionsspitze richte. Sie selbst habe ihren Unmut in internen Gesprächsrunden bereits kundgetan. „Wir brauchen einen echten Solidaritätsmechanismus“, so Otte. „Man darf sich nicht rauskaufen können und so die Grausamkeit der libyschen Küstenwache finanzieren.“

Nouripour und Haßelmann wiegeln ab

Der Brief ist an die Mi­nis­te­r*in­nen Annalena Baerbock, Robert Habeck und Lisa Paus sowie an die beiden Parteivorsitzenden und die beiden Fraktionschefinnen gerichtet. „Die Ausweitung sicherer Drittstaaten, schlechterer Rechtsschutz, verpflichtende Grenzverfahren in Haftlagern und eine massive Verschärfung des gescheiterten Dublin-Systems sind nur einige der Rechtsverschärfungen, die in der vorgeschlagenen Reform des Asylsystems angelegt sind“, heißt es darin.

Mitgliedsstaaten würden teilweise zur Inhaftierung der Schutzsuchenden verpflichtet und zusätzliche massive Möglichkeiten zu Asylrechtsverschärfungen auf nationaler Ebene erhalten. Das gemeinsame Ziel der Grünen sei ein anderes gewesen: „eine Reform, die geeignet ist, das Grundrecht auf Asyl zu schützen, menschenunwürdige Bedingungen zu beenden und für eine faire Verteilung zu sorgen“. Es sei schwer nachvollziehbar, warum die deutsche Verhandlungsposition nicht annähernd den Inhalten des Koalitionsvertrags entspreche.

„Der innerparteiliche Diskurs zeichnet uns als Partei aus“, meint Grünen-Chef Omid Nouripour als Reaktion auf den Brief. „Fakt ist, dass wir seit vielen Jahren ein dysfunktionales europäisches Asylsystem haben, das zu unhaltbaren Zuständen an den Außengrenzen führt.“ Deshalb setze man sich für eine europäische Reform ein, „aber nicht um jeden Preis“. Die Grünen, so Nouripour, machten sich für einen verpflichtenden europäischen Solidaritäts- und Verteilmechanismus stark. Vulnerable Gruppen müssen ebenso geschützt werden wie Schwangere und Familien mit Kindern gemäß UN-Kinderrechtskonvention von möglichen Grenzverfahren ausgenommen werden.

„Auch uns Grüne stellt diese Situation vor eine echte Herausforderung“, so die grüne Fraktionschefin Britta Haßelmann, die in dem Brief ebenfalls adressiert wird. „Wir wollen nach jahrelangem Stillstand, Rechtsverstößen und teilweise menschenunwürdigen Zuständen endlich das Leid an den Außengrenzen lindern und Schritte zu einer gemeinsamen europäischen Lösung gehen.“ Gleichzeitig teile sie die Sorgen derer, die das Recht auf Asyl als ein Grundrecht hochhalten.

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8 Kommentare

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  • Der EU-Gipfel zur Asylreform wird wie alle anderen enden.Nur heisse Luft.

  • Anscheinend sollen sie nach Anerkennungsquote des Herkunftsstaates sortiert werden: jene mit hoher Schutzquote sollen an freiwillige Aufnahmeländer weitergeleitet werden, bei denen mit niedriger Anerkennungsquote soll dies in den grenznahen Zentren erfolgen.

    www.deutschlandfun...te-europa-100.html

  • … „geordneten und humanen Verteilungsverfahren“ …, ?



    Frau Baerbock mag anderen gleich mehrere Bären aufbinden, wenn das ein Grund sein soll, ist der kaum ernst zu nehmen:



    Von einer gerechten Aufteilung hat schon Frau Merkel geträumt, und das ist 8 Jahre her …! Dass in der EU keine Einigkeit herrscht, macht das nur allzu deutlich.



    So wird das “nix”.

  • Leider gehen die Begriffe immer etwas durcheinander. Das Recht auf Asyl im engeren Sinne haben ja nur wenige (gemäß Genfer Flüchtlingskonvention), während viele Geflüchtete „nur“ den subsidiären Schutz beanspruchen können, insbesondere wenn sie vor Krieg geflüchtet sind. Daneben gibt es dann noch die „Wirtschaftsflüchtlinge“, die in ihren Herkunftsländern zwar nicht verfolgt werden, aber keine Freizügigkeit und Berufsfreiheit genießen.

    Wenn man meint, letztere vom Asylrecht ausschließen zu müssen und vor Krieg Geflüchtete nach dem Friedensschluss ausweisen zu müssen, führt an einem Zurückhalten an den Grenzen bis zur Ermittlung des Status und Sicherstellung, dass eine Rückführung erfolgen kann, kaum ein Weg vorbei. Man müsste entsprechend tiefer ansetzen und legale Wege zur Einwanderung für „Wirtschaftsflüchtlinge“ schaffen, aber wo gibt es dafür schon Mehrheiten?

