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Jobs für Geflüchtete aus der UkraineDer Koch kann sofort loslegen

Viele der Geflüchteten aus der Ukraine können einfach anfangen zu arbeiten. Unter anderem Ärz­t:in­nen brauchen aber vorher eine Genehmigung.

Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine bei ihrer Ankunft in Berlin Foto: Olaf Schuelke/imago

Berlin taz | Zusammen mit seinem neuen Koch aus Kiew bereitet Michael Glas gerade das Mittagsessen vor. Der Miteigentümer des Grillrestaurants Kneshecke in der Nähe von Fulda hat mehrere Geflüchtete aus der Ukraine aufgenommen. „Vitali, seine Frau und die vier Kinder wohnen jetzt in einem unserer Ferienbungalows“, sagt Glas.

Einerseits wollte der Restaurantbesitzer in der Rhön einfach Hilfe leisten, andererseits brauchte er aber auch einen Koch. Beides kommt nun zusammen. Wenn die Registrierung abgeschlossen sei – „wir warten noch auf die Steuer-ID“ – soll der Kollege aus Kiew seinen Arbeitsvertrag erhalten, „zu tariflicher Bezahlung“.

Glas würde sich freuen, wenn der neue Mitarbeiter bliebe. Aber das muss sich finden. Der Krieg in der Heimat, die Erlebnisse auf der Flucht, die ungewisse Zukunft – mit diesen schmerzhaften Themen will der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmer erst mal in Ruhe lassen. Mit Google Translator zwischen Ukrainisch und Deutsch sind solche Gespräche auch kaum möglich.

Unklar, wie lange Ukrai­ne­r:in­nen bleiben

Die Situation in der Kneshecke ist vergleichbar mit der Lage im Land. Es geht um die Unterstützung der Ukraine und ihrer Bürger:innen. Aber Deutschland hat durchaus auch Eigeninteressen, die dabei eine Rolle spielen. Unlängst plädierte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) für die schnelle Integration der Geflüchteten in den Arbeitsmarkt. Ein Hintergrund dabei: Hunderttausende Stellen für Ärzt:innen, Krankenpfleger:innen, Leh­re­r:in­nen oder In­ge­nieu­r:in­nen sind schon jetzt schwer oder gar nicht zu besetzen. Und künftig wird der Fachkräftemangel weiter zunehmen.

Also stellen sich Fragen wie diese: Passen die Ukrai­ne­r:in­nen in den deutschen Arbeitsmarkt? Verfügen Sie über die Qualifikationen, die hier gebraucht werden? Migrationsexperte Thomas Liebig von der Industrieländer-Organisation OECD in Paris warnt zunächst: „Ich halte diese Debatte für zumindest verfrüht.“ Er geht davon aus, dass die meisten Geflüchteten aus der Ukraine bald wieder nach Hause zurückkehren wollen.

„Das Bildungsniveau der Bevölkerung in der Ukraine ist im internationalen Vergleich hoch“, sagt Migrationsforscher Herbert Brücker, „zudem verfügen Frauen in der Ukraine über ein höheres Bildungsniveau als Männer.“ Das scheinen erst mal gute Voraussetzungen zu sein. Allerdings weist der Ökonomieprofessor der Berliner Humboldt-Universität darauf hin, dass bisher zu wenige Informationen über die Zahl der Ab­sol­ven­t:in­nen bestimmter Ausbildungsgänge, etwa medizinischer Berufe, in der Ukraine zur Verfügung stünden. Auch über die Qualität der Ausbildung dort lasse sich recht wenig sagen. Was ebenfalls bisher fehlt, seien genaue Angaben über die soziale Zusammensetzung derer, die aus der Ukraine fliehen.

Bürokratische Hürden

Ein Problem, das bereits absehbar ist, betrifft die Anerkennung der ukrainischen Berufsabschlüsse und Studienzeugnisse in Deutschland. Denn einige Qualifikationen, bei denen sich hierzulande ein besonderer Mangel abzeichnet, gehören zu den sogenannten reglementierten Berufen. Darunter fallen beispielsweise Ärzt:innen, medizinisches Pflegepersonal, Lehrer:innen, Erzieher:innen, aber auch In­ge­nieu­r:in­nen und manche Handwerksberufe.

