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Verreisen im AlterAndrourlaub

La Gomera ist die Urlaub gewordene senile Bettflucht. Spießige Hippies, rechte Linke, junge Alte. Man kann nicht mal vor Langeweile sterben.

Kein Sonnenuntergang in der Saison ohne Trommeln und Feuertanz Foto: imago images/imagebroker

I n der Abendsonne setzen sich immer mehr Fliegen auf mich. Das kitzelt und nervt. Früher hatte ich das Problem nicht, aber nun riechen sie das alte Fleisch. Wahrscheinlich kann ich froh sein, solange es noch keine Geier sind.

Zusammen mit anderen alten Deutschen warten wir, wie eine Kolonie zerzauster Nebelkrähen nebeneinandergereiht, auf dem Strandmäuerchen von La Gomera auf den Sonnenuntergang. Die zur Unkenntlichkeit braungebrannten Alten haben lange graue Zöpfe, die wenigen Jungen mit Honig und Schlamm verknotete Haarstricke auf dem Kopf. Drei Lederhäute trommeln. Die anderen trinken Moon Juice oder Dosenbier.

Das ist jetzt mein Urlaub. Meine Pause von der Andropause. La Gomera ist die Urlaub gewordene senile Bettflucht. Spießige Hippies, rechte Linke, junge Alte, nette Böse. Beim schwäbischen Bäcker gibt es Vollkornbrot. Es ist wie Deutschland, nur das Wetter ist schöner und die besorgten Bürger machen ein freundlicheres Gesicht. Inländer mögen sie so wenig wie Ausländer.

Bis vor Kurzem haben wir noch anders Urlaub gemacht. Mexiko, Kambodscha, Kolumbien. Fünf Wochen, Rucksack, siebzehn Stunden im Hühnerbus; sich überraschen lassen, wo man landet. Das geht nicht mehr. Der Busfahrer hält nicht, wenn ich aufs Klo muss, und ich muss oft aufs Klo. Das Essen ist zu scharf, das Bier zu kalt, das Wetter zu heiß. Das Bett ist zu hart, der Stuhl zu weich. Ich weine vor Heimweh und bin wütend, dass nichts funktioniert. Zu Hause in Berlin klappt immer alles. Auch haben wir Angst, dass uns Räuber die Brille wegnehmen und dann sehen wir nichts mehr.

Anreise mit Flugscham, Aufenthalt mit Fremdscham

Auf La Gomera kann uns nichts passieren. Wir können noch nicht mal vor Langeweile sterben: In meinem Alter ­langweilt man sich nicht mehr – man langweilt nur noch andere. Die Doro wohnt schon dreißig Jahre in El Guro. Ich glaube, wenn ich tot bin, ziehe ich auch da hin.

Noch empfinde ich die überhebliche Gomerascham der frühen Andropause: die Anreise mit Flugscham, der Aufenthalt mit Fremdscham, der Abgesang mit distanziertem Spott. Dann fahr halt nicht hin, wird nun manche sagen, oder hör auf, abzulästern. Aber schön ist es eben doch. Zbigniew, mein Urologe, hat für diesen Zwiespalt ein passendes polnisches Sprichwort parat: „Alle wollen dicke Eier haben, aber keiner will sich damit in den Sattel setzen.“

Da ist was dran. Doch bald werde auch ich Trekkingsandalen, bunte Wallegewänder sowie Lederbänder um Hals, Knöchel und Handgelenke tragen. Das Wort „Würde“ wird dann nur noch als leerer Nachhall aus uralten Zeiten durch meinen Hinterkopf spuken. Und irgendwann wird uns sogar La Gomera zu aufregend sein. Wohin geht es wohl als Nächstes: Harz, Ostsee, Spreewald? Egal, Hauptsache, Italien.

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Uli Hannemann
Seit 2001 freier Schreibmann für verschiedene Ressorts. Mitglied der Berliner Lesebühne "LSD - Liebe statt Drogen" und Autor zahlreicher Bücher.
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5 Kommentare

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  • Ha ha ! DANKE Ulli Hannemann !



    `YOU made me smile - to face my day´!



    ...wenngleich auch das Langweilen eine art Luxus ist...

  • Na Sie könnten aber auch beim Valle-Boten arbeiten ;D

      • @Mimo:

        Der war gut.

        Das Teil gibt es also immer noch. Und es besteht anscheinend immer noch aus einer Mischung von Selbstbeweihräucherung, spießigem Populismus und unverkrampftem Sexismus.

        Dabei ist die Insel ja wirklich schön.

  • Da freut Mensch sich doch richtig aufs Alter, wenn die Fähigkeit, über sich selbst zu lachen bleibt.