    Um Mehrheiten überhaupt zu ermöglichen, müsste der logische innere Zusammenhang deutlich gemacht werden; solche Erklärungen sind aber originäre Aufgabe der Politik. Und gerade da versagen SPD und Grüne seit Jahren massiv: Beim Erklären der komplexen Zusammenhänge. Im Ergebnis erhalten die Vereinfacher von Gauland bis Wagenknecht den Zuspruch der Wähler.

    • @Zangler:

      Schön ausgeführt.

      „Man müsste entsprechend tiefer ansetzen und legale Wege zur Einwanderung für „Wirtschaftsflüchtlinge“ schaffen“

      Ich glaube nicht, dass dies das Problem löst, und zwar aus folgendem Grund: auch wenn man ein recht großes Kontingent an „Wirtschaftsflüchtlingen“ zulässt, bleiben noch immer sehr viele übrig, die Einwandern wollen, aber auf legalem Wege kaum eine Chance haben. Man braucht sich nur das sog. „Diversity Immigrant Visa Programm“ (Umgangssprachlich Green Card Lottery) der USA anzuschauen: z.B. 2019 und 2020 bewarben sich über 14 Millionen für die 55.000 Visa – die Chance eines zu bekommen waren unter 0,5%. Selbst bei doppeltem Kontingent wäre die Chance unter 1%. Unter solchen Umständen gibt es dann natürlich viele, die es über illegale Wege versuchen, und nehmen die Risiken in Kauf.

      travel.state.gov/c...ntry-2019-2021.pdf

  • So lange es einem selbst gut geht, man ein erfülltes Leben und keine Existenznöte hat, kann man gut über Flüchtlinge und deren Recht auf humanitäre Hilfe meckern. Es ist unser aller Erde. Eigentlich gibt es keinen Besitz, keinen Anspruch auf etwas durch Privilegien, Zufälle des Lebens... Niemand kann sich aussuchen wer er ist und wo er geboren wird. Aber er kann sich auf den Weg nach einem besseren Leben machen, so wir wir es alle tun. Oder nicht? Man sollte eher dieser gierigen, das Geld und die Ressourcen verschwendenden Gesellschaft drohen, weil die Verrohung der Privilegierten scheinbar zunimmt.



    Wir kommen ohne irgendwas und nackt auf diese Welt und genau so werden wir von dieser gehen - mit nichts.



    Eine Homage an alle die nichts haben, doch im Herzen reich sind.

  • Es ist immer schwierig, Etwas zu bewerten, dass man/ frau in der Komplexität nicht vorliegen hat.



    Danke für den Bericht.



    Allerdings bleibt vage, wie die Aussichten auf eine bessere Verteilung ist. Das ist für mich ein springender Punkt: in den letzten Jahren sind Italien und Griechenland mit den Problemen, die Zuwanderung durch Flüchtlinge mit sich bringen, ziemlich Alleine gelassen worden.



    Das ist ein unhaltbarer Zustand.



    Politisch hatte das leider auch Auswirkungen, schließlich wurde in Italien eine rechte Regierung gewählt.



    Es ist grundsätzlich erfreulich, dass sich bei Grünen und SPD Menschen für den Erhalt des Asylrechts stark machen.



    Meinen Informationen nach sollten aber doch nur erste administrative Handlungen, wie Feststellen der Identität und des Herkunftslandes an den EU Außengrenzen ermittelt werden? Dass nun Asylverfahren an den Grenzen stattfinden sollen, ist mir neu.



    Zur Anzahl der Grünen, die den " Brief an die Grünenspitze" unterschrieben haben, sei erwähnt, dass das noch nicht einmal 1% der Mitglieder der Grünen Partei darstellt.

  • 6G
    658767 (Profil gelöscht)

    Linkes Rückzugsgefecht. Am deutschen Asylwesen wird Europa nicht genesen. Sollen die anderen Länder ihr Asylrecht an die deutsche Praxis anpassen? Viele Regierungen würden das nicht überleben. Die Ampel könnte ja vorschlagen, alle die anderswo oder an den Außengrenzen abgelehnt werden, nach Deutschland zu übernehmen. Das würde die Ampel wiederum nicht überleben. Und zu guter letzt zu den Verteilungsplänen. Auch die Asylbewerber haben verständlicherweise Ziele und Wünsche, von denen sie nicht abweichen werden. Die lauten nicht unbedingt eine Landpartie im Nordwesten Portugals, Narva in Estland, ein Aufenthalt in einer rumänischen Kleinstadt oder in Daun in der Eifel.