Vermittlung von Jobs in der Ernte: Wer sticht den Spargel?

Erntejobs sind ein kapitalistischer Kampfplatz. Zwar könnten ukrainische Geflüchtete in der Ernte arbeiten, aber ihr Weg nach Deutschland ist schwer.

Erntehelfer Micha aus Rumänien sticht auf einem Feld Spargel.

Erntepraxis vor Corona und Ukraine-Krieg: Helfer aus Rumänien 2018 auf einem Feld in Fuhrberg Foto: Ole Spata/dpa

OSNABRÜCK taz | Wer mit Fred Eickhorst über Niedersachsens Spargel spricht, denkt zunächst, alles sei in Ordnung. „261 Betriebe produzieren rund 25.000 Tonnen davon“, sagt der Geschäftsführer der „Vereinigung der Spargel- und Beerenanbauer“, die ihren Sitz im Dörfchen Sandhatten hat, im Landkreis Oldenburg. „Niedersachsen ist in Deutschland das Spargelland Nummer 1. Jede vierte oder fünfte Stange Spargel kommt von hier.“

Aber Niedersachsens Spargel­anbau hat Probleme. „Die Sättigung ist überschritten“, sagt Eickhorst der taz. Die Anbaufläche nimmt ab. Die Zahl der Betriebe ebenfalls – 2018 waren es mit 355 fast hundert mehr als heute. Dann kam Corona, und viel Spargel blieb im Boden – zu wenig Nachfrage, zu wenig Ernte­helfer. Dann kam der Krieg in der Ukraine, und mit ihm Konfliktpotenzial in den Markt der Saison-Erntehelfer. „Absolut verrückt“, sagt Eickhorst. „Der Albtraum Corona ist noch nicht vorbei, da kommt schon der nächste!“

Die diesjährige Spargelernte hat sehr früh begonnen. Wenig Winterfrost, sonnenreicher März, nicht zu warm: ideale Bedingungen. Es sind vor allem Saisonarbeitskräfte aus Osteuropa, die das Edelgemüse aus dem Boden holen– ein Knochenjob. „Die Ukraine hat da bisher nur eine sehr kleine Rolle gespielt“, sagt Eickhorst. „60 Prozent der Arbeitskräfte kommen aus Polen, 30 Prozent aus Rumänien, 5 Prozent aus Bulgarien.“

Die 7.000 ukrainischen Studierenden, die jährlich in ihren Semesterferien nach Niedersachsen zur Ernte kommen, sind hauptsächlich Männer und werden diesmal höchstwahrscheinlich ausbleiben, weil sie ihr Land nicht verlassen dürfen. Das falle „für den Spargel kaum ins Gewicht“, sagt Eickhorst. „Hauptsächlich werden sie ja in der Beerenernte eingesetzt.“

Fred Eickhorst, Vereinigung Spargel- und Beerenanbauer

Einige haben Flüchtlinge aufgenommen, auch abseits jeder Arbeitsleistung

Was aber für Veränderung sorgt: Ukrainische Flüchtlinge dürfen in Deutschland arbeiten. Für sie gilt ebenso wie für die Studierenden eine Ausnahmeregelung, denn normale Saisonarbeit ist für UkrainerInnen nicht möglich, dazu fehlt ihrem Land die Mitgliedschaft in der EU. „Man wird sehen, wie sich das entwickelt“, sagt Eickhorst. „Einige niedersächsische Spargelbetriebe haben schon vor Wochen Flüchtlinge aufgenommen, über persönliche Kontakte, auch abseits jeder Arbeitsleistung.“

Manche Ukraine-Flüchtlinge, die auf Niedersachsens Feldern arbeiten wollen, schafften es allerdings gar nicht bis hierher, sagt Olaf Cramm, Gewerkschaftssekretär der DGB Region Osnabrück-Emsland. Wer aus der Ukraine nach Polen, Rumänien oder Ungarn flüchtet und dort registriert wird, kann nur durch einen dortigen Saisonarbeiter-Vermittler weiter nach Westen kommen. Findet er keinen, ist vorher End­sta­tion. Und einen zu finden, sei schwer, so Cramm: „Die möchten natürlich, dass ihren einheimischen Arbeitskräften keine Konkurrenz erwächst.“

Polen, Ungarn und Rumänien haben viele Geflüchtete aus der Ukraine aufgekommen. Ein Grund, sie von dort nicht weiter in die EU zu verteilen, sei „eine besonders perfide Form des Kapitalismus“, sagt Cramm. Nationalismus spiele dabei eine Rolle. „UkrainerInnen, die an Saisonarbeit in der hiesigen Ernte interessiert sein könnten, brauchen nicht zum Arbeiten in den Westen gelassen werden.“ Diese Jobs bekämen so Arbeitskräfte aus Polen, Ungarn oder Rumänien, „durchaus zu weit besseren Konditionen“. Das sei „nationalökonomisch von hohem Interesse“.

80.000 Saisonarbeitskräfte arbeiten jedes Jahr auf Niedersachsens Feldern. Nicht immer ist dabei alles im grünen Bereich. „Es sind schon immer auch Ukrainer gekommen, die keine Studierenden waren“, sagt Katarzyna Zentner, Fachleiterin der Beratungsstelle für mobile Beschäftigte Hannover. „Die Vermittlungsagenturen in der Ukraine deklarieren sie falsch, und die Landwirte hier in Deutschland profitieren durch die geringeren Nebenkosten.“

Abgeschirmte Ar­bei­te­r*in­nen

Das ist natürlich illegal. „Aber meist wird das nicht überprüft“, sagt Zentner. „Die Arbeitenden werden von den Landwirten oft auch stark abgeschirmt.“ Zuweilen würden BeratungsstellenmitarbeiterInnen, mit Arbeitsausbeutung befasst, „gar nicht auf die Höfe oder Felder gelassen“. Oft gehe Ernte-Saisonarbeit mit miesen Unterkünften einher, mit Endlos-Arbeitstagen und falschen Lohnabrechnungen. Dass Arbeitgeber, die für ihren Spargel­anbau Erntehelfer suchen, jetzt „die Notlage der Arbeit suchenden Flüchtlinge ausnutzen“, kann Zentner sich vorstellen. „Wir sind da hellhörig.“

„Der Krieg ist wie eine Kristallkugel“, sagt Fred Eickhorst auf die Frage, wie er sich die Spargelernte in diesem Jahr vorstellt. „Man schaut rein, und keiner weiß, was passiert.“ Fest steht höchstens eines: Es wird Spargel geben.

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