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Vernehmung von Kindern mit Videokamera

■ Kindern, die Opfer sexuellen Mißbrauchs wurden, soll vor Gericht die Konfrontation mit dem Angeklagten erspart werden. Ein entsprechendes Gesetz ist noch dieses Jahr zu erwarten

Freiburg (taz) – Kinder können in Prozessen um sexuellen Mißbrauch bald schonender befragt werden. Noch in diesem Jahr soll es möglich werden, die betroffenen Jungen und Mädchen in einem Nebenzimmer zu verhören und ihre Zeugenaussage per Videoleinwand in den Gerichtssaal zu übertragen. Die Bonner Regierungskoalition und die SPD sind sich über dieses Ziel einig, Skepsis gibt es noch in der Anwaltschaft.

Die wiederholte Vernehmung von Opfern sexueller Übergriffe kann zu weiterer Traumatisierung führen. Deshalb – da sind sich alle Beteiligten einig – soll die Gerichtsverhandlung für Kinder, die vermeintlich oder tatsächlich mißbraucht wurden, so schonend wie möglich gestaltet werden. Insbesondere soll den Kindern eine Konfrontation mit dem vermutlichen Mißbraucher erspart werden.

Auf großes Wohlwollen stieß daher das Mainzer Landgericht, als es 1995 eine neue Art der Vernehmung erprobte. Der Vorsitzende Richter ging mit dem jeweiligen Kind in einen Nebenraum, um es dort zu befragen. Per Video wurde die Befragung in den Gerichtssaal übertragen. Wollten die Prozeßbeteiligten Fragen stellen, konnte ein Richterkollege dies per Telefon dem Vorsitzenden im Nebenzimmer mitteilen. So positiv das Experiment in der Öffentlichkeit aufgenommen wurde, so klar war auch, daß diese Aufspaltung der Verhandlung auf zwei separate Räume gegen die geltende Strafprozeßordnung verstößt. Der SPD-dominierte Bundesrat und auch die SPD-Bundestagsfraktion legten deshalb relativ schnell Gesetzentwürfe vor, um das „Mainzer Modell“ zu legalisieren.

Große Skepsis gegen dieses Modell äußerte jedoch der Deutsche Anwaltverein (DAV), der sich auf einen Bericht der in Mainz beteiligten Anwältin Gabriele Jansen stützt. So sei es für die Verteidigung sehr schwierig gewesen, sich in die Vernehmung der Kinder einzuschalten. Bis der beisitzende Richter seinen Vorsitzenden angerufen hatte, waren im Nebenzimmer schon wieder einige Sätze gewechselt worden, die aber im Gerichtssaal untergingen, da dort ja gerade über die gewünschte Frage gesprochen wurde.

Einmal war im Nebenzimmer sogar ein Kind vom Tisch aufgestanden und hatte sich aus dem Übertragungsbereich der Videokamera herausbewegt. Weder Verteidigung noch Staatsanwaltschaft konnten jetzt die Mimik des Kindes beobachten. Auch ob das Kind im Vernehmungszimmer durch eine anwesende Begleitperson beeinflußt wurde, blieb den BeobachterInnen im Gerichtssaal verborgen.

Manche dieser Bedenken versucht jetzt ein Gesetzentwurf von Union und FDP auszuräumen. Hier soll nach einer in Großbritannien üblichen Praxis der/die Vorsitzende RichterIn im Gerichtssaal verbleiben und für das Kind im Nebenzimmer nur per Videoübertragung zu sehen sein. Wenn nun Verteidigung und Staatsanwaltschaft beginnen, über die Zulässigkeit bestimmter Fragen zu streiten, kann der/die Vorsitzende RichterIn sofort reagieren und gegebenenfalls die Vernehmung unterbrechen. Der SPD-Rechtspolitiker Jürgen Meyer glaubt, daß sich Koalition und Opposition „noch vor Weihnachten“ auf ein gemeinsames Gesetz einigen können. „Wir brauchen die Zustimmung des Bundesrats schon deshalb“, so Horst Eylmann (CDU), der Vorsitzende des Bonner Rechtsausschusses, „weil die Länder ja auch die teure Videotechnologie für ihre Gerichte anschaffen müssen.“

Für den Anwaltverein kommt der Medieneinsatz in der Hauptverhandlung jedoch „viel zu spät“. Viel wichtiger sei es, bereits die erste Vernehmung des Kindes bei Polizei oder Staatsanwaltschaft per Tonband, eventuell sogar per Video aufzuzeichnen. So könne die Aussage des Kindes in ihrer Entstehung viel besser rekonstruiert und suggestive Befragung leichter erkannt werden. In den vorliegenden Gesetzentwürfen ist dieser Vorschlag zwar berücksichtigt – jedoch nur als zusätzliche Möglichkeit, nicht als Alternative zum Videoeinsatz in der Hauptverhandlung. Christian Rath

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