Hippie-Film „Eivissa“: Die Heiligen von Ibiza

Mit „Eivissa“ hat die Hamburgerin Tini Lazar einen sehnsuchtsvollen Film über eine Geschäftsfrau gedreht, die auf Ibiza ein Lebensgefühl entdeckt.

Eine Frau im Hosenanzug schaut in ein Zimmer mit bunten Stoffen an den Wänden.

Zu Besuch bei hängen gebliebenen Hippies auf Ibiza: eigentlich Stoff für einen guten Dokumentarfilm Foto: Tini Lazar

BREMEN taz | Das Kino ist auch dazu da, uns Sehnsuchtsorte zu zeigen. Und weil es heute nicht mehr selbstverständlich ist, dass wir reisen können, wohin es uns beliebt, wird diese Qualität des Films wieder verführerischer. In diesem Sinne ist Tini Lazar mit ihrem Regiedebüt „Eivissa“ ein Film für unsere Zeit gelungen. Denn die Hauptrolle spielt die spanische Insel Ibiza – deren katalanischer Name eben Eivissa ist. Die Filmemacherin hat sich selber so in den Ort verliebt, dass ihr Werk manchmal aus den Fugen gerät, weil sie viel lieber mit der Kamera über die Insel flanierte, als ihre eigene Dramaturgie durchzusetzen.

Aber das ist auch gut so, denn die Geschichte von der deutschen Geschäftsfrau, die von Hamburg nach Ibiza fliegt, um in ein paar Tagen eine Erbschaftsangelegenheit zu regeln, dann aber dort hängen bleibt und immer lockerer wird, ist alles andere als ein origineller Einfall. Das hat Tini Lazar wohl auch bald selber gemerkt, denn sie ließ ihren Erzählstrang so entspannt durchhängen, dass sie möglichst viele ihrer Impressionen von der Insel in den Film hineinpacken und so das dortige Lebensgefühl intensiv und sinnlich einfangen konnte.

Vor allem die alten Hippies haben es ihr angetan. Ihr Film ist gefüllt mit diesen komischen Heiligen, die zum Teil schon in den 1970er-Jahren in das damalige Hippieparadies gefahren sind und seitdem dort blieben. Heute leben einige von ihnen immer noch in Höhlen und Tini Lazar hatte offensichtlich am meisten Freude daran, diese Originale zu interviewen.

Der Filmlogik folgend lässt sie ihre Hamburger Protagonistin diese Ibizaner*innen besuchen, weil sie auf dem Grundstück leben, das ihr Vater ihr vererbt hat. Und in den kurzen eingeübten Passagen der Dialoge loben sie dann auch, eher unbeholfen, ihren fiktiven Vermieter. Doch diese Scharade wird mit einem Augenzwinkern inszeniert, und es bringt die Geschichte auch um nichts voran, wenn eine majestätisch gealterte Dame in bunten, selbstgeschneiderten Klamotten aus ihrem eigenen, wirklichen Leben erzählt, dass sie früher Geschäftsführerin bei Gucci war.

Vor allem die alten Hippies haben es Tini Lazar angetan

Da steckt das Material für einen interessanten Dokumentarfilm über den Mikrokosmos Ibiza in „Eivissa“, und Tini Lazar erzählt dann auch in einem Telefoninterview davon, wie sehr es geschmerzt habe, viele von diesen Aufnahmen aus dem Film herausschneiden zu müssen.

Ursprünglich wollte sie zusammen mit einem Team von fünf Hamburger Frauen den Film in Ibiza drehen, doch als diese sich nach und nach von dem Projekt verabschiedeten, übernahm sie immer mehr Aufgaben und Verantwortung. Ohne Kamerafrau begann sie mit ihrer kleinen Canonkamera zu filmen, als eine professionelle Schauspielerin fehlte, übernahm sie eine der Hauptrollen und für Drehbuch, Produktion, Schnitt und Vermarktung war sie dann auch zuständig.

Somit ist „Eivissa“ ein lupenreiner Autorinnenfilm: Finanziert mit wenig eigenem Geld, sodass bei den Dreharbeiten das Filmteam auf Ibiza nur aus ihr und ihrer Hauptdarstellerin Lenka Arnold bestand, die aus dieser Not heraus zur Regieassistentin und zweiten Kamerafrau wurde. Die Musik konnte Tini Lazar zwar nicht selber komponieren und spielen, aber den Filmmusiker Leo Lazar heiratete sie während der Filmproduktion – dieses Geld bleibt also in der Familie.

Doch mit dem, inzwischen zwar antiquierten, aber bei vielen immer noch gültigen Anspruch des deutschen Autorenkinos hat „Eivissa“ kaum etwas zu tun. Dieser Sommerfilm ohne tiefere gesellschaftliche Relevanz oder künstlerische Radikalität ist zu leichtgewichtig, um etwa auf deutsche Festivals eingeladen oder von einem deutschen Filmverleih vermarktet zu werden.

Und solche Filme kennt man hier auch kaum: Es ist keine TV-Berieselung und auch auf hochpolierte Postkartenansichten wird verzichtet. Am ehesten erinnert „Eivissa“ noch an Filme von Éric Rohmer wie „Pauline am Strand“, denn wie in diesen wird viel „gequasselt“ (wie der Kollege Kurt Scheel einst voller Bewunderung in der taz schrieb), es passiert nicht wirklich etwas, aber dafür lernt man die Menschen in der kleinen Welt, von der im Film erzählt wird, intensiv kennen und schätzen. Diese Qualitäten wurden dann übrigens von einigen internationalen Festivals in Spanien, Mexiko, Portugal und Polen gesehen, wo „Eivissa“ auch ausgezeichnet wurde.

Hier stehen gleich drei starke Frauenfiguren im Zentrum: die deutsche Geschäftsfrau, eine hartgesottene Ibiza-Veteranin und die von Tini Lazar gespielte verträumte Naive, die nur scheinbar von einem hinterhältigen Lebemann verführt und ausgenutzt wird. Die Männer haben da wenig zu melden. Der eine ist den ganzen Film über kaum ohne Weinflasche in der Hand zu sehen, der andere macht seine Eroberungen mit verdächtigt phallisch wirkendem Speiseeis auf der Strandpromenade.

„Eivissa“. Regie: Tini Lazar. Mit Lenka Arnold, Maya Maria Drücker u. a., D 2019, 92 Min.

Und es wird aus einer rein weiblichen Perspektive erzählt, wenn etwa die strenge und ordentliche Deutsche in Hamburg in einen Hosenanzug gesteckt wird, aus dem sie dann auch in Ibiza lange nicht herauskann. Kein männlicher Regisseur würde sich wohl trauen, in einer Einstellung wie hier eine Frau so unattraktiv und laut schnarchen zu lassen. Tini Lazar beweist, dass sie ein gutes Gefühl für Situationskomik hat und als gelernte Schauspielerin kann sie auch Laien so führen, dass man in ihrem Debüt keine falsche Geste oder gar Pose finden wird.

Geplant war ein von Tini Lazar selbst organisierter Kinostart des Films im Frühjahr, geplant war auch, von diesen Protagonistinnen und der Insel in einer Serienproduktion weiterzuerzählen, aber dann kam Corona dazwischen. Bei der jetzigen Schwemme von Neustarts war an eine Kinokampagne nicht zu denken, und so hat Tini Lazar ihren Film vor einigen Wochen bei der Streamingplattform Vimeo eingestellt, wo man ihn für 4.99 Euro ansehen und für 9.99 Euro kaufen kann. Mit Fernweh als Nebenwirkung muss gerechnet werden.

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