In diesen Fällen müssen sich die Be­wer­be­r:in­nen die Gleichwertigkeit ihrer Ausbildungen mit den deutschen Standards anerkennen lassen – eine oft hohe bürokratische Hürde. Aber ohne diese Anerkennung dürfen sie nicht arbeiten. Dass es da eine Schwierigkeit auch im Hinblick auf die Ukraine gibt, hat Arbeitsminister Heil unlängst eingeräumt. „Die Ausbildungssysteme sind nicht eins zu eins vergleichbar“, so der Sozialdemokrat. „Da müssen wir schneller werden.“

Eine gemischte Nachricht kommt in dieser Hinsicht aus dem Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) in Bonn. Von rund 350 ukrainischen Anträgen auf Anerkennung als Arzt oder Ärztin wurden 2020 etwa drei Viertel genehmigt. Dagegen erhielten „von den rund 300 beschiedenen Verfahren zur Gesundheits- und Krankenpflege nur 38 Prozent eine volle Anerkennung“, sagt Claudia Moravek, die zuständige Expertin beim BIBB. Sie schränkt ein, dass diese Zahlen nicht als repräsentativ für die Berufsbildung in der Ukraine betrachtet werden können.

Bei der Mehrheit der Berufe spielt diese Anerkennungsprozedur keine Rolle – etwa bei Köch:innen. Die können einfach anfangen, wenn sie hier einen Arbeitgeber finden. So hat auch Stefan Faulstich, Chef des Landhotels Rhönblick bei Fulda, einen jungen Koch aus Kiew eingestellt. Wegen einer Ausnahmegenehmigung durfte der die Ukraine verlassen, ähnlich wie der neue Koch in der Kneshecke. Auch Faulstich würde sich freuen, wenn der neue Mitarbeiter bei ihm bliebe.

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3 Kommentare

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  • Der sog. "Fachkräftemangel".

    Warum hat Deutschland eigentlich zu wenig Ärzte?

    Nun, bei einem seit Jahrzehnten bestehenden NC von 1,2 oder sogar 1,0 ist die Frage schon beantwortet.

    Zweidrittel aller Abiturienten, die gern Mediziner*innen werden möchten, werden so abgeblockt.

    Klar auch warum, das Medizinstudium ist das Teuerste im Lande, und wenn es möglich ist über Importe Ärzt*innen zu bekommen, die zudem noch erheblich günstiger arbeiten, keine Frage, wer dann profitiert.

    Und die Thematik Krankenpfleger:innen, Leh­re­r:in­nen oder In­ge­nieu­r:in­nen, sollte man sich auch mal genauer anschauen.

    Und der Fachkräftemangel wird weiter zunehmen?

    Die Zukunft sieht wohl eher so aus:

    Tagessschau: „Die zunehmende Automatisierung wird in Deutschland in den kommenden fünf Jahren bis zu acht Millionen Jobs vernichten."



    www.tagesschau.de/...obverlust-101.html

    Wirtschaftszeitungen führen längst Listen über digital abbaubare repetitive Jobs. Mittelfristig 20 bis 30 Prozent.

    www.wiwo.de/erfolg...nd/12724850-2.html



    Die Listen werden ständig aktualisiert. Mittlerweile jedoch unter Bezahlschranke.

    Greift China, unser wichtigster Außenhandelspartner, Taiwan an, kommt es zum Bündnisfall. Millionen Jobs werden verschwinden.

    Nur mal so als Info an Herrn Koch.

    Ansonsten alles Gute für die Ukrainer.

    • @shantivanille:

      Bezüglich Ärzte stimmen einfach Ihre Aussagen nicht!



      Diese werden nach Tarif in den Krankenhäuser bezahlt, die Einstufung erfolgt sehr Transparent. Die Gehälter in den Praxen orientieren sich an den Tarifen der Krankenhäuser. Der Ausbau der Studienplätze sind zudem sehr komplex, da Labore, Betreuung und Personal benötigt wird.

      • @Andi S:

        Die Tarife lassen sich durch das Potential einer globalen Ärztereservearmee vortrefflich drücken.

        Hat Marx doch schon vor 150 Jahren, damals noch die "industrielle Reservearmee", treffend umschrieben.

        Heute sind es halt Ärzte, Schwestern, Ingenieure etc. etc.